Klangschöne Kleinstadtkomödie

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Benjamin Brittens "Albert Herring", inszeniert von Brigitte Fassbaender und dirigiert von Gerrit Prießnitz: ein großer Erfolg mit kleinen Abstrichen.

Albert Herring hat's nicht leicht. Immer die Plackerei im Gemüseladen seiner Mutter, die ihn noch dazu vor jeglichen „unmoralischen“ Vergnügungen fernhält – für die er ohnehin viel zu schüchtern wäre. Für Mädchen zum Beispiel. Ganz anders sein Freund Sid, der sich heimlich mit Nancy trifft. Die gefiele Albert auch, aber er muss sich mit Äpfel stibitzenden Kindern herumschlagen – und dann vor allem mit der Peinlichkeit, dass ein Tugendkomitee des Städtchens, bestehend aus den Honoratioren unter Führung der schrecklichen Lady Billows, ihn zum Maienkönig krönen will. Als Notlösung, zugegeben, denn ein über jeden Zweifel erhabenes Mädchen, wie die Tradition der Maienkönigin es eigentlich verlangte, ist schlicht keines mehr zu finden...

Benjamin Brittens „Albert Herring“, 1947 in Glyndebourne uraufgeführt, rasch populär und etwa von Swjatoslaw Richter als „größte komische Oper des Jahrhunderts“ gerühmt, ist so etwas wie das Satyrspiel zum zwei Jahre älteren „Peter Grimes“. Die lebenslangen Hauptthemen von Brittens Bühnenwerken, nämlich die Rolle des Außenseiters und der Verlust einer (wie auch immer definierten) Unschuld, finden sich hier als Komödie abgehandelt: eine Komödie, die das Kleinstadtleben zugleich aufs Korn nimmt und dessen typisiertem Personal doch mehr als nur Reste von Liebenswürdigkeit belässt. Dabei wirkt die reizend angegraute Story fast zu dünn für die drei Akte, aber der Librettist Eric Crozier und vor allem Britten mit seiner Musik konnten sie so aufbereiten, dass das Interesse noch heute nie erlahmt. Meisterhaft, wie das solistisch besetzte Orchester zwischen Klangfülle und zarten Einzellinien changiert und vor allem für Kenner musikalische Pointen bereithält, von denen die Anspielungen auf „Tristan“ an der Oberfläche liegen, andere dagegen tiefer gehen. Der salbadernde Gesang etwa, den der Pfarrer anstimmt, als Alberts Eignung diskutiert wird, parodiert viktorianische Balladen, die großen Ensembles rufen augenzwinkernd die italienische Operntradition in Erinnerung.

Szenisch homogenes Ensemble

Besonderes Vergnügen bereitet unter diesen die „Threnody“ des dritten Aktes, in der alle um den vermeintlich toten Albert jammern: Mit wechselnden, aus dem Ostinato heraustretenden Soli steigert sich das Trauerpathos zu komischer Größe. Dazu die pompös aufgeblasenen Klänge rund um Lady Billows, Groteskmärsche, leichtgewichtig dahineilende Fugen, die impressionistisch tönende Nachtszene und vieles mehr: Bunt, aber doch homogen deutet die Partitur Text und Situationen stets plastisch aus.

Gerrit Prießnitz hat all das nicht nur penibel einstudiert, sondern kann es mit dem Volksopern-Orchester auch mitreißend und klangschön realisieren: Der Dirigent ist ein unbestreitbares Atout der Produktion, die vom Tiroler Landestheater übernommen wurde und nun in der Volksoper einhelligen Jubel erntete. Das zweite Plus ist Brigitte Fassbaenders Inszenierung, es war 2012 ihre letzte als Innsbrucker Intendantin. Nun hat sie diese in Wien neu einstudiert – und dabei geschafft, aus einer keineswegs in allen Rollen ideal zu nennenden Besetzung ein szenisch homogenes Ensemble zu machen, das mehr ist als nur die Summe seiner Teile. Jeder Charakter bekommt individuelle Schrullen und Schwächen verpasst, an denen sich das Publikum dankbar delektiert: Bigotte Abgründe werden gezeigt, doch nicht überzeichnet. Darüber hinaus unterfüttert Fassbaender die Handlung mit manch zusätzlicher, dennoch nicht überbordender Situationskomik, an der auch die drei Kinderpartien ihren Anteil haben. Sängerisch ragt Daniel Ochoa als kerniger Sid hervor, im Zentrum aber steht Sebastian Kohlhepp in der Titelpartie: Grundsympathisch, mit heller, klarer Tenorstimme und bester deutscher Diktion muss er sich zum tugendhaften Pfingstochsen ausstaffieren lassen, bevor er sich spektakulär emanzipieren kann – und hier, der Regie sei Dank, zuletzt sogar in Liebesdingen die Nase vorn hat. Dass er allerdings über die eingestandenen Eskapaden hinaus noch mehr gewagt haben könnte, nimmt man ihm nicht ab.

Einwände lassen sich freilich erheben gegen die zeitliche Versetzung vom Beginn des 20.Jahrhundert an dessen Ende (Ausstattung: Bettina Munzer), die weniger bringt als sie kostet: Die soziale Übermacht der Lady Billows wäre in historischem Ambiente glaubwürdiger. Und auch die deutsche Übersetzung wirft mehr Probleme auf, als sie löst: der Volksoper selbst gewähltes Schicksal.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2014)

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