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Bühne und Konzert Wagners Ring

Nicht das Konzept, der Mensch ist wichtig

„Siegfried“ im Waldvögelwald. Szene aus dem zweiten Akt mit dem Debütanten John Daszak als fast humaner Held „Siegfried“ im Waldvögelwald. Szene aus dem zweiten Akt mit dem Debütanten John Daszak als fast humaner Held
„Siegfried“ im Waldvögelwald. Szene aus dem zweiten Akt mit dem Debütanten John Daszak als fast humaner Held
Quelle: GTG/Carole Parodi
Der neue Genfer „Ring“ ist beim „Siegfried“ angekommen. Das entspannte musikalische und szenische Erzählen von Ingo Metzmacher und Dieter Dorn wird immer deutlicher. Was Wagner durchaus gut tut.

Der Riese ist riesig: Jürgen Roses Bühnenbild zu Richard Wagners „Siegfried“ besteht im nunmehr dritten Teil der aktuellen Genfer Neuproduktion der Tetralogie nahezu vollständig aus den Tentakeln des Riesen Fafner, die so ähnlich aussehen wie der von Wagner vorgesehene Wald. Einen monströsen, gar nicht drachenartigen Pappmachee-Kopf hat Fafner auch, mit ihm spricht er durch eine Flüstertüte („ich lieg’ und besitz’, lass mich schlafen“). Wenn er singt, tut er das mit der Stimme von Steven Humes, die allerdings wenig bedrohlich klingt. Besonders deutlich artikuliert Humes auch nicht, und das wiegt in diesem Fall besonders schwer, denn Ingo Metzmachers Dirigat ist auf größtmögliche Textverständlichkeit hin angelegt.

Wie schon in den vorangegangenen „Ring“-Teilen spielt das Orchestre de la Suisse Romande zwar nicht immer mit letzter Präzision, aber stets wunderbar plastisch und transparent, nur sehr selten müssen sich die Sänger mittels stimmlicher Gewalt gegen den Orchesterklang behaupten. Natürlich gibt es orchestrale Kraftausbrüche, doch sie münden stets in Metzmachers blitzartige Decrescendi fast bis zum klanglichen Nichts, wodurch für die Sänger viel Raum zur Entfaltung entsteht.

Da wäre es wichtig, dass man sie auch gut verstehen kann, aber das war längst nicht immer der Fall. Der junge Engländer John Daszak bringt fast alles für einen Jung-Siegfried mit: vokale Wucht, ein großes lyrisches Potenzial und, seiner mörderischen Partie zum Trotz, eine bewundernswerte Kondition; er ist zweifellos eine Bereicherung für die Heldentenor-Szene. Seine Artikulation ist allerdings noch verbesserungsfähig.

Ein Mime von verzweifelter Ängstlichkeit

Das gilt auch für den isländischen Bariton Tómas Tómasson als Wanderer, der die Szene allein durch sein sonores Organ streckenweise nach Belieben dominiert, aber eben auch besser zu verstehen sein müsste. Da haben es die Muttersprachler naturgemäß einfacher: Andreas Conrad ist ein Mime von großer auch stimmlicher Quirligkeit, aber auch von einer fast schon verzweifelten Ängstlichkeit. So wie er auftritt, würde er die Wissenswette gegen den Wanderer auch dann verlieren, wenn er die richtigen Antworten wüsste.

Der Regisseur Dieter Dorn schreibt sein Konzept einer Märchenerzählung mit kammerspielhaftem Einschlag fort. Für die Märchenerzählung steht nicht nur der Märchenwald Fafners, sondern auch die Waldvogel-Szene. Mit beträchtlichem Aufwand wird ein ganzer Schwarm aktiviert; Siegfried weiß gar nicht, wohin er zuerst schauen soll, und ist regelrecht verzaubert; vielleicht ja auch vom Silberglocken-Sopran Regula Mühlemanns.

Für das Kammerspiel steht etwa die Finalszene auf dem Brünnhilden-Felsen: Die Begegnung Siegfrieds mit der zunächst noch schlafenden Brünnhilde inszeniert Dorn plausibel als die anrührende Beziehung zweier verliebter Teenager. Das überbordende Gefühl einer ersten Liebe wird ebenso sichtbar wie die Scheu vor dem anderen Geschlecht; Das gilt in Genf nicht nur für Siegfried, der endlich, ganz am Ende dieses Abends, doch noch die Furcht kennenlernt – nämlich die vor dem Prinzip Frau. Es gilt hier auch für Brünnhilde (absolut höhensicher und ebenso stark wie in der „Walküre“: Petra Lang), die sich Siegfried hingeben will und genau davor Angst hat. Wie Dieter Dorn die beiden Akteure durch dieses Gefühlsgestrüpp leitet, das ist beste Schauspielregie, die sich nicht mit Konzepten wichtig nimmt, sondern Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Die Rivalen könnten hier Zwillinge sein

Dazu kommen einige überraschende Sichtweisen auf Werkdetails: Schlüssig ist die Idee, den Wanderer die erste Szene zwischen Siegfried und Mime stumm beobachten zu lassen – noch versucht er, wenn auch mit abnehmendem Erfolg, das Heft des Handelns in der Hand zu behalten. Oder auch die verblüffende Ähnlichkeit von Alberich (souverän: John Lundgren) und dem Wanderer; die beiden sehen nicht nur fast aus wie Zwillinge – die Statur ist gleich, Outfit und Körpersprache auch –, sie gehen auch betont kumpelhaft miteinander um; wie zwei Freunde, die sich länger nicht gesehen haben.

Steckt da in den beiden Kontrahenten womöglich der tiefe Wunsch nach Interessenausgleich und Verbrüderung? Ob die „Götterdämmerung“ eine Antwort auf diese Frage liefert? Jedenfalls bleibt der Genfer „Ring“ ein durchaus bemerkenswerter.

„Siegfried“ ist an der Genfer Oper am 5., 8. Februar, 16. und 23. Mai zu sehen.

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