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Bühne und Konzert Mozart

Amadeus rockt hier niemanden vom Stuhl

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Mittelgroße Oper: Mozart „La Clemenza di Tito“ in München Mittelgroße Oper: Mozart „La Clemenza di Tito“ in München
Mittelgroße Oper: Mozart „La Clemenza di Tito“ in München
Quelle: © Wilfried Hösl
An der Bayerischen Staatsoper versucht sich Kirill Petrenko als neuer Generalmusikdirektor erstmals an einem Hausheiligen. Er bleibt leise. Und Jan Bosses Regie für „La Clemenza di Tito“ ist fad.

Die Bayerische Staatsoper ist hierzulande das einzige Opernhaus, wo noch die alte absolutistische Rangordnung des Sehens und Gesehenwerdens regiert.

In den zweimal drei gestaffelten Proszeniumslogen sitzen sich – eingerahmt von korinthischen Säulen, roten Seidenvorhängen, Balkonbrüstungen mit Girlanden und Königskronen sowie bayerisch himmelblauen Wandbespannungen – in den repräsentativen oberen Abteilungen die Wittelsbacher und die Staatsregierung und darunter die Angehörigen des Generalmusikdirektors sowie die Intendantenfamilie gegenüber. Im schlicht marmorierten Souterrain dürfen Hausangestellte Platz nehmen.

Bei der Premiere von Mozarts letzter, immer noch nicht wirklich geliebter, weil allzu sehr mit der überalterten Seria-Form spielenden Oper „La Clemenza di Tito“ bleiben freilich die unteren vier Logen frei, und die Intendanz hat den Platz der Politik eingenommen. Alles natürlich hochsymbolisch. Denn Jan Bosse wollte bei seinem Münchner Musiktheaterdebüt aus der Not des für dieses intime Werk eigentlich zu großen Raumes eine Tugend und ein Konzept machen.

Das Übliche von Eifersucht bis Zerknirschtheit

Während im sehr hochgefahrenen, weiß ausgeschlagenen Orchestergraben weiß behemdete Musiker Platz nehmen, werden die Logen von schrill perückten Choristen in puffärmeligen Nachthemden besetzt. Und auf der stark an den Zuschauraum herangezogenen Bühne von Stéphane Laimé zeigt sich albinohaft eben jener Proszeniumszierrat des Hauses als Spiegelung über amphitheaterlichen Stufen.

Immer ist es als Kulisse zu erkennen, nach der Pause ragt nur noch nacktes Theatertechnik-Gestänge auf. Das römische Kapitol, wo gleich die übliche Opernintrige mit Eifersucht, falschen Bräuten, irregeleiteter Loyalität, amouröser Manipulation, Mordanschlag, Brand, unerwartet gnadenreicher Imperatorenmilde und allgemeiner, nur vom Volk bejubelter Zerknirschtheit abrollt, als illusionäre Verdoppelung der real inszenierten Architekturverhältnisse.

Das ist spaßig, zumal jetzt auch gleich noch die sechs handelnden Personen in herrlich überkandidelten, von Victoria Behr forsch bei Vivienne Westwood abgekupferten, zwischen Rom, Rokoko und Heute oszillierenden Kostümen antreten. Auch Kirill Petrenko macht mit seiner zarten, ziselierten die Mittelstimmen fast wie einen gegenläufigen Unterstrom steuernden Ouvertüre Laune. Das flirrt und flirtet, möchte besonders den zierlich-zärtlichen, oft eben auch trauerumflorten Holzbläserlinien des späten Mozart Raum und Bedeutung geben.

Mätzchen in Unterwäsche

Doch leider, leider: Schnell fällt dieses Mozart-Spukschloss wie Schaumgebäck in sich zusammen. Und nicht nur weil das Werk eben nur 1b ist, Mozart keine Zeit für die (hier zum Glück stark gestrichenen) ledrigen Rezitative hatte, sich an vielerlei kleinteilige Ensemblenummern klammert, um am meist moderat langen, immer noch starren Ariengerüst zu rütteln.

Je hilflos banaler die Akteure herumhampeln, und spätestens wenn die überflüssigen Videos loslegen, desto schneller merkt man: Das Anspielungskonzept, das sind nur Mätzchen, bei denen am Ende alle in Unterwäsche ihren falschen Träumen nachhängen. Bosse hat keine echte Idee für die Geschichte und ihren unerwartet positiven, von ihm brav durchgezogenen, den abgedankten Herrscher vereinsamt vor dem Vorhang auf seinem Theatersessel-Thron zurücklassenden Schluss. Seine Personenregie repetiert Klischees, die Sänger retten sich darstellerisch in Routine.

Vokal hat das viele Meriten, aber wenig Glanz, denn inzwischen muss selbst die reiche Bayerische Staatsoper auf ihr verjüngtes Ensemble setzen. Tara Erraughts verzweifelter, auf der Bühne von Markus Schöns tröstlicher Bassettklarinette begleiteter Sesto in Damenpumps ist als heimliche Hauptperson sympathisch, aber er rührt nicht.

Hauptsache, die Quaste sitzt

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Hanna-Elisabeth Müllers Sevilia scheint mehr durch ihre rosa Tuffrockquaste präsent als durch ihr Singen. Auch der Annio (Angela Brower) in Macaronazur und der als bärtig assyrische Gouvernante mit Cowboystiefeln die Masse manipulierende Vertraute Publio (Tareq Nazmi) bleiben stimmlich blass.

Die beiden Gäste machen ebenfalls keine Topfigur. Kristine Opolais als die Verschwörungshandlung steuernde Vitellia sieht mit ihrem gelben Krinolinenschlauch kämpfend zwar aus wie die Baroque-Queen Simone Kermes, trifft als Verismo-Sopran die Diventöne aber nur ungenau.

Und bei dem von einer Kehlkopfkrebsoperation wiedergekehrten Toby Spence als unterbelichtet jungem Titus im Kampf mit seiner weißen Talarschleppe, muss man traurig konstatieren, dass Timbre und Kraft offenbar stark gelitten haben.

In Berlin war Petrenkos Mozart besser

Hoch, vielleicht allzu hoch waren die Mozart-Erwartungen an den neuen Generalmusikdirektor Kirill Petrenko. Bei seinem ersten Treffen mit einem der Münchner Komponistenhausheiligen verhält er sich ganz gegensätzlich zu seiner Berliner Chefzeit. An der Komischen Oper war sein Mozart wild, rau und körperhaft, den „Tito“ versucht er durch Feinarbeit und oft langsam genaue Tempi zu veredeln.

Doch vieles zerfasert, Arienbögen brechen ein, das erste Finale verpufft völlig. Im weiten, gefährlich offenen Bühnenraum wird der allzu intime Ansatz zur Flüstertüte. So bleiben oft nur Mozart-Brösel im Konzept-Nirwana übrig. Dafür trotzdem viel ungetrübter Applaus.

Termine: 12.,15. (live und kostenlos auf www.staastoper.de/tv), 20., 23., 26. Februar, 16., 19. Juli

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