Schweinische Welt

Der ungarische Regisseur Árpád Schilling zeigt im Theater Basel eine eigenwillige, aber kohärente Deutung von Berlioz' «Damnation de Faust». In der Titelrolle glänzt Rolf Romei.

Thomas Schacher
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Ist es eine Oper oder nicht? Hector Berlioz nannte «La Damnation de Faust» erst «Opéra de concert», dann «Légende dramatique». Als Oper hat er die in den Jahren 1845 und 1846 entstandene Komposition nicht geplant, zu seinen Lebzeiten ist sie auch nie auf einer Bühne erschienen; die erste Inszenierung fand erst 1893 in Monte Carlo statt. Seither aber beissen sich immer wieder mutige Regisseure an dem Werk die Zähne aus. Berlioz' «Faust», der inhaltlich frei dem Goetheschen Vorbild folgt, hat zwar durchaus opernhafte Szenen und weist drei profilierte Hauptfiguren auf. Andererseits fügen sich die zwanzig Bilder nur locker aneinander, und der dramaturgische Zusammenhang ist nicht immer gewährleistet. Zudem vollzieht sich das Geschehen ganz aus der Perspektive des Titelhelden – sozusagen eine musikdramatische Ich-Erzählung.

Vervielfachungen

Am Theater Basel zeigt der ungarische Regisseur Árpád Schilling nun eine eigenwillige, aber kohärente Deutung. Das auffallendste Element sind die Verdoppelung Marguerites und die Verdreifachung Fausts. Zur Mezzosopranistin Solenn' Lavanant-Linke, welche die «richtige» Marguerite verkörpert, gesellt sich eine ganz junge Marguerite, die bald die laszive Verführerin, bald die pubertierende Tochter spielt. Tenor Rolf Romei, der den Faust singt, findet in dem noch unerfahrenen Jüngling und in dem auf sein Leben zurückblickenden gereiften Mann gleich zwei Alter Egos. Diese psychologischen Ergänzungen erlauben verschiedene zusätzliche Beziehungsformen und dienen ausserdem der Bildung von Zusammenhängen. Wenn Faust in Marguerites Zimmer kommt, findet er zwei Frauen vor. Als er sich an die ältere heranmacht, wird die jüngere eifersüchtig und verwandelt das Zimmer in das Gefängnis der Rivalin.

Für Zusammenhang sorgen auch die Ausstattung von Márton Ágh und die Videoprojektionen von Péter Fancsikai. Etwas problematisch ist das Nebeneinander von realistischen und surrealistischen Szenen. Im ersten Bild sehen wir Faust in der Badewanne seiner Luxusvilla, gefangen in seinem Reichtum. In der dritten Szene dann sieht man zum berühmten Rákóczi-Marsch nicht vorüberziehende Soldaten, sondern ein Video mit Schweinen, die industriell geschlachtet und verbrannt werden. Der Holocaust lässt grüssen. Schweinisch benehmen sich später auch die Studenten in Auerbachs Keller oder die Nachbarn in Marguerites Haus. Sie alle finden sich am Schluss, versehen mit Schweineschnauzen-Masken, zusammen mit Faust in der Hölle wieder, wohin sie Méphistophélès verschleppt hat. Dass Faust anschliessend entmannt wird, die «richtige» Marguerite dem Mephisto als Gattin zulächelt, während das «falsche» Gretchen einer Kopie des Jüngling-Faust als Braut aufgezwungen wird, entbehrt zwar nicht der Konsequenz, hat aber mit Berlioz nichts mehr zu tun.

Zu schön

Der Méphistophélès von Werner van Mechelen ist nicht als Karikaturteufel ausgestattet, sondern als Drahtzieher im Anzug, der alles steuert. Dennoch klingt sein Bariton für diese Rolle zu angenehm, da dürfte ruhig diabolische Kälte mitschwingen. Eine Topbesetzung ist der Faust von Rolf Romei. Mit seinem leuchtenden, aber nie forcierten Tenor und seiner strahlenden Erscheinung wird er für das Publikum zu einer Identifikationsfigur. Das Problem dabei: Der Regisseur möchte Faust eigentlich als negative Figur zeigen, unfähig, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ihr Rollendebüt als Marguerite gibt Solenn' Lavanant-Linke. Die junge Mezzosopranistin mit der lyrischen Stimme punktet zumal mit ihren Arien «Le roi de Thulé» und «Romance». Für starke Kontrastwirkungen gegenüber den Solorollen sorgt der Chor des Theaters Basel. Das von Enrico Delamboye geleitete Sinfonieorchester Basel setzt den Klangzauber von Berlioz' Partitur gekonnt um. Die melancholischen und die lyrischen Partien gelingen hervorragend, das Turbulente könnte noch geschärfter, das Diabolische noch schräger erscheinen.