Oldenburg - Wahnsinn? Aberwitz? Da rauscht Mozart mit C-Dur-Akkorden in seine Oper „Così fan tutte” hinein, unverhohlen eine Aufforderung, festlich gestimmt zu sein. Doch Dirigent Roger Epple und das Oldenburgische Staatsorchester dämpfen die Klänge betont ab. Und bevor die karikierenden Stafettenläufe der Streicher und Bläser ins Leere wirbeln, zuckt die Ahnung auf: Dieses „Dramma giocoso“ wird nicht fröhlich, es wird ganz bitter!

Wie das Orchester diese unergründliche Oper mit 18 Streichern, Naturhörnern, Naturtrompeten, Traversos und höchst lebendiger Rezitativ-Gestaltung am Hammerklavier (Robin Davis) angeht, ist ein Kabinettstück ebenso zeitgemäßen wie zeitlosen Mozart-Spiels. Die Musik kommentiert, ironisiert, legt Gift aus, genießt „con sordini“ Melancholie und Erotik, ahnt die Fortläufe voraus. Da mag Fiordiligi vorgeben, in ihrer Liebe „wie ein Felsen“ zu stehen, da hat die Musik das Gestein längst als porös erkannt.

Epple betont die Nuancen mit Farbschattierungen und Temporückungen, hält den Puls auf Touren, zündet Sprengsätze. Aber er überdreht nie, die Musiker wahren das zerbrechliche Ebenmaß. Wie die Regie vollkommen natürlich die musikalischen Stränge ergreift und die Figuren an ihnen entlangführt, macht die Oldenburger Inszenierung im Großen Haus zu einem Gesamtkunstwerk.

Niklaus Helbling wählt als Raum ein Fotostudio bei Don Alfonso. Der Hintergrund lässt sich zu einer imaginären Umgebung weiten (Bühne: Jürgen Höth). Die „Tableaux vivants“ im Atelier (Kostüme: Kathrin Krumbein) liefern logisch den Rahmen für die äußeren und inneren Maskeraden.

Wie viel oder wenig Anstoß braucht es, um ein scheinbar intaktes System umzustürzen? Das System Liebe der Soldaten Guglielmo und Ferrando zu den Schwestern Fiordiligi und Dorabella funktioniert – bis der lebenserfahrene Alfonso gegen die Treue der Frauen wettet. Der Übermut schlägt in Depression um, als den Paaren das frivole Spiel aus dem Ruder läuft und die große Liebe klein wird.

Weil der Regisseur für das schwer zu inszenierende Liebesexperiment den Rahmen der Komödie wählt, bohrt die Tragik um so tiefer. Weniger die Frauen in ihren ehrlichen Gefühlen sind blamiert (Così fan tutte – so machen’s alle), stärker verletzt und entsetzt sind die Männer von der eigenen Naivität und Hinterhältigkeit.

Die Balance zwischen flammender Leidenschaft und gespieltem Pathos hält das Sängerensemble eindrucksvoll: Inga-Britt Andersson/Fiordiligi mit sauber gesetzten irren Sprüngen in der Felsen-Arie; Linda Sommerhage/Dorabella gar nicht so spontan leichtfertig; Johannes Held/Guglielmo sehr geschmeidig und farbig; Stefan Heibach/Ferrando sauber intonierend aber etwas nasal in „Un Aura amorosa“; Monika Reinhard/Despina mit der hohen Kunst der Soubrette, in eine leichte Stimme viel Gewicht zu legen; Derrick Ballard /Don Alfonso mit warmem Timbre ohne Mätzchen. Das gefeierte Sextett fügt sich, wie auch der klar artikulierende Chor (Einstudierung: Thomas Bönisch), prächtig zusammen.

Auch am Ende zum moralischen Fazit steht C-Dur. Aber es strahlt wieder nicht. Alle sind desillusioniert und über sich selbst aufgeklärt. Auf nichts im Leben ist wirklich Verlass, nicht auf den Verstand, nicht auf die Gefühle. Così fan tutte? Ach, c’est la vie!