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Bühne und Konzert Musiktheater

Wir hatten da mal einen Begattungswunsch zu viel

Schriller Ausstattung, die freilich mehr ablenkt als Zusammenhänge klärt: Manuela Uhl (Mirza) und Endrick Wottrich (Rustan) in „Der Traum ein Leben“ Schriller Ausstattung, die freilich mehr ablenkt als Zusammenhänge klärt: Manuela Uhl (Mirza) und Endrick Wottrich (Rustan) in „Der Traum ein Leben“
Schriller Ausstattung, die freilich mehr ablenkt als Zusammenhänge klärt: Manuela Uhl (Mirza) und Endrick Wottrich (Rustan) in „Der Traum ein Leben“
Quelle: Barbara Aumüller
Mit „Der Traum ein Leben“ von Walter Braunfels in Bonn kommt eine weiter lohnenswerte Oper dieses massiv wiederentdecken Komponisten auf die Spielpläne. Leider wird sie vom Regisseur fast ruiniert.

Rustan ist nicht mehr damit zufrieden, auf die Jagd zu gehen. Und ob er seine Braut Mirza wirklich heiraten will, scheint auch nicht mehr ganz klar. Jedenfalls braucht er Abstand vom alten Leben. In der Nacht vor der geplanten Reise erlebt er den Traum als Alptraum: er geht unter in einem Strudel aus Betrug, Gewalt, Mord und Krieg. Rustan bleibt.

Ein Jahrhundert nach Freuds Traumdeutung mutet das an wie holzschnittartige Populärpsychologie. Aber Franz Grillparzer schrieb sein Märchenspiel „Der Traum ein Leben“ 1834. Und exakt 100 Jahre später erweckt dieses poetische Versdrama das Interesse eines Mannes, der sein eigenes Leben als Alptraum empfunden haben mag: Der Komponist Walter Braunfels, eine Größe im Musikleben der Weimarer Republik, Gründungsrektor der Kölner Musikhochschule. Der Rassenwahn der Nazis hat zu seiner Entlassung aus dem Amt geführt, seine bis dahin viel gespielte Musik wird als „entartet“ verfemt.

In aufgezwungener Untätigkeit führt Braunfels ein zurückgezogenes Leben in Bad Godesberg und komponiert „Der Traum ein Leben“, im ständigen Kampf gegen Resignation und Depression. „Sie war eine Mordsarbeit!“ schreibt er, als er mit der Oper fertig ist. Bruno Walter hat das Werk zur Uraufführung in Wien angenommen. Aber als die 1938 stattfinden soll, haben die braunen Machthaber auch in Österreich das Sagen. „Der Traum ein Leben“ wird verboten.

Der Abend bringt die Musik nicht nahe

Im vergangenen Jahrzehnt zeichnet sich eine Wiederentdeckung des Komponisten Walter Braunfels ab. Auch „Der Traum ein Leben“ war 2001 erstmals in Regensburg zu sehen. Und jetzt steht das Werk in Bonn auf dem Spielplan, wenige Kilometer entfernt von der Godesberger Wohnung, in der es komponiert worden ist.

Dennoch bringt einem der Abend die Musik von Walter Braunfels nicht nahe. Und das liegt daran, dass einen Regisseur am Werk ist, der dieser Musik offenbar keinen Schritt über den Notenweg zutraut: Jürgen R. Weber verfällt einer obsessiven Jagd nach Bildern und Bühneneffekten – ein Delirium für die Augen, kaum mehr Kapazitäten für die Ohren.

Webers erster Einfall ist sein bester: Der Prolog vor Rustans Aufbruch auf die Traum-Reise spielt vor einer Kulissenwand, die von der Rückseite zu sehen ist, die Sänger treten in Alltagskleidung auf: eine prosaische Backstage-„Realität“, das „Theater“ beginnt erst in der bunten Welt der Möglichkeiten des Traums. Die aber reizt der Regisseur dann aus mit bezugslosen Ideen und banalen Effekten, die für ein halbes Dutzend Inszenierungen gereicht hätten und eine einzige nur verderben können.

Der Schleier hängt an Luftballons

Zum Theater-auf-dem-Theater der ausgestellten Kulissen kommen gewaltige Bühnenräume in den spitzen Formen expressionistischer Stummfilme (Bühne: Hank Irwin Kittel). Die Kostüme von Kristopher Kempf machen ihre Träger zu bizarren, aber bewegungsunfähigen Skulpturen im Raum..

Damit der König mit vier Händen gestikulieren kann, steckt in seinem Riesenmantel eine weitere Person. Rustan fliegt auf einem Bett über die Szene, seine Märchen-Prinzessin schwebt auf einem hohen Rollpodest herein, in einem Kostüm, dessen Schleier von einer Traube Luftballons meterhoch über ihren Kopf gelupft werden.

Und fast so raumgreifend wie die Solisten sind auch die Chorsänger verkleidet. Weniger märchenhaft ist natürlich, dass man überall Sicherheitsgurte sieht und die Bühnentechniker auf offener Szene viel zu tun haben. Über diesem Gewimmel setzt Weber Videoprojektionen ein.

Wer verwirrt ist, kann lesen

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Und wer dann Orientierungshilfe braucht, kann auf einem Laufband über der Bühne nachlesen, was gerade läuft: BINDUNGS ANGST NEUROSE, BEGATTUNGS WUNSCH TERZETT oder TENOR TRISTESSE TAUMEL?

Sicher gäbe es sinnvollere Fragen an diese Oper, die eine Inszenierung verfolgen könnte. Zum Beispiel die nach dem Zusammenhang zwischen der Entstehungszeit und der Lebenssituation des Komponisten und der Traumthematik. In Bonn steht eine visuelle Orgie größtenteils beliebiger Bilder der Begegnung mit der Musik von Walter Braunfels massiv im Weg, und das ist wirklich schade.

Denn mit Endrik Wottrich, Manuela Uhl und Mark Morouse kann die Bonner Oper die anspruchsvollen Partien sehr zufriedenstellend besetzen. Und das Beethoven-Orchester unter der Leitung von Will Humburg ist in Hochform.

Die zwischen Spätromantik und Expressionismus changierende Musik entwickelt im Lauf des Stücks immer apartere Klangwirkungen und subtile Stimmungen, der dritte Akt und der eigentümlich fahl-desillusionierte Schluss sind ein Meisterstück musikalischer Psychologie. Braunfeld’ Musik hat Kraft – man kann darauf hoffen, sie wiederzuhören und szenisch adäquater interpretiert zu sehen.

Termine: 7., 11., 30. Mai

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