Das Theater im Theater

Ständig befragt die Luzerner Inszenierung von Gaetano Donizettis Opera buffa die Darstellungsebenen neu. Ein intelligentes Spiel, das unter anderem auf Elemente der Commedia dell'Arte zurückgreift.

Alfred Zimmerlin
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Alle sind demaskiert – ausser Pantalone. Verzweifelt versucht er, sich seine Maske vom Gesicht zu reissen, doch ist es wie bei der Zwiebel: Unter jeder Maske findet sich eine neue. Ein starkes Schlussbild, voller Melancholie. In der Neuinszenierung von Gaetano Donizettis fast nostalgisch später Opera buffa «Don Pasquale» am Luzerner Theater spielen der Regisseur Johannes Pölzgutter und sein aus Werner Hutterli (Bühne) und Anna Ardelius (Kostüme) bestehendes Team mit der Commedia dell'Arte. Denn auch Donizetti und sein von ihm massiv zurechtgetrimmter Librettist Ruffini beziehen sich klar auf die italienische Stegreifkomödie und ihre Archetypen.

«Don Pasquale» könnte mit leicht verändertem Personal das Modell für jeden zweiten Dorfschwank abgeben. Für die Titelfigur, den reichen und geizigen Onkel Don Pasquale, hat Pantalone Modell gestanden, für den unbeholfenen, verliebten Jammerlappen, den Neffen Ernesto, findet sich Pagliaccio als Vorbild. Der intrigante Dottore Malatesta, der alle Fäden zieht, ist eigentlich ein Brighella, und die mit allen Wassern gewaschene zukünftige Gemahlin des Ernesto, Norina, entspricht der Colombina.

Ebenfalls Commedia-typisch wird Pasquale Opfer eines grossen Schwindels, den Malatesta mithilfe von Norina in Szene setzt. Pasquale und Norina werden von einem falschen Notar verheiratet, worauf Norina dem Alten die Hölle so heiss macht, dass er schliesslich gute Miene zum bösen Spiel machen muss: Er willigt in die Ehe von Norina und Ernesto ein – samt einem grosszügigen Haushaltsgeld, versteht sich.

Doch bei diesen Parallelen zur Commedia dell'Arte lässt es die Regie – und lässt es auch Donizetti – nicht bewenden. Pölzgutter hört minuziös auf die Gesten, die Affekte, welche die Musik zeichnet. Der Dirigent Michael Wendeberg hat sie mit dem Luzerner Sinfonieorchester durchaus pointiert herausgearbeitet. Aufs Schönste wird im Orchestergraben musiziert, das Orchester hört und denkt mit. Das prächtige Schlussbild findet sein Pendant in der Ouvertüre, über die Pölzgutter äusserst präzise eine differenzierte Pantomime mit dem Geizkragen Pasquale und seinem mindestens neunzigjährigen, parkinsonkranken Diener legt. Jede Bewegung stimmt, geht mit der Musik zusammen, hat Witz und überrascht. Einmalig, wie der Diener (Otto Burri) nach seinem Hinauswurf durch Pasquale wieder durch das Fenster hereinklettert.

Und auch danach: Jede Bewegung stimmt, ist klug und mit Phantasie gesetzt. Die Regie indes beginnt mit den verschiedenen Ebenen des Theaters zu spielen. Gekünstelt wird überzeichnet, mit Sinn für das Absurde hin und her gesprungen zwischen Pantomime, Oper, Operette, Commedia mit Masken und Theater im Theater – der von Mark Daver bestens vorbereitete Chor gibt ein prächtiges Publikum ab. Und dann gibt es plötzlich auch diese ganz menschlichen Momente, wo die Archetypen ihre Rolle verlassen und Empfindsamkeit, Verletzlichkeit und Melancholie enthüllen. Bestechend wird das gezeigt, und man wird erst noch bestens unterhalten. Nur kann auch Pölzgutter nicht darüber hinwegtäuschen, dass «Don Pasquale» auch seine Längen und bloss silbernen Momente hat. Nicht ganz in jeder Szene ist er in gleich hohem Masse, mit gleicher Intensität zum Kern der Sache vorgedrungen.

Alle haben auf der Bühne sichtliches Vergnügen, denn die Regie führt sie genau, zu aller Vorteil. Vorab Flurin Caduff: ein stimmgewaltiger, in jeder Hinsicht restlos plausibler Don Pasquale, der unglaublich gut spielen kann. Dann Todd Boyce als Malatesta: Als Spieler nicht weniger überzeugend, und stimmlich lief er an der Premiere zu immer besserer Form auf. Utku Kuzuluk gab einen herrlich wehleidigen und tölpelhaften Ernesto, und sein in der Höhe etwas forcierter Tenor passte bestens dazu. Ganz herausragend Dana Marbach als Norina: Umwerfend beweglich kann sie spielen, und dass sie vokal im jungen Luzerner Ensemble zu den starken und aufstrebenden Kräften gehört, hat sie jüngst auch in ganz anderem Repertoire (Händel) bewiesen.