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Bühne und Konzert Oper Graz

Konwitschny und die Kindesmörderin

Gelb ist die Hoffnung: Das Kind ist tot, und trotzdem gibt es einen versöhnlichen Schluss Gelb ist die Hoffnung: Das Kind ist tot, und trotzdem gibt es einen versöhnlichen Schluss
Gelb ist die Hoffnung: Das Kind ist tot, und trotzdem gibt es einen versöhnlichen Schluss
Quelle: Werner Kmetitsch
Das Operndrama als Reifungs- und Findungsprozess: Peter Konwitschny inszeniert Janáčeks „Jenufa“ in Graz – ganz ohne die drastischen Kunstgriffe, für die er sonst so berüchtigt ist.

Muss es denn immer richtig Konwitschny sein? Das kommt wohl auf das Stück an. In Graz, an dessen Opernhaus Peter Konwitschny bereits so vieles inszenieren konnte, hatte nun seine zweite Auseinandersetzung mit einem Werk des Tschechen Leoš Janáček Premiere. Nach Janáčeks letztem Musikdrama „Aus einem Totenhaus“, das Konwitschny 2011 für Zürich deutete, hat er sich nun der viel früheren „Jenůfa“ angenommen.

Konwitschny scheint jedenfalls auf den Janáček-Geschmack gekommen zu sein, hat Blut geleckt an der so singulären und faszinierenden Tonsprache des Tschechen. Weitere Arbeiten werden folgen: in Bratislava die „Die Sache Makropoulos“ und „Katja Kabanova“ in Kopenhagen.

Die 1904 in Brünn uraufgeführte „Jenůfa“ hat im Untertitel „Ihre Stieftochter“ stehen und ist eine Oper in drei Akten „aus dem mährischen Bauernleben“. Jenůfa ist die Stieftochter einer Küsterin, lässt sich noch vor der Ehe von ihrem Lover Števa schwängern, worauf die Tragödie ihren Lauf nimmt. Laca, der sie ebenfalls begehrende Stiefbruder Števas, schlitzt ihr aus Eifersucht die Wange auf, worauf sie von Števa fallen gelassen wird.

Der Regisseur trickst dieses Mal nicht

Die Küsterin versteckt die Schwangere bis zur Geburt, kann aber die Schande nicht ertragen und ertränkt den unehelichen Buben im eisigen Bach. Als die Leiche im Frühjahr gefunden und Jenůfa für die Mörderin gehalten wird, gesteht die Küsterin, die längst von ihren Gewissensbissen zerfressen wird. Laca und Jenůfa finden doch noch zusammen. Ein kraftvoller Stoff. Einer, der vom heiß für die mährische Sache brennenden Janáček ganz dezidiert im ländlichen Milieu verankert ist.

Das ist die Vorgabe, der sich sogar Peter Konwitschny beugt. Dorf bleibt diesmal Dorf. Konwitschny, sonst ein Meister im Verfremden, ein geradezu manisch und gern provokant in andere Welten assoziierender Spieler, trickst bei Jenůfa nicht. War das sibirische Straflager im „Totenhaus“ noch ein todschickes Neureichen-Penthouse, in dem sich testosterongeladene Wirtschaftsheinis und Alpha-Männchen tummelten, setzt Konwitschny gemeinsam mit seinem Ausstatter Johannes Leiacker diesmal auf puristische Klarheit.

Wo Attilas Horden noch als Kindergartenbälger Ringelrein tanzten, als Konwitschny die frühe Verdi-Oper im letzten Jahr kindisch, drall und lustvoll auf die Bühne des Theaters an der Wien wuchtete, feiert in Graz die Dorfjugend, so wie sie sich wohl auch Janáček gedacht hat. Keine Mütter werdenden Teenager, kein Sozialporno von heute.

Am Ende sprießen gelbe Blumen

Konwitschny hält Janáčeks Figuren für zu wenig abgebrüht, als dass er sie in ein anderes Milieu verfrachten könnte. Daher gibt es dörfliche, bigotte Enge und ein präzises Kammerspiel von überraschend solidem, wenn auch sehr präzisem und gekonntem Zuschnitt.

Bett und Tisch. Das sind für Konwitschny die zentralen Requisiten, die wichtigsten Orte des Lebens. Mehr stellt ihm Leihacker nicht auf die leere Bühne, die sich in den drei Akten in jeweils einer Jahreszeit präsentiert. Grünen Rasen, Sommer, gibt es für den ersten. Winter herrscht auf schneebedecktem Boden, wenn Jenůfa ihr Kind gebiert und die Küsterin es ins Wasser steckt. Gelbe Blumen sprießen, wenn das Drama zu seinem Ende kommt.

Für Konwitschny ist das bereits mit dem Geständnis der Küsterin gekommen. Das Schlussduett zwischen Laca, dem Aleš Briscein charaktervolle Kontur gibt, und Jenůfa, die Gal James mit lyrischer Qualität zu Beginn noch etwas blass und sich steigernd gibt, sieht er als Epilog.

Konwitschny glaubt an Janáček

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Und so schließt sich der Vorhang bis auf einen kleinen Spalt, nachdem die Küsterin abgeführt wurde. Vor den leuchtenden Samt tritt Jenůfa, dann Laca in die kreiselnde, schwirrende Dur-Ekstatik des Finales, um in den Versuch eines gemeinsamen Lebens aufzubrechen.

Konwitschny glaubt an Janáček, so, wie der daran glaubte, dass in jedem Menschen doch ein Funke Gottes steckt – und sieht das Drama als Reifungs- und Findungsprozess. Mit großer Zuneigung zeichnet er die Figuren, allen voran die Küstern, der Iris Vermillion darstellerisch wie sängerisch beachtliches, zwingendes Format verleihen kann. Sie ist kein Monster, sondern selbst ein Opfer ihrer eigenen Liebe, von Kirche und Gesellschaft, die sich im Schicksal ihrer Stieftochter erkennt.

Ein Wiedersehen gibt es mit der wunderbaren Dunja Vejzović, der als alter Buryja eine liebenswerte Charakterstudie gelingt, die sogar ein Tänzchen wagt, weil ihr volltrunkener, verzogener Enkel Števa, der solide Taylan Reinhard, nicht zum Militär muss.

Zum Trost gibt es ein Geigensolo

Doch ganz kann Konwitschny es nicht lassen und durchbricht die szenische Selbstkasteiung doch einmal: Aus dem Orchestergraben, in dem Dirk Kaftan die Brünner Fassung von 1908 mit dem Grazer Philharmonischen Orchester mustergültig einstudiert hat, holt er sich eine Geigerin. Sie umspielt im zweiten Akt mit ihrem Solo die einsame Wöchnerin Jenůfa tröstlich, während die Küsterin das Kind mordet.

Das zeigt auch, wie eminent musikalisch Konwitschny zu inszenieren weiß. Es ist einer von vielen schönen und trotz Zurückhaltung starken Momenten an diesem Abend, an dem nur einige wenige Sekunden an die Grenze des unfreiwillig Komischen verrutschen. Man sieht: Auch das kann Peter Konwitschny sein.

Termine: 3., 13., 25. April, 7., 17., 21. Mai, 4., 6., 15. Juni

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