Für Mauricio Kagel waren wir wilde, wienerlich-labile Weiße

(C) Kameroper
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„Mare Nostrum“, das ironisch-doppelbödige Gedankenspiel, in der Kammeroper, inszeniert von Christoph Zauner. Sehenswert.

Und wenn die Geschichte der Conquista umgekehrt abgelaufen wäre? Mauricio Kagel spielt das Gedankenexperiment in einem irgendwo zwischen Minioper und seinem berühmt gewordenen Konzept vom „instrumentalen Theater“ angesiedelten „Mare Nostrum“ durch, das 1975 in Berlin uraufgeführt wurde und nun erstmals in Österreich zu erleben ist. Da entdeckt ein expansionslüsterner Amazonasstamm das alte Europa und unterwirft, pardon: „befriedet“ die Völker der „wilden Weißen“ rund um das Mare Nostrum, wie die Römer so vollmundig wie zutreffend das Mittelmeer genannt hatten.

Der südamerikanische Eroberer fungiert logischerweise auch als Erzähler – die Sieger schreiben die Geschichte –, und das in einem sprachspielerisch (de-)konstruierten Kunst-Kauderwelsch, das von teils auf der Hand liegenden, teils verblüffenden Querverbindungen lebt, die Kagel als sein eigener Librettist verschmitzt ausgeklügelt hat. Viele der verbogenen Wörter, ob nun durch Grammatikfehler, vertauschte Vokale, falsche oder eingeschobene Silben, lassen über ein kalauerhaftes Moment hinaus tief blicken: Zumal in Wien wird gekichert, wenn die Wilden als „wienerlich-labil“ beschrieben werden.

Von bunten Rosenkränzen beeindruckt

Zudem gilt es zu beanstanden, dass sich die Eingeborenen durch bunte Rosenkränze beeindrucken lassen, selten baden, abstrusem Aberglauben anhängen – und alles, was sie nicht mehr brauchen, einfach ins Wasser werfen ... Schnell wird klar, dass die Parallelwelt zum Spiegelbild wird, das Verkehrte das Gleiche bleibt – aber es sich für Europäer doch ganz anders anfühlt, plötzlich in der Rolle des bedrohten Opfers aufzutreten.

„Eigentlich fühle ich mich überall etwas fremd – nicht grundsätzlich, aber genug, um von ,latenter Befremdung‘ zu sprechen“, stellte Mauricio Kagel (1931–2008) einmal fest. Er war eine der schillerndsten Figuren in der jüngeren Musikgeschichte. Geboren in Buenos Aires kam er mit einem Stipendium 1957 nach Köln, wo er als Komponist bald zum inneren Kreis der Avantgarde zählte, dabei aber auch auf Humor als künstlerisches Mittel nicht verzichtete. Sein erwähntes „instrumentales Theater“ nimmt Randaspekte musikalischer Praxis (Bewegung, Gestik, Mimik u.a.) ins Visier, macht sie dadurch neu oder überhaupt erst dezidiert wahrnehmbar und künstlerisch nutzbar.

Regisseur Christoph Zauner und Ausstatter Nikolaus Webern spielen darauf an, indem sie vier der sechs Musiker auf der Bühne platzieren. Zwischen Abstraktion und Klangmalerei, herkömmlichen und geräuschhaften Spieltechniken oszilliert die unter Gelsomino Rocco markant realisierte Partitur, die vom Cello bis zum Schofar allerlei Instrumente einsetzt, hintersinnig mit Zitaten arbeitet, Konzepte der kulturellen Anverwandlung durch die Mangel dreht und auch den beiden Sängern einiges abverlangt: Bariton Ben Connor als breitschultrig und -beinig durch die Gegend staksender Konquistador spielt da u.a. ebenso Akkordeon wie der wandlungsfähige Rupert Enticknap, der diverse Europäer mit sensiblen Countertenortönen zeichnet.

Wer zuhört, versteht schon

Dass Kagel die politisch-moralische Botschaft des Ganzen nicht ausformuliert, wurde ihm vor 40 Jahren von manchen noch angekreidet, heute aber dankend zur Kenntnis genommen: Wer zuhört und mitdenkt, versteht ohnehin. Einhelliger Beifall für 85 Minuten mit nur kleinen Längen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2014)

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