Regisseur André Turnheim hat die Geschehnisse aus dem 17. Jahrhundert in die 1960er-Jahre verlegt: "Fadinger oder Die Revolution der Hutmacher" von Ernst Ludwig Leitner. 

Foto: Christian Brachwitz

Linz - Während sich die großen Wiener Musiktheater, ängstlich auf die Auslastungszahlen schielend, nur jedes Schaltjahr an eine Uraufführung trauen, ist nun am neuen Linzer Musiktheater schon die zweite Opernneuschöpfung binnen zehn Monaten zu erleben: Nach Philipp Glass' Spuren der Verirrten ging am Wochenende Ernst Ludwig Leitners Oper Fadinger oder Die Revolution der Hutmacher über die Bühne des eleganten Hauses.

Franzobel hat sich der Geschichte Stefan Fadingers angenommen, der 1626 im oberösterreichischen Bauernkrieg für Religionsfreiheit und gegen die bayerische Fremdherrschaft kämpfte. Der dramaturgische Aufbau der 18 Szenen des Zweiakters passt, die Geschehnisse werden geradlinig nacherzählt. Graf von Herberstorff wird als großer, grässlicher und zugleich weichlich-dekadenter Gegenspieler des Bauern aus dem Hausruckviertel herausgestellt, und auch auf die vernachlässigten und gedemütigten Frauen als Verliererinnen aller (männlichen) Kriegshändel vergisst der österreichische Schriftsteller nicht.

In der konkreten lyrischen Arbeit - sie scheint bei manchem Bild und manchem Reim in Sekundenschnelle erledigt gewesen zu sein - bietet Franzobel jedoch reichlich Gelegenheit zum Fremdschämen und unterfliegt den für heimische Bühnendichtung heranzuziehenden PTS (Peter-Turrini-Standard) oft und mit Verve. Bei der von Herberstorff angeordneten Ermordung von 17 Revolutionären nach dem "Frankenburger Würfelspiel" lässt Franzobel etwa den Chor singen: "Das Blut wird dick, die Füß' wer'n schwer, / wir safteln aus und stinken sehr." Schmunzeln zum Kollektivmord?

Regisseur André Turnheim hat die Geschehnisse aus dem 17. Jahrhundert in die 1960er-Jahre verlegt, Fadinger trägt Anzug und Schlips und wohnt mit seiner barbieblonden Frau und den zwei Töchtern in einem spießigen, sterilen Häuschen. Die Regieidee dahinter: Fadinger revoltiert auch gegen die Enge der protestantischen Familienwelt; im Krieg bricht sich dann das Animalische im Mann wieder Bahn.

Wunderschöne Bilder

Den historischen Kern des Werks kann man so natürlich vergessen: Gegen wen soll der White-Collar-Bauer Fadinger in den 60er-Jahren aufbegehren - gegen die Raiffeisenbank? Aber egal: Turnheim inszeniert in Summe ein abwechslungsreiches, intensives, farbiges Schauspiel und produziert mithilfe seines Ausstatters Florian Parbs auch wunderschöne Bilder: An Frisur, Figur und Styling der weiblichen Hauptfiguren hätte Alfred Hitchcock selig seine Freude gehabt.

Die musikalische Seite des Werks wie auch dessen Interpreten überzeugen fast vorbehaltlos. Martin Achrainer ist ein kraftvoll spielender, kraftvoll singender Titelheld, den man für jede Hollywood-Filmpoduktion engagieren könnte. Daniel Lager wird - mit kahl geschorenem Kopf, Brillantencollier und glitzernden Stöckelschuhen zum schwarzen Anzug - zu seinem geifernden Gegenspieler Graf von Herberstorff; mit der Durchschlagskraft seines Countertenors kann Lager Armeen in die Flucht schlagen.

Nicht nur optisch eindrucksvoll auch der Hitchcock-Frauenblock: Fadingers Gattin Crisam (als indisponiert angesagt, aber gewinnend: Gotho Griesmeier) und Martha Hirschmann als Cilli Zeller. Mit Iurie Ciobanu als ihrem Gatten und Jacques le Roux als Hofmeister Lochinger verfügt die Produktion über zwei exzellente Charaktertenöre. Engagiert Matthias Helm als Achatz Wiellinger, ein solider Erzähler Hans-Günther Müller als Bankelsänger Melchior. Dennis Russel Davies bringt die komplexe Partitur des gut zweistündigen Werkes mit dem Bruckner Orchester Linz und dem Chor des Landestheaters Linz (Leitung Georg Leopold) auf einem beachtlichen Niveau zu Gehör. Einmal gibt es im zweiten Akt szenebedingt einen Hänger, und das Werkl steht still: geschenkt. Das darf bei einer Uraufführung passieren.

Der Star des Abends ist jedoch die Musik: Ernst Ludwig Leitner ist mit Fadinger ein wundervolles Werk gelungen. Die Partitur ist handwerklich erstklassig gearbeitet, die Charakterisierung der Figuren gelingt exzellent: so etwa die weichlichen Züge Herberstorffs, wenn sich Querflöte und Harfe in einem Walzer wiegen. Die Cellogruppe schmachtet kollektiv, wenn der Frauen Leid Ausdruck verliehen werden soll; und das Solocello darf, begleitet von einer Oboe, Einsamkeit schildern.

In einem nie versiegenden Fluss wechseln Drama und Lyrik, Pathos und Intimität, fesselt und bezaubert der 1943 in Wels geborene Oberösterreicher mit einmal schlank skizzierter, einmal üppiger, mal rhythmisch geprägter, mal seidensafter Musik. Der Komponist beherrscht und zitiert Stile aus mehreren Jahrhunderten Musikgeschichte, auch der ländlichen, und erzählt dennoch in einer gemäßigt modernen, auf Reihen basierenden Tonsprache, die Mama Dur und Papa Moll jedoch nicht verleugnet. Bisweilen erinnert sie an jene Alban Bergs: Bauerngeneral Fadinger als Leitners Wozzeck light. Lauwarmer Applaus, wärmste Empfehlung. (Stefan Ender, DER STANDARD, 10.2.2014)