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Musiktheater
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The Rape of Lucretia

Oper in zwei Akten
Libretto von Roland Duncan, basierend auf André Obeys Schauspiel Le Viol de Lucrèce
Musik von
Benjamin Britten

In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln 

Aufführungsdauer: ca. 2 h 15' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Bielefeld am 24. Mai 2014
(rezensierte Aufführung: 29.05.2014)


 

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Theater Bielefeld
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Der Fall Lucretia

 Von Thomas Molke / Fotos von Matthias Stutte


Nach dem großen Erfolg seiner Oper Peter Grimes wandte sich Benjamin Britten mit The Rape of Lucretia einem kammermusikalischen Rahmen zu, an dem er trotz des finanziellen Desasters mit dieser Oper auch für seine ein Jahr später folgende einzige komische Oper Albert Herring festhielt. In beiden Werken arbeitete er mit 12 bzw. 13 Instrumentalisten und verzichtete auf groß angelegte Chorszenen. Bei The Rape of Lucretia ließ Britten allerdings den Chor nicht komplett weg, sondern reduzierte ihn personell auf zwei Personen, die in Form eines Female und Male Chorus die Funktionen übernahmen, die ihm bereits in der attischen Tragödie einerseits als Kommentator, andererseits als Teil der Handlung zukamen. Dass der Oper im Gegensatz zu dem ein Jahr später uraufgeführten komischen Werk zunächst der Erfolg verwehrt blieb, mag vielleicht auch an dem Vergewaltigungs-Thema gelegen haben, das bei einem Teil der Zuschauer Erinnerungen geweckt haben könnte, die kurz nach dem Krieg noch nicht vollständig verarbeitet waren. Doch auch heute hat die in einigen gesellschaftlichen Bereichen immer noch tabuisierte Gewalt an Frauen nichts an Brisanz eingebüßt und macht dieses Stück damit hochaktuell, auch wenn die Geschichte um 500 v. Chr. zur Zeit des letzten etruskischen Königs Tarquinius Superbus spielt.

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Tarquinius (Frank Dolphin Wong) vergewaltigt Lucretia (Melanie Forgeron) (im Hintergrund: Bianca (Nohad Becker)).

Bereits der römische Geschichtsschreiber Livius berichtet von der römischen "Mustergattin" Lucretia, die zum einen zu einer Ikone der keuschen Ehefrau stilisiert wurde und deren Leid zum anderen das Ende der Königsherrschaft in Rom einläutete und den Weg in eine Republik ebnete. André Obey bearbeitete die Erzählung zu einem Schauspiel, das Britten als Vorlage für seine Oper diente. Die Römer befinden sich im Krieg gegen die Griechen und kommen unter Alkoholeinfluss von Langeweile geplagt auf die Idee, die Treue ihrer Frauen daheim zu testen. Als sich herausstellt, dass nur Collatinus' Gattin Lucretia dem Gatten während seiner Abwesenheit die Treue hält, schmiedet Junius einen Plan. Er stiftet den Sohn des Königs, Tarquinius Sextus, an, Lucretias Treue noch einmal auf die Probe zu stellen. Tarquinius Sextus begibt sich zu Lucretia und fordert als Prinz ein Zimmer zur Übernachtung. Da sein männlicher Stolz Lucretias Zurückweisung nicht erträgt, vergewaltigt er sie. Lucretia lässt am nächsten Tag ihren Mann rufen und berichtet ihm von der Schandtat. Obwohl Collatinus ihr keinerlei Vorwürfe macht, kann sie selbst mit dieser Schande nicht leben und begeht Selbstmord. Collatinus und Junius rufen zum Aufstand gegen den König auf. Kommentiert wird das Geschehen von dem Female und Male Chorus, die zum einen in einer Art Prolog in die Geschichte einführen und die Geschehnisse aus christlicher Perspektive durchleuchten. Während der Female Chorus an der moralischen Aussage des Stückes am Ende verzweifelt, weist der Male Chorus auf das Leiden Christi hin, das den Menschen schließlich die Erlösung bringe.

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Lucretia (Melanie Forgeron, vorne links) hat sich erdolcht, daneben: Bianca (Nohad Becker) mit Collatinus (Moon Soo Park), im Hintergrund: Female Chorus (Melanie Kreuter).

Andrea Schwalbach zieht in ihrer Inszenierung die Geschichte als eine Gerichtsverhandlung auf. Female und Male Chorus verkörpern dabei zwei Anwälte, die versuchen, mit Opfern und Tätern den Fall noch einmal nachzustellen. So deutet die von Anne Neuser konzipierte Bühne einen Büroraum mit zahlreichen Aktenschränken und einem großen Schreibtisch an, in dem das Geschehene noch einmal aufgearbeitet werden soll. Auf der rechten Seite der Bühne ist das "Beweismaterial" sichergestellt, mit dem die Geschichte noch einmal nachgespielt werden soll. Während die Matratze, die im zweiten Akt zum Einsatz kommt, und das Kruzifix an der Wand, das andeutet, dass der Fall aus christlicher Sicht aufgerollt wird, durchaus noch nachvollziehbar sind, bleibt unklar, was der aufgerollte PVC-Boden oder die Kostüme bedeuten sollen, die der Male Chorus auf die einzelnen Stühle legt, wenn Collatinus, Junius und Tarquinius im angeblichen römischen Lager die Geschichte noch einmal beginnen lassen. Auch wird beim Male Chorus eigentlich nicht ganz klar, wessen Seite er als Anwalt denn jetzt eigentlich vertreten soll. Während beim Female Chorus die Seite der Frauen, also Lucretia, recht eindeutig ist, ist die Zuordnung beim Male Chorus durchaus schwieriger. Szenisch wirkt er als Vertreter von Collatinus und Junius, was allerdings Tarquinius ohne Verteidiger zurücklässt.

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Das Chaos bricht aus: von links: Bianca (Nohad Becker), Junius (Caio Monteiro), Collatinus (Moon Soo Park), Male Chorus (Daniel Pataky), Female Chorus (Melanie Kreuter) und Lucia (Cornelie Isenbürger).

Sieht man von diesen kleinen Unstimmigkeiten ab, gelingt es Schwalbach mit ihrem Ansatz recht gut, die beiden Chorpartien zum Teil der Handlung werden zu lassen und eine packende Geschichte zu erzählen. Besonders der Teil nach der Pause geht dabei unter die Haut. Die Rückwand ist nun gedreht und man scheint sich in einem hinteren Bürozimmer zu befinden, in dem nun das eigentliche Vergehen nachgestellt werden soll. Die Vergewaltigung wird allerdings nicht nur nachgespielt, sondern findet vor den Augen der anderen erneut statt, wobei Lucia und Bianca die Augen verschließen und Collatinus und Junius einfach vorher die Bühne verlassen. So ist Lucretia erneut in dieser Nacht allein und muss dieses Leid ein weiteres Mal über sich ergehen lassen, sehr wohl in dem Wissen, dass dieses Mal Menschen da gewesen wären, die es hätten verhindern können. Völlig traumatisiert versucht sie, sich unter einer Dusche die "Schande" abzuwaschen, aber was verschwindet, ist der Duschvorhang, der sie vor den Blicken der anderen geschützt hat. Dass Bianca ihr auch noch rät, das Geschehene nicht ihrem Gatten zu erzählen, treibt ihre Verzweiflung auf die Spitze. Wenn sie sich dann erdolcht, gerät die Situation auch für die Anwälte aus den Fugen. Die Verhandlung wird abgebrochen.

Musikalisch bewegt Brittens aufwühlende Musik, die die 13 Instrumentalisten der Bielefelder Philharmoniker unter der Leitung von Elisa Gogou differenziert umsetzen. Wie regelrecht zärtliche Klänge, wenn Tarquinius sich heimlich in Lucretias Zimmer schleicht und sie zunächst mit schmeichelnden Worten zu verführen versucht, in einen harten erbarmungslosen Rhythmus zum Zeitpunkt der Vergewaltigung übergehen, geht genauso unter die Haut wie die Anklänge an das Requiem von Mozart, wenn Lucretia kurz vor ihrem Selbstmord steht. Auch die Solisten setzen ihre Partien stimmlich und darstellerisch überzeugend um. Frank Dolphin Wong gibt mit virilem Bariton einen von Testosteron gesteuerten Tarquinius, der nicht bereit ist, eine Zurückweisung durch eine Frau zu akzeptieren. Caio Monteiro verkörpert den Junius mit kühlem Bariton, der deutlich macht, dass ihm jedes Mittel recht ist, um politisch an sein Ziel zu gelangen. Da verführt er auch Lucretias Dienerin Lucia, die ihm dabei dann auch noch behilflich ist, dass Tarquinius' Vergehen öffentlich gemacht wird. Cornelie Isenbürger stattet die Dienerin mit lyrischem Sopran aus, der die Naivität der Partie wunderbar unterstützt. Moon Soo Park gefällt als Collatinus mit solidem Bass, der von Junius zum Aufstand instrumentalisiert wird. Nohad Becker überzeugt als Amme Bianca mit sattem Mezzo. Gleiches gilt für Melanie Forgeron, die darstellerisch absolut unnahbar und kühl bleibt. Ihre Mimik lässt das Leid nachempfinden, dass dieser Frau zugefügt worden ist und dass sie im zweiten Akt noch einmal durchleben muss. Melanie Kreuter und Daniel Pataky runden als Female und Male Chorus das Ensemble stimmlich hervorragend ab, so dass es am Ende lang anhaltenden und begeisterten Applaus im leider nicht ganz so gut besetzten Zuschauerraum gibt.

FAZIT

Andrea Schwalbach setzt mit einem gut disponierten Ensemble Brittens recht selten gespielte Kammeroper packend um und findet zu einer Erzählstruktur, die im Allgemeinen aufgeht und überzeugen kann.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Elisa Gogou   

Inszenierung
Andrea Schwalbach    

Bühne und Kostüme
Anne Neuser

Licht
Peter Lorenz /
Johann Kaiser

Dramaturgie
Daniel Westen

 

Bielefelder Philharmoniker


Solisten

Male Chorus
Daniel Pataky

Female Chorus
Melanie Kreuter

Collatinus
Moon Soo Park

Lucretia
Melanie Forgeron

Tarquinius
Frank Dolphin Wong

Junius
Caio Monteiro

Lucia
Cornelie Isenbürger

Bianca
Nohad Becker

 

Weitere Informationen
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Theater Bielefeld
(Homepage)




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