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Bühne und Konzert „Manon Lescaut“

Die Nahaufnahme einer großen Liebenden

Wenn es ans Sterben geht, blüht sie wirklich auf: Eva-Maria Westbroek in Richard Eyres Inszenierung von Puccinis „Manon Lescaut“ in Baden-Baden Wenn es ans Sterben geht, blüht sie wirklich auf: Eva-Maria Westbroek in Richard Eyres Inszenierung von Puccinis „Manon Lescaut“ in Baden-Baden
Wenn es ans Sterben geht, blüht sie wirklich auf: Eva-Maria Westbroek in Richard Eyres Inszenierung von Puccinis „Manon Lescaut“ in Baden-Baden
Quelle: Jochen Klenk
Glück mit Puccini: Simon Rattle dirigiert „Manon Lescaut“ zur Eröffnung der Osterfestspiele in Baden-Baden. Regisseur Richard Eyre versetzt die Handlung in die Zeit der deutschen Besatzung Frankreichs.

Gelb ist nicht nur der Wüstensand an der Grenze zu New Orleans, wo Manon Lescaut im vierten Akt ihr Leben aushaucht. Gelb ist auch die Farbe der diesjährigen Osterfestspiele Baden-Baden. Nachdem im vergangenen Jahr beim Festivaldebüt der Berliner Philharmoniker in der Kurstadt noch winterliche Temperaturen herrschten, präsentiert sich Baden-Baden zur zweiten Festspielauflage in voller Blüte.

Noch nie zuvor hat das Orchester Puccinis Dramma lirico gespielt. Auch für Simon Rattle ist „Manon Lescaut“ ein Debüt. Bei Puccini fühlt sich der Dirigent sichtlich wohler als bei Mozarts „Zauberflöte“, mit der 2013 die Osterfestspiele eröffnet wurden. Damals hatte man mit angezogener Handbremse musiziert – mit gestauten Tempi und zurückgefahrener Dynamik.

„Manon Lescaut“ dagegen blüht von Beginn an. Die Holzbläser machen mit ihren funkelnden Girlanden dem „Allegro brillante“ des Vorspiels alle Ehre. Der warme, flexible Streicherklang belebt die Szenerie. Rattle braucht ein wenig Zeit, um die richtige Balance zu erreichen. Zu Beginn ist der feine Tenor von Bogdan Mihai als Edmondo im Festspielhaus kaum zu hören. Es gibt kleinere Koordinationsprobleme zwischen dem Orchester und dem klanglich ebenfalls hochdifferenzierten Philharmonia Chor Wien (Einstudierung: Walter Zeh).

Grandios spielen die Philharmoniker auf

Aber das ist nebensächlich angesichts dessen, was auf der Habenseite zu verzeichnen ist. Rattle zoomt mit seinen grandios aufspielenden Philharmonikern Details heran, ohne dabei den Blick fürs große Ganze zu verlieren. Der für Puccini so wichtige musikalische Fluss bleibt trotz der vielen kleinen Rubati erhalten.

Das ein wenig wagnerisch tönende Intermezzo zum dritten Akt ist reinstes Streicherglück und bereitet mit seiner dunklen Farbe die Nachtszene im Hafen von Le Havre musikalisch vor. In den dramatischen Tuttipassagen wie am Ende des zweiten Aktes lässt das Orchester seine Muskeln spielen. Aber jede Attacke bleibt geschmeidig, jeder Fortissimo-Akkord besitzt einen edlen Nachklang.

Die Inszenierung von Richard Eyre hilft dabei der Musik, sich zu entfalten. Der englische Theaterregisseur gewährt große Auftritte, schafft aber wie im ersten Akt auch intime Szenen, als sich mitten auf dem großen, in Stufen ansteigenden Platz Renato Des Grieux (Massimo Giordano) und Manon Lescaut (Eva-Maria Westbroek) auf einem Fenstersims näherkommen.

Aus dem 18. Jahrhundert mitten ins 20. versetzt

Eyre hat die Handlung aus dem 18. Jahrhundert in das von den Deutschen besetzte Frankreich der 1940er-Jahre verlegt. Wehrmachtsoldaten schieben Wache und geben dem unbeschwerten ersten Akt eine bedrohliche Note (Kostüme: Fotini Dimou). Der alte Geronte da Ravoir, der die junge Manon Lescaut mit seinem Geld nach Paris lockt (Liang Li macht mit seinem virilen Bass aus dem betagten Lebemann fast schon eine Sympathiefigur), ist Kollaborateur.

Auch das Bühnenbild von Rob Howell kündigt bei dieser aufwendigen Co-Produktion des Festspielhauses Baden mit der New Yorker Metropolitan Opera die Zeitenwende an. Die stuckverzierten Fassaden gehen über in schmucklose, monumentale Naziarchitektur. Auch im Hafen von Le Havre, wo ein Schiff auf die Gefangenen wartet, um sie nach Amerika zu deportieren, sind die Fassaden im Hintergrund zu sehen.

Im letzten Akt liegt alles in Trümmern. Die Wüste von New Orleans ist in Baden-Baden eine in Gelb getauchte Kriegslandschaft. Hier, wo sich auch die Partitur ausdünnt, geht es um die Existenz. Hier kommt auch Eva-Maria Westbroek ganz zu sich. Die niederländische Sopranistin konnte als Manon Lescaut den ganzen Abend aus dem Vollen schöpfen, was sie mit gewaltigen dramatischen Ausbrüchen und großem Vibrato auch tat.

Allein, verloren, verlassen

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Die zerbrechliche Seite dieses 18-jährigen Mädchens hatte sich in ihrer opulenten Interpretation dagegen kaum widergespiegelt. Nun aber berührt Westbroek im Todeskampf der Manon bei ihrer großen Arie „Sola, perduta, abbandonata“ (Allein, verloren, verlassen) auch mit weichen, lyrischen Pianophrasen. Massimo Giordano steht etwas unbeteiligt daneben und schielt auch zum Dirigenten, wenn er nicht singen muss. Dafür bietet der Italiener rein musikalisch ein bemerkenswertes Rollendebüt. Manches Mal etwas kurzatmig, dafür mit reichen Farben, entspannter Höhe und goldenem Glanz.

Lester Lynch zeigt als Manons Bruder Lescaut eine solide, dunkel grundierte Interpretation. Dass Magdalena Kozená ihren kleinen Auftritt als Musiker im zweiten Akt zu einem Kleinod macht und auch die anderen Nebenrollen ausgezeichnet besetzt sind, verleiht dieser Luxusproduktion musikalisch den letzten Schliff.

Zwei Mal lässt Simon Rattle die Philharmoniker sich noch aus dem Nichts ins schmerzende Fortissimo steigern und wieder bruchlos ins Pianissimo versinken. So wird am Ende der Tod Manons betrauert, ehe sich im Festspielhaus Baden-Baden die Freude über die gelungene Produktion Bahn bricht.

Termine: 16. (auch live auf Arte), 21. April

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