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Musiktheater
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Albert Herring

Komische Oper in drei Akten
Libretto von Eric Crozier nach der Novelle Le rosier de Madame Husson von Guy de Maupassant
Musik von Benjamin Britten

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 50' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Musiktheaters im Revier am 04. Mai 2014
(rezensierte Aufführung: 08.05.2014)

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Musiktheater im Revier
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Befreiung des Maikönigs

Von Thomas Molke / Fotos von Pedro Malinowski


Eigentlich hatte man im Musiktheater im Revier geplant, Ende April mit einer Uraufführung aufzuwarten und dafür die experimentierfreudige Komponistin Isidora
Žebeljan mit der fantastischen Oper Simon das Findelkind verpflichtet. Bereits zum Spielzeitbeginn im September 2013 stand allerdings fest, dass dieses Werk aus dispositionellen Gründen auf die folgende Spielzeit verschoben werden müsse und nun erst am 29. Mai 2015 zur Uraufführung gelangen soll. Bei der Suche nach einem "Ersatz" mögen wohl zwei Gründe die Wahl von Benjamin Brittens selten gespielter Oper Albert Herring begünstigt haben. Zum einen befand man sich zum Zeitpunkt der Entscheidung noch im Britten-Jubiläumsjahr, in dem Brittens einzigem komischen Werk auf deutschen Bühnen nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt worden war. Zum anderen ist dieses Stück in der kammermusikalischen Besetzung mit 13 Sängern und 12 Instrumentalisten geradezu ein prädestiniertes Ensemble-Stück, für das das MiR genau über die richtigen Darstellerinnen und Darsteller verfügt.

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Lady Billows (Karen Fergurson, vorne) und ihr "Sittenkomitee": von links hinten: Mr. Budd (Dong-Won Seo), Miss Wordsworth (Alfia Kamalova), Mr. Upfold (William Saetre) und Florence Pike (Almuth Herbst)

Die Oper spielt genau wie das zwei Jahre vorher komponierte Außenseiterdrama Peter Grimes in der ostenglischen Küstengrafschaft Suffolk. Hier versucht der schüchterne Antiheld Albert Herring, sich aus der Unterdrückung  seiner übermächtigen Mutter zu befreien. Da kommt es ihm sehr ungelegen, dass die Dorfgemeinschaft unter der Leitung der sittenstrengen Lady Billows ihn als Vorbild von Tugend und Enthaltsamkeit zum ersten männlichen Maikönig wählt, da sich in dem ganzen Örtchen kein Mädchen finden lässt, das den Anforderung des Sittenkomitees auch nur ansatzweise entsprechen kann. Doch Alberts Freunde Sid und Nancy mischen Albert bei der Krönungszeremonie Rum unter die Limonade, so dass der aufgeregte Junge während seiner Dankesrede seinen ersten Rausch erlebt und damit die Feierlichkeiten durcheinander bringt. In seinem Unglück flieht er mit der Prämie in den Nachbarort, um dort den ganzen Sündenkatalog auszuleben, vor dem ihn das Gebetbuch, welches er anlässlich der Krönung vom Vikar erhalten hat, eigentlich warnen sollte. Währenddessen verwandeln sich die Bewohner des Küstenstädtchens in Hobby-Detektive und lassen immer neue Schreckensmeldungen verlautbaren, die nahelegen, dass Albert tot ist. Als der Totgeglaubte wieder auftaucht, sind alle über seine plötzliche Veränderung entsetzt. Doch Albert feiert mit Nancy und Sid seine Befreiung aus der ihn einengenden spießigen Gesellschaft.

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Miss Wordsworth (Alfia Kamalova, rechts) übt mit Emmy (Jasmin Dommen, links), Siss (Betty Garcés, 2. von links) und Harry (Eva Nikolaus) das Ständchen für den Maikönig.

Mit Thomas Weber-Schallauer ist für die Inszenierung ein Regisseur und Schauspieler verpflichtet worden, der in Gelsenkirchen zuletzt als Kellner Leopold in Ralph Benatzkys Im weißen Rössl und in der von ihm inszenierten Weihnachtskomödie Der Messias von Patrick Barlow zu erleben war. Mit viel Ironie und großartigen Bühnenbildern setzen er und seine Bühnenbildnerin Britta Tönne Brittens Kritik an einer spießigen in altehrwürdiger Tradition erstarrten Gesellschaft um, die der Jugend die Luft zum Atmen nimmt. Die gewaltig hohen Wände im Haus der Lady Billows demonstrieren dabei die starren Strukturen einer unflexiblen Gesellschaft. Die in Pilzform geschnittenen Büsche bei der Krönungszeremonie karikieren die britische Vorliebe für leicht exaltierte Gartenkunst. Auch auf die Nähe zum Wasser wird auf amüsante Weise angespielt. So ziert in Lady Billows Haus ein riesiger Walross-Kopf die Wand über der Treppe, und in den Büschen lassen sich hinter dem Tisch das schottische Seeungeheuer Nessie und vor dem Tisch ein riesiger grüner Kraken erkennen, der die biedere Schulleiterin Miss Wordsworth mit Unbehagen erfüllt. Das komplette Küstenstädtchen ist auch in Miniaturform auf der rechten Seite über dem Orchestergraben aufgebaut und wirft vor Beginn der Oper große schwarze Schatten auf den Bühnenhintergrund. Dass Lady Billows in dieser Stadt das Sagen hat, wird zum einen an einer hohen Treppe festgemacht, die die altehrwürdige Patronin als graue Eminenz über den anderen thronen lässt. Zum anderen kann sie mit einem bloßen Blick des Entsetzens über den moralischen Verfall der Gesellschaft eines der Miniaturhäuser in Brand stecken. Dass Mrs. Herring ihren Sohn ebenso unterdrückt wie Lady Billows die Dorfgemeinschaft, deutet eine vergleichbar hohe Treppe im Gemüsehandel der Herrings an, über die Alberts Mutter in den Laden hinabsteigt, während Albert selbst aus einer Luke im Bühnenboden emporklettern muss.

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Die Dorfgemeinschaft (von links: Mrs. Herring (Noriko Ogawa-Yatake), Sid (Michael Dahmen), Mr. Gedge (Piotr Prochera), Miss Wordsworth (Alfia Kamalova), Lady Billows (Karen Fergurson), Mr. Budd (Dong-Won Seo), Mr. Upfold (William Saetre) und Florence Pike (Almuth Herbst)) glauben, dass Albert Herring (im Hintergrund: Hongjae Lim) tot sei.

Das spielfreudige Ensemble entwickelt in Weber-Schallauers ausgeklügelter Personenregie die einzelnen Figuren zu schrägen Typencharakteren. William Saetre legt den Bürgermeister Mr. Upfold als absolut unsympathischen Lüstling an. Die Blicke, die er dem Mädchen Emmy zuwirft und die ständigen Versuche, sie anzufassen, lassen mit Schrecken erahnen, was passieren könnte, wenn man diesen Mann mit dem Kind in einem Raum allein ließe. Eva Nikolaus, Betty Garcés und Jasmin Dommen spielen die drei Jugendlichen Harry, Cis und Emmy mit wunderbarer Naivität und Respektlosigkeit, wenn sie im Gemüseladen  heimlich versuchen, Obst zu stehlen, leicht unbeholfen bei den Feierlichkeiten ihre einstudierten Liedchen vortragen und sich den Text immer wieder von Miss Wordsworth vorsagen lassen müssen oder während der Festreden herumalbern. Alfia Kamalova gibt die Schulleiterin wunderbar prüde und wirkt immer herrlich irritiert, wenn sie einmal wieder Piotr Prochera als Vikar Mr. Gedge scheinbar zufällig zu nahe kommt. Dabei lässt Kamalova mit herrlich klaren Koloraturen aufhorchen. Die Paraderolle des Sittenkomitees kommt Karen Fergurson als Lady Billows zu. Mit ausgefallenen Kostümen und Frisuren inszeniert Fergurson jeden einzelnen Auftritt, ob sie nun majestätisch die Treppe herabsteigt oder als Sherlock Holmes mit einer riesigen Lupe die Miniaturhäuser nach Albert absucht, und überzeugt mit einem kräftigen, dramatischen Sopran.

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Albert Herring (E. Mark Murphy)

E. Mark Murphy ist für die Titelpartie stimmlich und darstellerisch eine Idealbesetzung. Mit melancholischem Spiel und leichtem Tenor gestaltet er den Albert als schüchternen jungen Mann, dem es zunächst nicht gelingt, sich gegen seine Mutter durchzusetzen. Wenn er dann als Maikönig nach dem Genuss des Rums seinen ersten Rausch mit einem gewaltigen Schluckauf erlebt, sieht man ihn das erste Mal amüsiert und etwas fröhlicher, wobei er zunächst nach Rückkehr in den Gemüsehandel erneut in tiefe Melancholie verfällt. Erst die sündigen Erfahrungen im Nachbarort machen ihn zu einem befreiten und selbstbestimmten Menschen, eine Entwicklung, die Murphy absolut glaubhaft umsetzt. Noriko Ogawa-Yatake gestaltet Mrs. Herring als herrisch liebende Mutter ebenfalls stimmlich überzeugend. Anke Sieloff und Michael Dahmen harmonieren als junges Liebespaar Nancy und Sid mit aufeinander abgestimmtem Gesang und innigem Spiel. Almuth Herbst und Dong-Won Seo runden als Florence Pike und Polizeichef Mr. Budd die durchweg überzeugende Leistung des Ensembles ab. Hinzu kommt Brittens großartige Musik, die die einzelnen Charaktere teilweise mit solistischem Einsatz der Instrumente wunderbar nachzeichnet oder andere Komponisten wie Richard Wagner aufgreift, wenn zum Beispiel der "Tristan-Akkord" erklingt, während Sid den Rum unter Alberts Limonade mischt. All das wird von den 12 Instrumentalisten der Neuen Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Valtteri Rauhalammi punktgenau umgesetzt, so dass es großen Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Es bleibt zu hoffen, dass diese Produktion einer relativ selten gespielten Britten-Oper aufgrund der musikalischen und szenischen Qualität in den Folgevorstellungen mehr Publikum anzieht als in dieser zweiten Aufführung. (Weitere Termine: 10., 23. und 25. Mai, 7. Juni und 5. Juli 2014)


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Valtteri Rauhalammi

Inszenierung
Thomas Weber-Schallauer

Bühne
Britta Tönne

Kostüme
Martina Feldmann

Licht
Patrick Fuchs

Dramaturgie
Anna Grundmeier

 

Neue Philharmonie Westfalen

Solisten

*rezensierte Aufführung

Albert Herring
Hongjae Lim /
*E. Mark Murphy

Lady Billows
Karen Fergurson

Florence Pike
Almuth Herbst

Miss Wordsworth, Schulleiterin
Alfia Kamalova

Mr. Gedge, Vikar
Piotr Prochera

Mr. Upfold, Bürgermeister
William Saetre

Mr. Budd, Polizeichef
Dong-Won Seo

Sid
Michael Dahmen

Nancy
Anke Sieloff

Mrs. Herring
Noriko Ogawa-Yatake

Emmy
Jasmin Dommen

Siss
*Betty Garcés /
Sheva Tehoval

Harry
Eva Nikolaus


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