Leiden und Mit-Leiden

Fulminant, die Premiere von Zimmermanns «Soldaten» in München. Vor allem musikalisch, denn die grossformatige, laute Oper zeigt hier auch ihre sensiblen, geschmeidigen und farbigen Seiten.

Peter Hagmann
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Donnernd in der Anklage gegen Gewalt, feinnervig in ihrer künstlerischen Sensibilität – Bernd Alois Zimmermanns Oper «Die Soldaten» in München. (Bild: PD)

Donnernd in der Anklage gegen Gewalt, feinnervig in ihrer künstlerischen Sensibilität – Bernd Alois Zimmermanns Oper «Die Soldaten» in München. (Bild: PD)

Der Beginn eine dröhnende Klangwalze, grundiert von einem Pauken-Ostinato, das sich förmlich in den Zuhörer hineinbohrt. Das Ende ein von scharfen Trommeln ausgeführter, bedrohlich lauter werdender Marschtritt, der in einen vielfachen Aufschrei und eine Explosion horribler Geräusche mündet – und dann: ein einsames Schluchzen. «Die Soldaten» von Bernd Alois Zimmermann, die jetzt in der Bayerischen Staatsoper München zu fulminanter Premiere gekommen sind, fahren einem in Fleisch und Seele wie nichts sonst auf der Opernbühne. Schauerlich das Drama von Jakob Michael Reinhold Lenz, das sich der Komponist eigenhändig eingerichtet hat; und verstörend die Übereinstimmung zwischen diesem Text aus dem Sturm und Drang und der Situation, in der sich Zimmermann zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sah. Riesig das Orchester und nicht zu zählen die Darsteller – im Dienst einer Musik, die donnernd Anklage erhebt gegen jede Form von Gewalt, wie sie von Menschen gegen Menschen ausgeübt werden kann.

Zimmermanns Impressionismus

Allerdings sind Zimmermanns «Soldaten» auch ein Werk von höchster Kunstfertigkeit und zudem eines von Sinnlichkeit und zarter Sensibilität – dass das jetzt einmal so deutlich zu hören war, darin besteht die eigentliche Sensation der Münchner Aufführung. Gern und zu Recht wird festgestellt, dass Musiker, die sich auch im Bereich des Zeitgenössischen umtun, das hergebrachte Repertoire mit frischem Blick angehen. Hier, im Fall der Münchner «Soldaten», gilt das Umgekehrte. Kirill Petrenko, der neue Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, ist einer der aufregendsten Dirigenten jüngerer Generation. Ob er sich mit Tschaikowsky befasst, wie es in Lyon geschehen ist, oder mit Wagners «Ring» wie letzten Sommer in Bayreuth, ob er sich Richard Strauss zuwendet, wie er es zu Beginn der Saison mit der «Frau ohne Schatten» in München getan hat – immer wieder kommt es zu Hörerlebnissen, die einen erst restlos gefangen nehmen und dann staunend zurücklassen. Dass sich Petrenko nun aber «Die Soldaten» zumuten würde, hätte niemand vorauszusagen gewagt.

Und erst recht hätte niemand ahnen können, welch funkelndes Licht er in dieser Riesenmaschine von Partitur entdecken würde. Das Atmen und die Farbigkeit, die Petrenkos Handschrift auszeichnen, sie wirken auch hier. Mit einem Mal lässt sich hören, in welchem Mass Zimmermann auch in den «Soldaten» mit geradezu impressionistischen Tönungen arbeitet. Möglich ist das, weil Petrenko nicht nur den Apparat fest in der Hand hält, sondern auch die Balance – wo es denn möglich ist – äusserst feinnervig austariert. So erhalten «Die Soldaten» eine Geschmeidigkeit, die man kaum für möglich gehalten hätte. Und erscheint das Werk nicht nur als erschütternder Aufschrei einer im tiefsten Inneren verletzten Seele, sondern auch als Ausdruck des Leidens, des Mit-Leidens, der Empathie. Dass Interpretation im emphatischen Wortsinn auch bei der Musik des 20. Jahrhunderts ihre Rolle spielt – an diesem Beispiel kann man es sich erneut bewusst machen.

Hinreissend, wie sich das Bayerische Staatsorchester und das enorme Ensemble dem interpretatorischen Ansatz Petrenkos verschrieben haben. Als geschundene, auf ihrem Weg nach oben immer weiter fallende Marie bietet Barbara Hannigan eine Glanzleistung. Sie ist eine süsse Meerkatze, wie sie ihr Vater Wesener (Christoph Stephinger) nennt, einschmeichelnd und lasziv, aber auch grenzenlos naiv. Nur eines: Ihre Stimme, hell und hoch, äusserst virtuos geführt, ist nicht für das Münchner Nationaltheater geschaffen; in diesem grossen Haus geht sie unter, vor allem neben dem fülligen, warmen Alt, mit dem Okka von der Damerau ihre Schwester Charlotte verkörpert. Berührend Michael Nagy als Stolzius, der im Schoss seiner Mutter (Heike Grötzinger) lebt und darum ebenso grausam zu Tode kommt wie die für ihn unerreichbare Marie. Zahlreich auch grandios ausgestaltete Rollenporträts wie das der Gräfin La Roche (Nicola Beller Carbone) und ihres rhythmisch sprechenden Bedienten (Johannes Terne).

Nazi-Trauma

Im Szenischen ist von der musikalischen Differenzierung nicht allzu viel aufgenommen. Andreas Kriegenburg haut auf die Pauke, wie es nun einmal seine Art ist. Ähnlich wie bei der Zürcher Produktion der «Soldaten» , mit der das Opernhaus Zürich seine Saison eröffnet hat, ist das Bühnenbild von Harald B. Thor mächtig in die Höhe gezogen wie in die Tiefe gestaffelt. Im Zentrum steht ein Kreuz von insgesamt sieben durch Maschendraht vergitterten Käfigen, mit deren Hilfe die Gleichzeitigkeit des Geschehens bewältigt wird. Doch anders als Calixto Bieito, der Zimmermanns Werk aus dem Geist seiner Entstehungszeit, mithin des Wirtschaftswunders gedeutet hat, bezieht es Kriegenburg handfest auf die traumatisierenden Erlebnisse des Komponisten während der Herrschaft der Nationalsozialisten: Schrecklich die aus den Reitstiefeln hervorschiessenden Hosen und die vorlauten Mützen der schwarzen Uniformen, die Andrea Schraad entworfen hat.

Der Ansatz ist legitim, weil er hervorhebt, wo das Stück verwurzelt ist. Und umso legitimer, als die Gewalt, insbesondere die sexualisierte der Macho-Männer gegen die Frauen, in hohem Mass choreografiert (Zenta Haerter), somit als Kunst erkennbar ist. Ob sie so eindeutig gezeigt werden muss, wie es hier geschieht, steht auf einem anderen Blatt.