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"Eugen Onegin": Gefangen in den Konventionen

"Eugen Onegin" im Salzburger Landestheater: So sieht russischer Gutsbesitz des 19. Jahrhunderts auf der Bühne aus. Will man ausbrechen aus Etikette und Langeweile, führt das unweigerlich in die Katastrophe.

"Eugen Onegin": Gefangen in den Konventionen
"Eugen Onegin": Gefangen in den Konventionen


Auf den ersten Blick ist alles, wie man es sich vorstellt: die lichtdurchflutete Landhausarchitektur, die birkenweißen Bretter und Planken, das sparsame, elegante Mobiliar nebst ebenso eleganten Herrschaften, das folkloristisch bunt kostümierte Bauernvolk. Inszeniert André Heller-Lopes im Salzburger Landestheater Tschaikowskys "Eugen Onegin" wirklich wie aus dem Bilderbuch?

Da fangen die Probleme an. Man spürt, dass dem Regisseur mehr dazu durch den Kopf gegangen sein muss. Schon die popbunte naive Prospektmalerei am Anfang wirkt wie eine Bildstörung. Die Personen lächeln zu oft allzu krampfhaft. Späterhin wird die St. Petersburger Gesellschaft zu wie aufgezogen tanzenden weißen Mumien, dieweilen Onegin im schwarzen Kostüm von langer Reise zurückkehrt. Er ist fremd an diesem Ort der seltsam Leblosen, die jetzt seine einst von ihm verschmähte Liebe Tatjana eingemeindet haben. Vor Jahren hat er seinen Freund Lenski im Duell erschossen. Immer noch trauert er wie aus der Bahn geworfen.

Immer wieder friert die Regie für kurze Momente Bilder ein, stellt sie als Posen aus. Aber was klug gedacht scheint, findet im Zu- und Miteinander der Figuren zu keinem deutlich erkennbaren Ziel, auch nicht in der immer wieder durchbrechenden Vereinzelung. So bleibt: bestenfalls geschmackvolles, konventionell erstarrtes Arrangement.

Dabei wäre "Eugen Onegin" modern genug für einen entschiedenen Zugriff. Der Komponist nannte sein Werk von 1877/78 nicht Oper, sondern "Lyrische Szenen". Folgerichtig ist eine Handlung im musikdramatischen Sinn nicht entscheidend. Es sind vielmehr Zustands- und Situationsbeschreibungen, sensible, fragile, hochpoetische Momentaufnahmen, die jeweils spezifische (Klang-)Atmosphären herstellen.

Da wäre auch ein musikalischer Aquarellist gefragt. Salzburgs Musikdirektor Leo Hussain ist es nicht - was nicht heißt, dass er sich mit dem Mozarteumorchester nicht in zahllose Details vertieft hätte. Er setzt bedachtsam instrumentale Akzente, aber er schneidet sie aus Holz, statt sie zu kolorieren. Je länger, je mehr wird, vor allem in der Balance und im Lautstärkegrad, die Aufführung ungehobelt, wo feinsinniges Agieren und Reagieren gefordert wäre, eine ausgefeilte, differenzierte, an den Stimmen orientierte Rhetorik, ein anschmiegsames Atmen mit den Sängern.

Diese Sänger hätten alle Aufmerksamkeit verdient, denn sie bilden ein motiviertes, fabelhaftes Ensemble. Simon Schnorr hat für den Onegin das Gardemaß eines eleganten, hellen, biegsamen, dabei unaufdringlich gelösten Baritons, dem er die nötigen Bitterstoffe an Einsamkeit, Lebensüberdruss, Trauer und Gebrochenheit beifügen kann. Sergey Romanovsky bringt für Freund Lenski einen weich strömenden, auf dem Ton kolorierten Tenor von feiner Ausdruckskultur ein; seine Arie vor dem Duell ist ein solistisches Schmuckstück, das kleine, aber entscheidende Duett mit Onegin der bewegendste vokale Moment der Aufführung.

Für die von Anfang an verlorenen Lebensträume der Tatjana hat Zhala Ismailova einen immer wieder stark aufblühenden Sopran mit interessantem metallischen Kern. Ihre Schwester Olga zeigt bei Emily Righter schöne, lyrisch abschattierte Momente von verhaltener Lebenszugewandheit. Sorgfältig besetzt sind auch die kleinen, aber heiklen Rollen der verwitweten Mutter (Frances Pappas) und der Nanja (Anna Maria Dur). Alexej Birkus bietet für die dunkle, bei der Premiere einmal kurz irritierte Basstiefe des Fürsten Gremin fast juvenile Ausstrahlung, Franz Supper für das elegische Couplet des Monsieur Triquet mehr als nur Buffotöne.

Der Chor (Einstudierung: Stefan Müller) singt, spielt und tanzt mit glänzend engagierter Präsenz. Er rundet das Bild einer Neuinszenierung harmonisch ab, die mehr Potenzial hat, als sie sich auszuspielen getraut.
Oper: Eugen Onegin, Salzburger Landestheater, Vorstellungen bis 27. Mai.

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