Salzburg - Arabella, meint Christian Thielemann, habe dem Rosenkavalier voraus, "viel böser und realistischer" die "Scheinwelt" der Reichen, Schönen und sonst wie Eingebildeten zu entlarven. Da hat er recht. Der Kitt für das Happy End ist schon brüchig, bevor er angebracht wird, lautmalerisch durchziehen düstere Gesten tiefer Instrumente die Partitur. Das Bühnenbild von Martina Segna entspricht dem schwankenden Boden des Werkes: im ersten Akt mit Räumen, die sich verschieben und Einblicke hinter die Fassade geben; im zweiten mit einer Durchbrechung der Fassade und der Öffnung eines dunklen Ballraums, der ebenso traumähnlich wirkt wie die idyllischen Bilder von Heirat und Zweisamkeit.

Viel Stimmung also, aber auch manch kluge Überlegungen bringt Regisseurin Florentine Klepper, wenn sie die (Frauen-)Figuren wie Doppelgängerinnen der Titelgestalt führt. Dennoch bleibt vieles im fahlen, anspielungsreichen und abgründigen Ambiente nur skizzenhaft oder, schlimmer, wirkt es zufällig, wenn manche Sängerinnen und Sänger zum konventionellen Repertoire der Operngesten Zuflucht nehmen.

Die Besetzung ist kaum zu toppen, zumal bei der Prominenz der größten Partien. Unverhohlen hieß es, Renée Fleming habe sich die Hauptrolle gewünscht. Nun ist es ja gerade das Wunderbare an der Oper, dass sie der Fantasie Räume öffnet, doch um der Sängerin das Mädchen kurz vor der Verlobung abzunehmen, bräuchte es viel Einbildungskraft. Hinsichtlich Gestaltungstiefe und farblicher Abschattierung zeichnete sie zwar ein anschauliches Rollenprofil, Intonationstrübungen waren aber bei ihr ebenso wenig zu überhören wie Schwierigkeiten in der Durchschlagskraft von Thomas Hampson als Mandryka, dem andererseits intime, lyrische Passagen fast so subtil und innerlich gelangen wie eh und je.

Dennoch: Große Namen allein als wichtigste Besetzungsmaxime, egal wie verdient sie auch seien, sind für ein Konzept etwas gar wenig. Einzigartig wären Festspiele dann, wenn sie Entscheidungen treffen, die aus der Sache selbst resultieren. Die derzeitige Situation bei den Osterfestspielen hätte ja das Potenzial zum Außergewöhnlichen, seit die Sächsische Staatskapelle Dresden zur Verfügung steht. Diesmal klang sie indes im Großen Festspielhaus oftmals zu laut; die kammermusikalischen Qualitäten, die das Orchester mitbringt, hätte Thielemann ein wenig mehr einbeziehen können. Stattdessen zeigte er einen Hang zur Opulenz, der nicht immer zu so glücklichen Resultaten führte wie beim beinahe walkürenritthaften Vorspiel zum dritten Akt.

Fallys souveräne Koloraturen

Zu diesem Zeitpunkt näherte sich Arabellas Familie bereits dem Ausgang aus der Armutsfalle, die Albert Dohmen (Graf Waldner) komödiantisch polternd und Gabriela Benacková (Gräfin Adelaide) mit karikaturhafter Sentimentalität an die Wand malten. Die drei Grafen Elemer (Benjamin Bruns), Dominik (Derek Welton) und Lamoral (Steven Humes) klangen kaum weniger bemüht als der Matteo von Daniel Behle, dem es freilich gelang, das Heldische dieses Antihelden mit fast mozartischer Eleganz zu bezwingen - ebenso wie sein Gegenüber Zdenko/Zdenka (Hanna-Elisabeth Müller mit überzeugender Verbindung von süßer Lyrik und Verzweiflung).

Mit der halsbrecherischen Rolle der Fiakermilli brillierte Daniela Fally nicht nur mit souveränster Bewältigung aller Koloraturen, sondern auch mit einem Sprühfeuer charakterlichen Facetten. Der Spott des Stückes gegenüber Geldgier und fahler Maskerade ließe sich natürlich leicht von seiner Zeit auf aktuelle Verhältnisse übertragen. Dazu braucht man nicht zu warten, bis man nach der Aufführung in die Hofstallgasse vor dem Festspielhaus mit den aufdringlich aufgereihten Luxuslimousinen tritt. Nachzudenken gäbe es genug. (Daniel Ender, DER STANDARD, 14.4.2014)