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Die Utopie von einer besseren Welt
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Bettina Stoess "Wir wünschen Euch so viel Glück, wie es Regentropfen gibt" - ein Hochzeitswunsch mit einer gehörigen Prise Zynismus, wüssten die Wünschenden mehr über die unglücklichen Umstände. Jenufa heiratet Laca, den sie nicht liebt, der ihr, dem einst schönsten Mädchen des Dorfes, die Wange zerschnitten hat aus Eifersucht auf den Rivalen Stewa. Der hatte Jenufa geschwängert und sitzen gelassen, und weil ein uneheliches Kind unvermeidlich in den sozialen Abstieg geführt hätte, hat Jenufas Stiefmutter, die sittenstrenge Küsterin, das Neugeborene ertränkt (und Jenufa vorgegaukelt, es sei am Fieber gestorben). Vier am Leben Gescheiterte. "Oper aus dem mährischen Bauernleben" heißt es im Untertitel, als käme so etwas nur im bukolischen Milieu vor. Regisseur Robert Carsen interessiert sich allerdings nicht für Folklore, sondern für das Universelle an dieser Oper. Viel Schutz bieten diese Türen nicht
Carsen hat in den 1990er-Jahren an der Vlaamse Opera in Antwerpen und Gent mit seinen auf das Wesentliche reduzierten Inszenierungen von Werken Puccinis, später auch Janá?eks, für Furore gesorgt, und diese Arbeiten erfreuen sich heute noch erstaunlicher Beliebtheit - so hatte die Kölner Oper 2008 die Katja Kabanowa von 2004 übernommen, die Düsseldorf-Duisburger Rheinoper 2010 die Bohème von 1993. Jetzt hat das Essener Aalto-Theater die Jenufa von 1999 auf den Spielplan gesetzt. Carsens Programm der szenische Entschlackung, kombiniert mit großen, theatralischen Bildern, bietet einen ästhetisch eindrucksvollen Weg jenseits von musealem Naturalismus und einem zunehmend erschöpften Regietheater, und sehenswert sind die Arbeiten heute ganz sicher immer noch. Dass die neue Essener Intendanz bei ohnehin nur fünf Premieren darauf verzichtet, mehr eigene szenische Akzente zu setzen, mag man bedauern, es passt aber in die Linie, möglichst geräuschlos die Erfolgsgeschichte des Aalto-Theaters fortzusetzen. Ins Repertoire fügt sich diese zeitlose Jenufa sicher bestens ein. Jenufa (Sandra Janušaite)
Auf einer leicht schräg gestellten, mit Torf bedeckten Fläche stehen als Bühnenbild eine Reihe von leicht schäbbigen Türblättern - die lassen sich schnell verstellen, reichen als Begrenzung des Hauses völlig aus, verfremden die Geschichte hinreichend, um sie von allen Genrebildern zu befreien und lassen doch eben diese Geschichte schnörkellos erzählen. Die Kostüme sind fast modern, so ähnlich könnte man irgendwann am Ende des vorigen Jahrhunderts wohl auch noch auf mährischen Dörfern herumlaufen können. Damit hat Ausstatter Patrick Kinmonth einen eigentümlichen Schwebezustand zwischen Historie und Gegenwart geschaffen. Im ersten Akt wirkt die Personenregie ein wenig altbacken, da mag auch manche Pointierung zwischen Premiere und Neueinstudierung abgeschliffen sein - zur Pause war der Beifall denn auch eher verhalten. Der intimere zweite Akt mit der eigentlichen Katastrophe ist sicher auch leichter, weil es hier auf die Hauptdarsteller und deren Ausstrahlung ankommt. Zur Mörderin geworden, um die Stieftochter vor der sozialen Ausgrenzung zu bewahren: Die Küsterin (Katrin Kapplusch)
Da ist Sandra Janušaite als Jenufa, von der Regie eher als graue Maus denn als Schönste des Dorfes gezeichnet (auch die Verletzung der Wange wird fast zur Nebensache), mit etwas scharfer Stimme, szenisch zunächst ein wenig pauschal, und dann doch anrührend in ihrer großen Szene im zweiten Akt. Katrin Kapplusch als zunächst unscheinbare Küsterin und Kindsmörderin gewinnt ebenfalls im zweiten Akt an Profil, wenn sie an dramatischer ausdruckskraft zulegt und ein doch sehr eindrucksvolles Rollenprofil gibt. Alexey Sayapin ist ein hell timbrierter, zuverlässiger Stewa, Jeffrey Dowd ein in manchen Phrasen wunderbar baritonal eingedunkelter, dann wieder enger Laca. Keine ganz große Besetzung also, aber eine insgesamt ordentliche. Den Chor hätte man im ersten Aufzug vielleicht doch nicht tänzerisch herumhüpfen lassen sollen, das geht jedenfalls auf Kosten der rhythmischen Genauigkeit, ansonsten bewältigt er seine Partieklangschön und zuverlässig. Tomaš Netopil, tschechischer Generalmusikdirektor in Essen, dirigiert den ersten Akt sehr weich, zeichnet mit den ausgezeichneten Essener Philharmonikern manches Detail wunderschön nach, lässt immer wieder volksmusikalische Gesanglichkeit ausspielen, mildert dabei allerdings auch manche Schärfe ab. Vielleicht soll das im bewussten Kontrast zum sehr expressiven, dramatischen zweiten Akt stehen, in dem er es auch ordentlich krachen lässt. Im reinigenden Regen: Jenufa und Laca
Und dann ist da dieser magische Moment, an dem die Oper eigentlich zu Ende sein könnte, auch musikalisch, an dem das tote Kind gefunden, die Mörderin abgeführt und das verlorene Paar Jenufa und Laca, getrennte Wege geht - und an dem Janá?ek wie aus heiterem Himmel die Utopie heraufbeschwört, dass zwei Menschen im Moment der Katastrophe aneinander festhalten, nicht nur verzeihen, sondern gemeinsam nach einer Welt suchen, in der alles anders, besser ist. Eine Spur zu vertraut, zu konventionell, zu wenig überirdisch, spielt da das Orchester, das doch ganz neue Sphären erschließen müsste. Robert Carsen aber lässt es regnen. Und man wünscht diesem Paar, nein: der ganzen Menschheit so viel Glück, wie es hier Regentropfen gibt. Das ist großes Theater.
Robert Carsens stringente Inszenierung entfaltet nach ein paar Anlaufschwierigkeiten immer noch große Wirkung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild und Kostüme
Leitung der szenischen Einstudierung
Chor
Dramaturgie
Solisten
Die alte Buryja
Laca Klemen
Stewa Buryja
Die Küsterin Buryja
Jenufa
Altgesell
Dorfrichter
Seine Frau (Dorfrichters)
Karolka, ihre Tochter
Barena
Eine Magd
Jano
Tante
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