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Musiktheater
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Alcina

Oper in drei Akten (HWV 34)
Libretto nach L'Isola di Alcina von Antonio Fanzaglia (Rom 1728) nach Ludovico Ariostos Orlando furioso
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 55' (eine Pause)

Premiere im Theater Aachen am 6. April 2014

 

Logo: Theater Aachen

Theater Aachen
(Homepage)

Museumsgang im Reich der Sinne

Von Thomas Molke / Fotos: Wil van Iersel

Während die Stadt Aachen zum 1.200. Todesjahr Karls des Großen in einer dreiteiligen Ausstellung unter dem Titel "Macht, Kunst, Schätze" eine umfangreiche biografische Rückblende über das Leben des bedeutenden Frankenherrschers vorbereitet, leistet auch das Theater Aachen seinen Beitrag zum Karlsjahr, indem es in drei aufeinander folgenden Spielzeiten die drei Ariost-Opern von Händel zur Aufführung bringt, in denen drei Episoden aus dem großen Ritterroman Orlando furioso, in dem Karl zum Sieger über die ungläubigen Sarazenen hochstilisiert wird, in Musik gesetzt werden. Nachdem in der letzten Spielzeit Händels Ariodante den Anfang gemacht hat (siehe auch unsere Rezension), geht es in dieser Spielzeit mit Händels letztem großen Opernerfolg in London weiter, der auch bei der Uraufführung chronologisch auf Ariodante folgte. Für Alcina wird nicht nur das Regie-Team um Jarg Pataki beibehalten, sondern auch vier Solisten aus der Ariodante - Produktion sind in dieser Inszenierung erneut zu erleben.

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Ruggiero (Jakub Józef Orlinski) in den Fängen der Zauberin

Die Geschichte erzählt von der Zauberin Alcina, die den Kreuzritter Ruggiero auf ihre Insel gelockt hat und mit ihm ein sinnenfrohes Leben führt. Ruggiero hat darüber nicht nur seinen eigentlichen Auftrag, sondern auch seine Verlobte Bradamante vergessen. Diese hat sich hingegen mit seinem Erzieher Melisso aufgemacht, um den verschollenen Geliebten zu suchen, und strandet ebenfalls auf der Insel. Als Vorsichtsmaßnahme gibt sie sich als ihr eigener Bruder Ricciardo aus. Ruggiero erkennt sie nicht, macht ihr aber klar, dass er seine ehemalige Verlobte vergessen habe und bei Alcina bleiben wolle. Zu allem Unglück verliebt sich auch noch Alcinas Schwester Morgana in die verkleidete Bradamante, was wiederum die Eifersucht Orontes hervorruft, der als Feldherr Alcinas mit Morgana liiert ist. Schließlich gibt sich Melisso Ruggiero zu erkennen und überzeugt ihn, dass er die Insel verlassen muss. Alcina versucht verzweifelt, den Geliebten zu halten, und stellt erschrocken fest, dass sie mit ihrer Liebe zu Ruggiero zugleich auch ihre Macht über die Insel verloren hat. So muss sie tatenlos zusehen, wie Ruggiero im Moment seiner Abreise die Zauberinsel zerstört und ihr Reich untergeht.

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Morgana (Jelena Rakić, vorne links) zwischen Bradamante / Ricciardo (Eun-Kyong Lim, rechts) und Oronte (Patricio Arroyo, rechts) (links im Hintergrund: Melisso (Pawel Lawreszuk)

Pataki stellt sich in seiner Inszenierung die Frage, worin die Magie in dieser Oper tatsächlich liegt, und kommt zu dem Schluss, dass es hier nicht um übernatürliche Kräfte geht, sondern vielmehr um das Gefühl von Liebe, das Menschen "verzaubern" kann. Alcina ist in seiner Deutung keine Zauberin mit magischen Fähigkeiten, die die Männer, wenn sie ihrer überdrüssig wird, in wilde Tiere, Bäume oder Steine verwandelt, mit denen sie ihr Reich verschönert, sondern eine Künstlerin, der die Liebhaber zur Inspiration dienen. So "verarbeitet" sie gewissermaßen die Männer, die ihren Reizen erliegen, zu künstlerischen Objekten in Form von Bildern. Zu Beginn der Oper sieht man in dem groß angelegten Bühnenraum, der mit den in den Wänden eingearbeiteten an die Antike erinnernden Säulen durchaus noch Reminiszenzen an die Barockzeit aufweist, ein riesiges Atelier, in dem sich Alcina mit ihren Kunstobjekten tummelt. Hier werden alle üblichen Klischees des Sinnesrausches mit freier Liebe und Drogenkonsum bedient. Die ehemaligen Liebhaber taumeln dabei wie seelenlose Gestalten durch das Bild. Schließlich haben sie ihren Zweck bereits erfüllt. Die Kunstwerke, für die sie erforderlich waren, sind fertig. Nun ist Ruggiero "in Arbeit". Mit einem weißen Flügel auf dem Rücken schwebt er nahezu über die Bühne und gibt sich ganz seiner Liebe zu Alcina hin. Bradamante und Melisso, die aus dem Zuschauersaal in diese Welt eindringen, wirken in ihren strengen Anzügen wie Außenseiter.

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Alcina (Katharina Hagopian) liebt Ruggiero (vorne rechts: Morgana (Jelena Rakić)).

Auf die Nebenhandlung um den jungen Oberto, der auf der Suche nach seinem Vater ist, mit dem er auf Alcinas Insel gestrandet ist, verzichtet Pataki in seiner Inszenierung. Ein Grund dafür mag der Zeitfaktor sein, da diese Geschichte für die eigentliche Handlung von untergeordneter Bedeutung ist und nur von den übrigen Figuren ablenkt. Ein anderer Grund mag inhaltlich motiviert sein, da der Auftritt eines Löwen, in den Alcina Obertos Vater verwandelt hat, nicht in Patakis Inszenierungskonzept passt. Hier wäre der Bruch zwischen dem gesungenen Text und dem Geschehen auf der Bühne dann vielleicht doch zu groß geworden, obwohl es Pataki an anderen Stellen nicht zu stören scheint, wenn Handlung und Text auseinander gehen. Am deutlichsten wird dies an der Figur der Morgana und ihrer Beziehung zu Oronte. Pataki lässt sie nämlich als spärlich bekleidetes Sexobjekt über die Bühne laufen, das keinerlei Probleme damit zu haben scheint, noch einmal mit Oronte ins Bett zu gehen, nachdem sie ihm eigentlich den Laufpass gegeben hat, und Bradamantes Arie mit lautem Stöhnen zu unterbrechen. Auch das ständige Rauchen auf der Bühne nervt, zumal es für die Stimmen der Solisten gewiss nicht förderlich ist. Dass die Künstler frei von jeglichen Konventionen leben, hätte man auch ohne die Zigaretten begriffen.

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Bradamante (Eun-Kyong Lim, links) und Ruggiero (Jakub Józef Orlinski) verlassen Alcina (Katharina Hagopian, vorne rechts) (im Hintergrund: Oronte (Patricio Arroyo)).

Während vor der Pause die Bühne mit zahlreichen Sesseln, Flaschen und Farbeimern angefüllt ist und auch reichlich mit Farbe gespritzt wird, wirkt der Raum nach der Pause nahezu steril. Von dem Bett steht nur noch das Gerüst, das am Ende zu einem Museumsstück wird. Dass Morgana in Patakis Inszenierung stirbt, ist sicherlich diskutabel. Wahrscheinlich traut er dem Happy End zwischen Morgana und Oronte nicht und lässt sie an der Erkenntnis, dass der von ihr geliebte Ricciardo eine Frau ist, die nur gekommen ist, um Ruggiero aus Alcinas Fängen zu befreien, zugrunde gehen. Jedenfalls wird sie wie Alcina ein Ausstellungsstück in dem Museum, in das sich der Raum nach der "Zerstörung der Zauberinsel" verwandelt. Der Chor tritt nun als Besucher auf und bewundert die zahlreichen Fotographien und Ausstellungsstücke, die an Alcinas Kunst erinnern. Beeindruckend gelingt Pataki Alcinas Untergang. Nachdem sie zunächst in ihrer Wut auf den treulosen Ruggiero ein riesiges Plakat von ihm in Stücke gerissen hat, versucht sie anschließend, wenn sie erkennt, dass ihre Liebe zu ihm ihre Kraft geraubt hat, die Fetzen wieder zusammenzusetzen, was ihr genauso wenig gelingt, wie mit dem Pinsel ein neues Kunstwerk zu kreieren. Wenn Ruggiero sich dann von ihr befreit und selbst weitere Bilder zerreißt, liebkost sie geradezu liebevoll die einzelnen Papierschnipsel, bis sie schließlich auch selbst apathisch Teil ihrer eigenen Ausstellung wird.

Selbst wenn man szenisch Patakis Ansatz nicht folgen will, kommt man musikalisch bei dieser Produktion voll auf seine Kosten. Péter Halász findet mit dem Sinfonieorchester Aachen einen vielschichtigen Zugang zu Händels Musik und arbeitet die tiefen Emotionen, die die Figuren charakterisieren, eindringlich heraus. Ein Höhepunkt dürfte Alcinas große Arie "Ah! mio cor!" sein, in der sie im zweiten Akt erkennt, dass Ruggiero plant, sie zu verlassen. Die Zerrissenheit Alcinas wird vom Orchester mit unruhigem Tempo ergreifend umgesetzt. Großartiges leistet auch Katharina Hagopian in der Titelpartie, die mit warmem Sopran die Leiden der Zauberin wunderbar umsetzt und in ihrer Wut zu regelrecht dramatischen Ausbrüchen findet. Jelena Rakić lässt als ihre Schwester Morgana mit glockenklarem Sopran und absolut sauberen Höhen aufhorchen. Höhepunkt ihrer Interpretation dürfte vor allem ihre große Arie "Credete al mio dolore" im dritten Akt sein, wenn sie Oronte um Verzeihung für ihren Treuebruch bittet. Patricio Arroyo begeistert als Oronte mit kräftigem Tenor, auch wenn man Patakis Personenregie bei dieser Figur nicht immer folgen kann. Eun-Kyong Lim stattet Bradamante mit einem dunklen Mezzo aus, der ihre Verkleidung als Mann durchaus glaubhaft macht und in den schnellen Läufen über eine hervorragende Beweglichkeit verfügt.

Die Entdeckung des Abends dürfte der junge polnische Countertenor Jakub Józef Orlinski sein, der nicht nur über eine in den Höhen wunderbar weiche Stimme verfügt und die Koloraturen nur so perlen lässt, sondern auch deutlich macht, wieso die Partie mit einem Mann besetzt werden sollte, da so nachvollziehbarer wird, wieso die Zauberin aus Liebe ihre Macht verliert. Die ganze Bandbreite seines Könnens kann er in der lyrisch anmutenden Arie "Verdi prati, selve almene", in der er noch einmal die Schönheit der Natur auf der Zauberinsel preist, im Vergleich zur furiosen Arie "Sta nell'Ircana", in der er Alcina mit einer wilden Tigerin vergleicht, präsentieren. So gibt es am Ende frenetischen Applaus für alle Beteiligten, in den sich auch das Regie-Team einreiht. Vereinzelte Unmutsbekundungen bezüglich der Inszenierung gehen im allgemeinen Jubel unter.

FAZIT

Wer Alcina eher in einer klassischen Inszenierung mag, dürfte in der Wuppertaler Produktion besser aufgehoben sein. Wer einer modernen Umdeutung gegenüber aufgeschlossen ist und Ruggiero von einem Mann gesungen erleben möchte, sollte diese Produktion in Aachen nicht verpassen. Wer Händels Musik liebt, sollte sich beide Inszenierungen ansehen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Péter Halász

Inszenierung
Jarg Pataki

Bühne
Anna Börnsen

Kostüme
Sandra Münchow

Licht
Dirk Sarach-Craig

Chor
Andreas Klippert

Dramaturgie
Michael Dühn




Opernchor Aachen

Sinfonieorchester Aachen


Solisten

Alcina
Katharina Hagopian

Ruggiero
Jakub Józef Orlinski

Bradamante
Eun-Kyong Lim

Morgana
Jelena Raki
ć

Oronte
Patricio Arroyo

Melisso
Pawel Lawreszuk

Alcinas ehemalige Liebhaber
Kabine Conde
Lars Henk
David Joost
Maik Meisolle
Mathis Schmid


Weitere Informationen
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Theater Aachen
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Da capo al Fine

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