Im Menschentheater

Der Genfer «Ring» steht. Richard Wagners Tetralogie erfährt hier eine immanente Deutung. Ihre Bühnenwirksamkeit wird unterstützt durch kammermusikalische Diktion im Orchestralen.

Peter Hagmann
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Gross im Gesang wie in der Darstellungskunst – Petra Lang glänzt in Genf als Brünnhilde. (Bild: Carole Parodi / GTG / PD)

Gross im Gesang wie in der Darstellungskunst – Petra Lang glänzt in Genf als Brünnhilde. (Bild: Carole Parodi / GTG / PD)

Nun ist auch in Genf der Rhein über die Ufer getreten und hat alles, Göttliches wie Menschliches, Schmuck und Macht, Begehren wie Scheitern, in seinen Fluten begraben. Mit der «Götterdämmerung» ist die neue Produktion von Richard Wagners «Ring des Nibelungen», die das Genfer Grand Théâtre unter der Intendanz von Tobias Richter zum Wagner-Jahr 2013 an die Hand genommen hat, zu ihrer Vollendung gekommen; im Mai dieses Jahres wird sie zweimal als Zyklus nach Bayreuther Art gezeigt. Und in dieser Abfolge, so ist anzunehmen, wird noch deutlicher zu erleben sein, wie der Regisseur Dieter Dorn und sein Ausstatter Jürgen Rose das weitgespannte Geschehen mithilfe szenischer Zeichen in ein Netzwerk eingespannt haben, von fern vergleichbar mit den Leitmotiven auf der musikalischen Ebene. Gunther und Gutrune sind ein inzestuös miteinander verbundenes Geschwisterpaar wie in der «Walküre» Siegmund und Sieglinde – der rote Königsmantel, der so weit geschnitten ist, dass auch zwei darin Platz finden, zeigt es an. Die Himmlischen wiederum, die in der «Götterdämmerung» den Platz vollständig geräumt haben, sie sind noch in Form von Hohlformen auf der Bühne präsent. Am Ende, zum orchestralen Nachspiel, fallen auch sie aus dem Schnürboden in die Versenkung.

Unmittelbares Theater

Dies als Teil einer Inszenierung, die sich ganz und gar immanent gibt: immun gegenüber Ansätzen szenischen Interpretierens wie gegenüber der befrachteten Rezeptionsgeschichte der Tetralogie. Wie Dorn und Rose das durchgehalten haben, ist nun doch bewundernswert. Sie blicken auf die Geschichte an sich – und mehr noch: auf die Interaktion zwischen einzelnen Akteuren, aus der diese Geschichte ihre Energien gewinnt. In den zeremoniellen Momenten, bei der Präsentation Brünnhildes als Braut Gunthers, beim Eid Siegfrieds und Brünnhildes auf der Speerspitze Hagens, beim Trauermarsch und bei der Überführung von Siegfrieds Leiche – in diesen Tableaus bleiben Dorn und Rose seltsam farblos. Wo aber Menschen aufeinandertreffen – und die «Götterdämmerung» spielt ja ganz und gar in der Menschenwelt, Hagen mit seinem langen braunen Nibelungen-Mantel ist der letzte und einzige Vertreter der Götterwelt –, wo also Emotionen aufkommen und Spannungen ausgetragen werden, da blitzt und knistert es in dieser Inszenierung, dass es ein Vergnügen ist. Und das, ausserdem, in einem szenischen Umfeld, das von ungebrochener, ganz unmittelbarer Theaterwirkung lebt. Wer hat je erlebt, dass Siegfried, wenn er sich Brünnhilde in der Gestalt Gunthers nähert, so vollkommen gleich aussehen kann wie Gunther? Da wird einem dann auch bewusst, wie Wagner die Partie Siegfrieds in diesem Moment eine Spur tiefer gelegt hat, um den Effekt des Tarnhelms musikalisch zu unterstützen.

Bei John Daszak, der seine Diktion inzwischen wesentlich verbessert hat, ist Siegfried ein sympathischer Tor, der mit seinen überschiessenden Kräften nicht umzugehen versteht und im Grunde nicht weiss, wie ihm geschieht. Auch wenn er über einen strahlenden, bis ans Ende kraftvollen Tenor verfügt, gibt er doch ein ziemlich jämmerliches Mannsbild ab – zusammen mit dem unglücklichen Gunther, den Johannes Martin Kränzle, ein grandioser Bariton und ein Schauspieler von hohen Gnaden, als einen unter dem Druck der Ereignisse rasch zerbrechenden Menschen gibt. Kein Wunder angesichts der Brünnhilde von Petra Lang, die den gewaltigen Ambitus ihrer Partie wie die mit ihr verbundene Kraftanstrengung restlos im Griff hat und die auch hier wieder ihr unglaublich sinnliches Portamento einsetzt. Auf ihrem Felsen, zu Beginn, ist sie das junge Ding, das keck von Siegfried den Ring einfordert, aber danach, mon dieu, was für eine tiefschwarz erboste Miene, was für tötende Blicke – und die raschen Blickwechsel, die kleinen Gesten sind es, die der Inszenierung ihre spezifische Lebendigkeit verleihen. Nicht zu allen Darstellern ist der Regisseur gleichermassen vorgedrungen, wie könnte es anders sein? Als Hagen bleibt Jeremy Milner, der mit einer enorm kräftigen, für diese Partie aber doch zu wenig in der Tiefe verankerten Stimme arbeitet, darstellerisch so schwach wie die Gutrune der allerdings herrlich singenden Edith Haller und die Waltraute von Michelle Breedt.

Von Vorteil ist in dieser «Götterdämmerung», wie in den vorangegangenen Teilen, die hohe Textverständlichkeit; einmal mehr zeigt sich, dass auch bei den Musikdramen Wagners mit ihrem ausgebauten orchestralen Anteil der Text verstanden werden kann – ja verstanden werden muss, weil er konstitutiv wirkt. Lustvoll geben sich Petra Lang oder Johannes Martin Kränzle dem Einfärben der Vokale, dem Zuspitzen der Konsonanten und dem Beleuchten der immer wieder erheiternden Stabreime hin. Sie können es tun, weil Ingo Metzmacher den im Genfer «Ring» entwickelten Ansatz des hellen, kammermusikalischen Tons zur Vollendung bringt. Unermüdlich hält der Dirigent das Orchester, das noch so gerne loslegte, dynamisch im Griff; und mit wacher Sensibilität sorgt er dafür, dass sich das Instrumentale als Geflecht von Stimmen am Geschehen beteiligt, sich nicht mit homofoner Pranke darüberlegt.

Nicht ganz auf der Höhe

Indessen zeigt sich das künstlerisch führungslose Orchestre de la Suisse Romande leider nicht auf der Höhe seines Könnens; so silbern die hohen Streicher, so sinnlich die Flöte und so flüsterleis die Klarinette, so grob und bisweilen arg daneben das Blech. So verliert die Produktion in den grossen Tuttiszenen, in denen auch der von Ching-Lien Wu einstudierte Chor mässige Figur macht, merklich an Profil. Überdies: Der überzeugende Kontrast zum Leisen, Durchhörbaren, wäre das, statt des simpel Lauten, nicht eher das Scharfe, Schneidende? Noch etwas Feinarbeit wäre denkbar; vielleicht gibt es Zeit dafür.

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