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Wirre Träume gefährden die KarriereVon Stefan Schmöe / Fotos von Barbara Aumüller
Was bewegt einen von den Nazis verbotenen Komponisten, in der inneren Emigration eine phantastische Märchenoper zu schreiben? Walter Braunfels, geboren 1882, war in den 1920er-Jahren ein viel gespielter Komponist. 1925 zum Gründungsdirektor der Kölner Musikhochschule berufen, 1933 als Sohn eines protestantisch getauften, gemäß der nationalsozialistischen Rassenlehre aber jüdischen Vaters als "Halbjude" aller Ämter enthoben und von der Musikwelt fortan ignoriert, schrieb er von 1934 - 37 an dem "dramatischen Märchen" Der Traum ein Leben nach einer Dichtung von Franz Grillparzer. Da war die große Zeit der Märchenopern freilich schon vorbei, auch wenn die Uraufführung in Wien schon geplant war, aber dem Anschluss Österreichs an das Hitlerreich zum Opfer fiel. Erst recht nach 1945 war das Werk ein Anachronismus, erlebte 1950 - da war Braunfels längst wieder als Hochschulrektor eingesetzt - zwar eine (gekürzte) Einspielung beim Hessischen Rundfunk; zur szenischen Uraufführung kam es allerdings erst 2001 am kleinen Theater Regensburg. Eine wirkliche Renaissance dürfte dem Werk auch nach dieser Bonner Produktion nicht bevorstehen. Im Schwebezustand in den Albtraum: Rustan (Endrik Wottrich)
Über den Text im edlen Versmaß und die Handlung ist die Zeit hinweg gegangen: Rustan, ein Jäger vom Land, ist unschlüssig, ob er Mirza, die Tochter des Landbesitzers Massud, heiraten soll oder zu Höherem berufen ist - dazu jedenfalls rät ihm sein Diener Zarga (im Textbuch ein "Negersklave"). Eine Nacht Bedenkzeit trotzt Mirza ihm ab, und in dieser Nacht träumt Rustan, wie er, von Zarga zu Betrug und Mord verführt, zum Herrscher aufsteigt und prompt stürzt. Da wird der angehende Schwiegervater im Traum zum König (der gemeuchelt werden muss), Mirza zur märchenschönen Prinzessin. Der Traum bekehrt Rustan: Er wird nicht weiter nach Ruhm eifern, sondern sein Glück im zurückgezogenen Landleben an Mirzas Seite finden. So wie Braunfels sich dem Berufsverbot fügte? König in Not (Rolf Broman)
Es liegt nahe, hier eine Parallele zu Braunfels' erzwungener innerer Emigration in seiner Bad Godesberger Stadtwohnung zu sehen, allerdings ist dieser Rustan ein merkwürdig zaudernder Held, getrieben durch den holzschnittartig ehrgeizig-bösen Zarga, gelegentlich beflügelt durch die erotischen Reize der Prinzessin. Die Parallele zu dem zögerlichen Prinzen Tamino aus Mozarts Zauberflöte war Braunfels offenbar so wichtig, dass er Schikaneders Libretto unverblümt zitiert: "Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren" ruft es hier wie dort, nur ist es bei Braunfels nicht der Held, sondern der alte König, der von einer Schlange verfolgt wird, und Rustan wird zum Retter - wenigstens beinahe, denn er ist (wie Tamino) unfähig, das Untier zu besiegen (das erledigt ein unbekannter Fremder), gibt sich aber, wenn auch reichlich halbherzig, für den Retter aus. Das ist schon eine ziemlich dubiose Figur, deren Ambivalenz zwischen Gut und Böse viel aus mehr Hilflosigkeit denn aus psychologischer Zerrissenheit herrührt. Die Musik dazu ist in der Romantik verwurzelt, atmet aber - gewollt oder nicht - die Atemlosigkeit der Zeitoper Hindemiths oder Kreneks, die doch eigentlich eine Absage an die Romantik darstellte. Bei Braunfels ist der Held, der keiner ist, trotzdem noch ganz konventionell ein Heldentenor, der Bösewicht ein Schurkenbariton, die Prinzessin (obwohl doch in der Ausgangskonstellation eher die "Unschuld vom Lande") ein jugendlich-dramatischer Sopran, der auch noch über sinnliche Lyrik verfügen muss. Rustan (Endrik Wottrich) und Prinzessin (Manuela Uhl)
Das allein muss man erst einmal besetzen können. In Bonn gelingt das ausgezeichnet. Der brüchige, nicht zu helle, ausreichend schwere Tenor von Endrik Wottrich steht dem Rustan sehr gut an. Wottrich muss zwar kraftmeiern, elegante Stimmführung ist seine Sache nun nicht unbedingt, aber er steht die Partie ungeachtet einer Schrecksekunde im zweiten Aufzug souverän durch - da macht sich auch Bayreuther Wagner-Erfahrung bemerkbar. Manuela Uhl ist eine hell metallische Mirza und Prinzessin, zwar nicht unbedingt mit einschmeichelnd schönem Timbre, aber mit der erforderlichen lyrischen Beweglichkeit, Strahlkraft und Jugendlichkeit. Mark Morouse interpretiert den bösen Diener Zarga ist nicht gerade als geheimnisvoll mephistofelische Erscheinung, sondern ist ein standfester Kerl, der sich lange mit großer Souveränität zurück hält, im dritten Akt dann aber mit großer Stimme auftrumpft. Dazu kommt noch Rolf Broman mit schlanker, aber durchsetzungsfähiger Stimme als Landbesitzer Massud und Traum-König, und in kleineren Charakterrollen legen Anjara I. Bartz und Graham Clark kleine Kabinettstückchen hin. So kann sich die Produktion, die für den Rundfunk mitgeschnitten wurde, vokal hören lassen - und instrumental noch mehr, denn unter der Leitung von Will Humburg läuft das Beethoven Orchester Bonn zu großer Form auf, sehr präsent in den vielen solistischen Holzbläser-Passagen, kraftvoll und gleichzeitig transparent im Tutti, mit großer Palette an Klangfarben. Schwertkämpfer: Rustan (Endrik Wottrich)
Stellt sich aber noch die Frage: Wie inszeniert man das wirre Stück, dessen psychologisch doch recht naive, in der Motivvielfalt aber ausufernde Märchenhandlung? Mit Halbheiten wollte sich das Regieteam um Jürgen R. Weber jedenfalls nicht abgeben und bemüht mit geradezu barock anmutendem Prunk die multimediale Theatermaschinerie ganz nach dem Motto "klotzen statt kleckern". Das apart blaue Bühnenbild (Hank Irwin Kittel) der Märchenhandlung hat kubistische Elemente, darin tummeln sich Phantasiegestalten, die diversen Fantasy- und Science-Fiction-Filmen nachempfunden sein könnten. Der König hat vier Arme (der Statist, der Rolf Broman hier fast unsichtbar unterstützt, verdient ein Sonderlob). Frauen mit etlichen Brüsten, Choristinnen im Traumfänger-Kostüm, Schwerter in klassischer Ausführung wie in Star-Wars-Technologie - mit so viel Phantasie stattet Kostümbildner Kristopher Kempf sonst wohl gleich drei bis vier Opern aus. Das hat natürlich auch parodistische Elemente und wird immer wieder gebrochen, etwa wenn ein Bühnenarbeiter kurzerhand in die Handlung einbezogen und vergiftet wird. Hinzu kommen Videoeinblendungen (Mariana Jocic), weniger konkrete Bilder als verschwommene Andeutungen. Und dann blendet der Regisseur immer wieder kurze Kommentare zur Handlung ein, fast immer knackig kurz aus zwei oder drei Wörtern bestehend und die Handlung mit beißender Ironie kommentierend. Gebrochen wird das Märchen zudem dadurch, dass die Rahmenhandlung nicht im Landhause Massuds spielt, sondern im Theater, und zwar hinter der Bühne mit Blick auf die Rückwand der Kulisse. So wird die Traumhandlung zum eigentlichen Theaterereignis, bei dem die Figuren auch gerne vom Bühnenhimmel einschweben dürfen. Das erstaunliche ist, dass sich die verschiedenen Ebenen tatsächlich zu einem wahnwitzigen Gesamtkunstwerk zusammenfügen, das sich zwar permanent selbst auf die Schippe nimmt, die von ihm ausgehende Faszination aber nicht verleugnen will. Keine Frage, das ist überdreht, bizarr, größenwahnsinnig, und ob es dem konservativen Braunfels gefallen hätte, ist eine andere Sache. Es ist gar nicht erst der Versuch, die Oper für das alltägliche Repertoire zu retten. Aber es ist ein Theaterereignis ganz besonderer Art.
Frechheit siegt: Das Regieteam um Jürgen R. Weber siedelt Braunfels' merkwürdig anachronistische Oper mit einer gigantischen Bilder- und Ideenflut raffiniert zwischen tieferem Sinn und höherem Blödsinn an und kann sich dabei auf ein starkes Ensemble unter einem ausgezeichnetem Dirigenten verlassen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Rustan, ein junger Krieger
Zanga, ein Mohr, sein Sklave
Massud / König
Mirza, seine Tochter / Gülnare
Der alte Kaleb
Der Mann vom Felsen, sein Sohn
Karkhan, sein Neffe
Die Alte
Ein Kämmerer
Erster Genius
Zweiter Genius
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