Eine verkehrte Welt

Joachim Schloemer inszeniert Henry Purcells Oper «The Indian Queen» am Theater Basel und zeigt eine Welt, die auf dem Kopf steht.

Martina Wohlthat
Drucken
Der Sonnengott (Markus Nykänen) mit seinem Gefolge in Henry Purcells «The Indian Queen». (Bild: Peter Schnetz)

Der Sonnengott (Markus Nykänen) mit seinem Gefolge in Henry Purcells «The Indian Queen». (Bild: Peter Schnetz)

Wo ist hier unten, wo oben? Als ob sie Saugnäpfe an den Füssen hätten, bewegen sich die Menschen an der Decke des Bühnenbilds zu Joachim Schloemers Inszenierung von Henry Purcells «The Indian Queen» am Theater Basel. Das ergibt magische Bilder, die im Zusammenspiel mit Purcells Musik voller harmonischer Überraschungen eine starke poetische Wirkung entfalten. Mitunter rätselt man aber auch, worauf der Regisseur hinauswill.

Ein mysteriöser Vorfall

Wohin gehört eine junge Frau, die Zeugin eines Gewaltverbrechens wurde? Auf ein Polizeirevier. Dort lernen wir zu Beginn die amerikanische Touristin Jasmin Torridge aus Ohio kennen. Während ihres Urlaubs in Peru ist sie in eine unterirdische Höhle gestürzt, hat halluzinatorische Bilder von grünen Männchen und an der Decke tanzenden Spiegelbildern gesehen. In den Filmsequenzen, die sich als roter Faden durch den Abend ziehen, berichtet die Schauspielerin Zoe Hutmacher von dem mysteriösen Vorfall, bei dem sie Zeugin eines Ritualmords wurde. Dann hebt sich die Leinwand und gibt den Blick auf die Bühne frei. Ein auf dem Kopf stehender Raum mit grünen Wänden und an der Decke klebendem Mobiliar ist das tragende Element von Schloemers Inszenierung, die bereits bei den Schwetzinger Festspielen zu sehen war.

Der Bühnenbildner Jens Kilian nutzt den verblüffenden Effekt für einen Einheitsraum, in dem auf endspielhafte Art und Weise der Machtkampf zwischen der Königin Zempoalla und ihrem Sohn Acacis ausgetragen wird. Acacis liebt Orazia, die Tochter des gegnerischen Machthabers Montezuma. Die Prinzessin gerät zwischen die Fronten, wird von der Königin als Geisel genommen und dem Machterhalt geopfert. Mutter und Sohn töten sich anschliessend gegenseitig.

In der Decke klafft das Loch, durch das die Erzählerin in diese verkehrte Welt gefallen sein will. Seit dem Ausflug in den Dschungel werden ihre beiden Begleiter vermisst. Was ist hier Phantasiegespinst, was Schutzbehauptung, was Schuldeingeständnis? Für den Zuschauer bleibt dies schwer zu entwirren. Als Ausdruck der Mehrdeutigkeit kämpfen die Figuren auf der Bühne mit Schimären und Doppelgängern. Wie in Zeitlupe bewegen sich die Artisten der Überkopfszenen (Susanne Preissler, Oliver Kahl, Benedikt Ocker) an der Zimmerdecke. Sie agieren als Doubles der Sänger, verstreuen rätselhafte Briefbotschaften und verschwinden durch Tapetentüren – ein veritabler Theatercoup. Mit Hellsichtigkeit fühlt sich Schloemer in Purcells dunkle Seite ein, entdeckt den Komponisten als einen getriebenen Menschen. Doch manches bleibt vage symbolhaft.

Man merkt dem Abend an, dass er eine Weiterentwicklung des Schwetzinger Konzepts ist. Anstelle von gesprochenen Dialogen soll die Filmerzählung das Ungeheuerliche in der Realität verankern. Es gelingt nur bedingt, eine tragfähige Geschichte zu erzählen, was auch in der Natur von Purcells Semi-Oper liegt: «The Indian Queen» ist keine Oper im herkömmlichen Sinn, die Musik setzt sich aus über dreissig heterogenen Nummern, Tänzen, Arien, Chören, Zwischenaktmusiken und allegorischen Szenen zusammen, dazwischen wird gesprochen. Die Musik ist hier nicht unbedingt Trägerin der Handlung, sie dient vielmehr dazu, den Charakter von Theaterszenen zu unterstreichen – das tut sie auch in der Basler Inszenierung auf nachhaltige Weise. Es bleibt eine Gratwanderung, die Handlung allein anhand der musikalischen Nummern erzählen zu wollen. Schloemer weicht dieser Problematik nicht aus. Er ergänzt einige Musikstücke, füllt die Leerstellen im Stück durch suggestives Bewegungstheater aus, verzichtet in der Choreografie jedoch auf den höfischen Tanz.

Bewegungen und Gesten sagen manchmal mehr als Worte. Der moderne Ausdruckstanz der Tänzerin Alice Gartenschläger als Orazias Doppelgängerin stellt die Verwirrung der Heldin dar. Sie fragt sich, warum Menschen, die alles haben, Kriege anfangen: «Why should men quarrel here, where all possess as much as they can hope for by success?» Die Antwort geben kriegerische Trompeten, Ehrgeiz und Neid beginnen ihr zerstörerisches Werk, die Prinzessin wird blumengeschmückt zur Schlachtbank geführt. Die Schlangenbrut, die die Allegorie des Neides begleitet, wird von dem sich windenden Bewegungschor in grünen Ganzkörperkostümen verkörpert, während der Theaterchor seriös aus dem Orchestergraben singt.

Zweifelhafte Rahmenhandlung

Das Barockorchester La Cetra spielt unter der Leitung von David Cowan mit klanglichem Raffinement und Feuer. Einzig die Feinabstimmung der Tempi in den vom Basso continuo begleiteten Arien fehlte an der Premiere noch etwas. Bei den Sängerinnen und Sängern kann man Entdeckungen machen: Kim-Lillian Strebel ist eine anrührende Orazia, Mireille Lebel eine koloraturensichere Zempoalla, geschmeidig singen Anders Dahlin als Acacis und Marc Labonnette als Schamane im Bärenfell, Markus Nykänen punktet als auf Kothurnen einherschreitender Sonnengott. Geteilter Meinung darf man darüber sein, ob es eine gegenwartsnahe Rahmenhandlung braucht. Vielleicht hätte Schloemer lieber ganz auf die Überzeugungskraft der Purcellschen Musik und seine magischen Theaterbilder bauen sollen.