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Die Kammerspiele mit Musik

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Jürgen Roses Bühne: Die große Geste, die weise, hintergründige Menschenanalyse trifft sich mit dem Staunen übers Theater und seine Mittel.
Jürgen Roses Bühne: Die große Geste, die weise, hintergründige Menschenanalyse trifft sich mit dem Staunen übers Theater und seine Mittel. © -

Genf - Mit einer berührenden „Götterdämmerung“ rundet Dieter Dorn am Grand Théâtre in Genf Wagners „Ring“. Eine Premieren-Kritik.

Zum Zwischenspiel im ersten Akt kommt der schwarze Vorhang herunter. So gehört es sich, so steht es ja auch bei Richard selig. Ein rot gerändertes Rechteck darauf, die Verkleinerung des Bühnenportals. Alles starrt hin, doch, welch Pointe für uns Technikverdorbene: Es passiert nichts. Kein Video. Und trotzdem stürzen die Kopfbilder über einem zusammen. Man ist im Grand Théâtre mit der Musik allein, mit Ingo Metzmacher und dem Orchestre de la Suisse Romande, die ihre ganz eigene Wagner-Sicht haben. Keine krachende Überwältigung, dafür Eleganz, Noblesse, ein sämiges, dunkles, geschmeidiges Klangbild. Finesse siegt über schwitzende Dramatik.

„Götterdämmerung“, dieser letzte Teil des „Ring des Nibelungen“, ist Bekenntnistag. Spätestens jetzt muss der Regisseur bar bezahlen. Wie sehen seine Weltentwürfe aus? Was sind ihm die Götter? Was hält er von den Menschen, besonders von der einen Frau, Brünnhilde, die das ganze alte System in den Orkus schickt? Dass Dieter Dorn und Ausstatter Jürgen Rose auch für das Finale ihrer Genfer Großtat den alten Theaterzauberkasten öffnen, war erwartbar. Und doch: Eine solch dichte, auch berührende „Götterdämmerung“ ward lang nicht erlebt. Wagner für Einsteiger ist das, erst recht für Connaisseure, die alles zu kennen glauben und hier vom Kraftfeld der Figuren, von ihren Ängsten und Trieben, Siegen und Niederlagen wie beim ersten Mal hingerissen werden.

Alles ist wie immer da. Die Faltenwurf-Ästhetik, die Rose-Schachtel (das gekippte, schattenlose, weiß-asiatische Zimmer der Gibichungen), auch eine Verspieltheit, das Sichtbarmachen der Illusion: Statisten bewegen schwarze Tuchbahnen für den Rhein, Grane ist ein Stangenpuppenpferd. Die große Geste, die weise, hintergründige Menschenanalyse trifft sich mit dem Staunen übers Theater und seine Mittel.

Wenn Hagens Macht sich Raum erobert, werden die Wände des Gibichungenzimmers beiseite geschoben. Dunkel senkt sich da über die Szenerie, dennoch lässt Dorn nie Schwarz-Weiß zu. Gerade bei Hagen. Kein Fiesling unter Dauerdampf, sondern ein düsterer Leder-Beau, von Jeremy Milner mit gedeckter Bassgewalt gesungen, der ebenso viel Hass wie Erotik versprüht. Ähnliches bei Brünnhildes Finalmonolog. Der ist nicht triumphaler Diven-Moment, sondern auch urgewaltige Enttäuschung, eine frustrierte, aus (zu) später Erkenntnis gespeiste Abrechnung mit Gottvater Wotan. Petra Lang hat sich hierfür alle Attacke aufgespart. Keine stählerne Hochdramatische ist sie ja, alles wird mit souveräner Kontrolle aus lyrischem Ansatz entwickelt. Brünnhilde weniger als funkensprühendes Gotteskind, sondern – gerade das kommt dem Dorn-Theater entgegen – als Mensch.

Selbst Wagnerianer müssen zugeben: Es gibt auch in der „Götterdämmerung“ Was-bisher-geschah-Passagen, die man als Durchhänger erleidet. Dass gerade sie in Genf gelingen, ist bezeichnend. Ein minutiöses Blicke-, Gesten- und Reaktionstheater ist die Waltrauten-Szene mit der intensiven Michelle Breedt. Zuvor hatte Metzmacher das Geschehen abgebremst, ein atemberaubender Moment, wenn sich die Musik wieder Raum erobert, sich vorsichtig ihrer selbst gewiss wird. Später wird der schlafende Hagen von einem hektischen Alberich (John Lundgren) bedrängt, der um sein dunkles Projekt fürchtet.

Siegfrieds Begegnung mit den Rheintöchtern, die vergeblich um den Ring bitten, wird bei Dorn zum Spitz-auf-Knopf-Moment: Um ein Haar, so wird suggeriert, hätte dieses gedankensatte Drama glatt eine andere Abzweigung genommen. Und wenn Brünnhilde einmal fast das Bewusstsein verliert, da wird sie nicht vom Zwangsgatten Gunther aufgefangen, sondern von Siegfried, so, wie er es trotz Zaubertrank instinktiv als Notwendigkeit spürt – kleine, intelligente Zeichen, die mehr über die Figuren verraten als Thesenpapiere.

Der Abend ist so etwas wie Münchens alte Kammerspiele mit Musik. Fast alle hätten mühelos eine Anstellung in Dorns legendärem Schauspiel-Ensemble bekommen. Allen voran Johannes Martin Kränzle, der so präsent ist, als habe er die dreifache Singmenge: ein Gunther, der in Eitelkeit und Durchtriebenheit anfangs Hagen dicht auf den Fersen ist, mit zunehmender Erkenntnis aber zerbricht am bösen Spiel. Gesang und Darstellung gehen auch bei John Daszak eine vollkommen natürliche Verbindung ein. Ein munterer, sympathischer, allerdings nie tumber Held. Der Siegfried der „Götterdämmerung“ liegt ihm viel besser als der im vorherigen „Ring“-Teil. Das mittelgroße Genfer Haus kommt ihm entgegen. Forcieren muss Daszak dadurch nie, es bleibt viel Raum für eine Zwischentongestaltung, die der Figur andere Facetten jenseits des Stimmbandmuskelspiels eröffnen.

Dieter Dorn muss enorm intensiv mit den Sängern gearbeitet haben. Mehr noch: Er muss eine Atmosphäre der Motivation, der innerlichen Überzeugung geschaffen haben, die alle über sich hinauswachsen lassen. Erst jetzt wird klar, wie stringent alles – nach Durchhängern in „Walküre“ und „Siegfried“ – auf die Finalwirkung inszeniert ist. Diese Genfer „Götterdämmerung“ ist die stärkste Dorn-Oper seit seiner Münchner „Così fan tutte“. Ganz folgerichtig gibt’s kein Spektakel am Ende. Rot glüht der Scheiterhaufen mit Siegfried und Brünnhilde, bevor er vom schwarzen Rhein-Tuch verschluckt wird, alles in die Unterbühne fährt und hinten Statisten kopfüber an Seilen heruntergelassen werden. Der Fall der Götter. Dauerspektakler von La Fura dels Baus werden durch solch klug dosierte Mittel beschämt. Zu den letzten Takten nur mehr eine leere Bühne. Es ist vorbei – und alles bereit für den nächsten Weltenversuch.

Markus Thiel

Weitere Aufführungen:

26., 29.4. und 2.5.; zwei komplette „Ring“-Zyklen ab 13. und 20.5.; Telefon 0041/ 22/322 50 50.

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