Diese Gräfin Mariza wäre ein Fall für Sigmund Freud

FOTOPROBE: ´GRÄFIN MARIZA´
FOTOPROBE: ´GRÄFIN MARIZA´(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Emerich Kálmáns klischeebelastete Monarchie-Phantomschmerz-Operette hatte am Samstag der Volksoper Premiere. Das Genre wird nicht neu erfunden, nicht jeder Regieeinfall glückt.

Ein umsichtiger Mann hat immer ein zweites Marzipanschweinchen dabei. Es ist diese Szene Mitte des ersten Aktes, mit der die neue „Gräfin Mariza“ an der Wiener Volksoper nach einem eher lauen Beginn doch noch abhebt: als der doppelt falsche Koloman Zsupán in Gestalt von Boris Eder der verdutzten Lisa die soeben verehrte Sau ohne Genierer wieder entreißt, sie an sein eigentliches Zielobjekt Mariza weiterreicht und Lisa mit einer kleineren Ausgabe abspeist. Mariza hat sich diesen Koloman aus Johann Strauß' „Zigeunerbaron“ ja nur als ganz und gar fiktiven Verlobten „ausgeborgt“ – und dann steht zu ihrem von Astrid Kessler ganz köstlich gespielten Entsetzen plötzlich ein Mann dieses Namens leibhaftig vor ihr, mit eine gonz schwärä ungorischäs Akzänt.

Marizas Überwältigung durch den Auftritt dieses rotlederbejackten Hochstaplers, der zweimal „Hier“ gerufen hat, als Gott das Testosteron verteilt hat, lässt Regisseur Thomas Enzinger mit einem gelungenen Kniff bildhaft werden, indem die Gräfin von gleich zwölf Kólóman-Doubles in die Enge getrieben wird. Womit bewiesen wäre, dass der ermüdend beliebte Regieeinfall des Verfielfachens von Figuren auch sinnvoll eingesetzt werden kann. Weniger geglückt ist der Rahmen, der dieser Operette ganz ohne Not verpasst wird: die penetrant hereinplatzenden Dialoge, mit denen der alte Diener Tschekko einem Mädchen die Geschichte erklärt. Auf der Skala überflüssigen Beiwerks rangiert dieser Einfall ganz weit oben, der Versuch, ihn in Selbstironie zu wenden („jetzt stör' doch nicht dauernd“), geht peinlich schief.

Schwere Nikotinsucht

Das ändert nichts daran, dass diese Neuproduktion von Kálmáns zigeuner- und paprika-satter Monarchie-Phantomschmerz-Operette großteils funktioniert, und dieser Erfolg hat (neben der nie durchhängenden Musik Kálmáns) mehrere Eltern: zunächst Hausdebütanten Alexander Rumpf am Dirigentenpult. Er hebt die dunkleren Farben der Partitur hervor, die, obwohl inhaltlich völlig stimmig, sonst oft überdeckt werden: Die eine Hauptfigur, Graf Tassilo (etwas gar brav angelegt von Carsten Süss), musste alles verkaufen und sich zum Verwalter degradieren, die andere, Mariza, sucht insgeheim jenseits aller auf ihr Geld abzielenden Verehrer die große Liebe.

Mit unbeschwerter Walzerseligkeit hat das erst einmal gar nichts zu tun, mancher Dreiertakt scheint geradezu von der inneren Verzweiflung der Figuren getrieben zu sein, vom Hysterisch-Nervösen dieser schwer nikotinsüchtigen Mariza. Astrid Kessler stellt sie als so verletzende wie verletzliche Frau dar, der man gern einen Termin bei Freud vermitteln würde. Und auch stimmlich überzeugt Kessler am stärksten: Ihr kräftiger Sopran kann noch einmal die entscheidenden Watt zulegen, wenn Orchester und Chor sich bereits im Forte ergehen. Carsten Süss stellt ihr allerdings weder stimmlich noch darstellerisch viel entgegen, hat auch dann Mühe, sich gegen das Orchester zu behaupten, wenn es sich zurücknimmt.

Seine nicht uncharmante Stimme mischt sich auch kaum mit dem Mariza-adäquat selbstbewussten Sopran Kesslers. Auch was den Rest des Ensembles betrifft, haben die Damen (Anita Götz gibt eine bezaubernde Lisa, Annely Peebo eine nicht ganz klischeefreie Zigeunerin Manja) gegenüber den Herren (Toni Slama, im Brotberuf Schauspieler, als aggressiver Fürst Populescu und eben Boris Eder als Kólóman) stimmlich eindeutig die Nase vorn.

Und dann war da ja noch der Herr Direktor. Robert Meyer gehört zu jenen Komikern, deren bloße Präsenz schon Lacher hervorkitzeln kann, da muss er noch gar nichts sagen. Tut er dann als Fürstin Boženas (köstlich: Helga Papouschek) Kammerdiener und Mimik-Ersatz Penižek natürlich doch, mit einem Feuerwerk an Burgtheater-Anspielungen und einer erfrischenden Respektlosigkeit gegenüber Mariza („Komm her, du Trutscherl“). Mit dieser Produktion in der Hinterhand hat Meyer freilich auch selbst gut lachen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2014)

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