Oper

Pathos, Rührung und leise Komik

Staatstheaters Darmstadt - Außenansicht
Staatstheater Darmstadt © picture alliance / dpa / Roland Holschneider
Von Bernhard Doppler · 01.06.2014
Zu seinem 70. Geburtstag verabschiedet sich Intendant und Regisseur John Dew mit Puccinis "Il Tabarro" von seinem Publikum. Wie zu seinen besten Zeiten ist ihm eine effektvoll, ja geradezu innovativ erscheinende musikalische Inszenierung gelungen.
Zuvor hatten noch Lauretta und Rinuccio (Aki Hashimoto und Arturo Martin), "das möglicherweise dümmste Liebespaar der gesamten Opernliteratur" - so Regisseur und Intendant John Dew - aus der Komödie "Gianni Schicchi" die touristischen Attraktionen von Florenz besungen, da tritt der Intendant, selbst auf, unterbricht die Musik und übernimmt die Abschlussworte des Titelhelden und Testament-Fälschers Gianni Schicchi. John (Dew) und Gianni (Schicchi): Dante habe Gianni zwar zu den Verdammten in die Hölle geschickt, und in die Hölle hätte man auch ihn, John, wohl öfter als Intendant gewünscht, aber nun bitte er - wie Gianni - um erlösenden Applaus von seinem Publikum. Und der wurde John Dew und dem Darmstädter Ensemble auch reichlich gespendet.
Nach zehnjähriger Intendanz und zu seinem 70. Geburtstag hatte er sich Giacomo Puccinis Einakterzyklus - "Il Tabarro", "Schwester Angelica" und eben "Gianni Schicchi" - als Abschiedsinszenierung ausgesucht, schon allein deshalb, weil er sein gesamtes Darmstädter Ensemble in den personenreichen Einaktern präsentieren konnte.
Unter Kitschverdacht
Die Wahl von "Il Trittico'" zeigt darüber hinaus deutlich John Dews speziellen Zugriff auf das Musiktheater. Sicherlich: "Il Trittico" ist keine der Ausgrabung oder Wiederentdeckungen, mit denen er insbesondere als Oberspielleiter im Theater Bielefeld in den 80er- und 90er-Jahren das vor allem durch die Nationalsozialisten eingeschränkte Opernrepertoire wieder ausgrub, doch Puccinis Einakterzyklus wird zumeist auseinandergerissen und vor allem das Mittelstück "Schwester Angelica", eine ausschließlich von Frauen gesungene Oper, selten gegeben: die Geschichte einer Nonne, die von dem zwei Jahre zurückliegenden Tod ihres geliebten Sohnes erfährt und daraufhin Selbstmord, eine Todsünde, begeht, steht unter Kitschverdacht.
Doch auf Pathos und Rührung - oft mit leiser Komik durchsetzt - konnte sich John Dew immer gut einlassen, ohne sich intellektuell davon distanzieren zu müssen. Die Klosterschwestern also bei ihm zuerst aufgereiht sitzend, plaudernd wie eine Selbsterfahrungsgruppe, dann die Härte des Konflikts zwischen der Fürstin (Yanyu Guo) und Angelica (Susanne Serfling), schließlich das Pathos beim Tod Angelica: sehr beherrscht und gerade dadurch effektvoll.
Verbindindung von Tod, Ängsten und Sehnsüchten
Im Vergleich zu Dews frechen mit Showeffekten nicht geizenden frühen Inszenierungen, mit denen er in den 90er-Jahren das Publikum vielfach provozierte, mögen seine Regiearbeiten der letzten Jahren konventionell und reduziert, ja manchmal statuarisch erscheinen, aber Dew ging es immer in erster Line darum, nicht zu interpretieren, sondern die jeweilige Struktur der Werke herauszuarbeiten und mit einfachen Mitteln sichtbar zu machen.
Bei "Il Trittico" verbindet der Tod, die Ängste und Sehnsüchte vor ihm einleuchtend die Einakter. Aktualisierungen vermeidet er, und "Il Trittico", die von Geldgier bestimmte Gesellschaft, zeigt Dew als überzogene Renaissancekomödie (Bühne und Kostüme wie seit dreißig Jahren: Heinz Balthes und José Manuel Vazquez).
Vor allem schafft Dews Inszenierung den Rahmen, dass Puccinis Musik - oft als trivial gegenüber der zeitgleichen musikalischen Avantgarde abgewertet ("Il trittico" kam 1918 in New York zur Uraufführung) - im Zentrum steht und mit dem Staatsorchester Darmstadt unter Martin Lukas Meister effektvoll, raffiniert, ja geradezu innovativ erscheint, die Geräusche (Schiffssignale, Kirchenglocken, Leierkasten, das Gemurmel der Erbschleicher) etwa, die sich beinahe unkoordiniert mit dem Orchester brechen. Darstellerisch und gesanglich beeindruckend souverän: Tito You als Schiffseigner Michele und Gianni Schicchi und viel Jubel für Susanne Serfling und ihren beeindruckenden Tod als Angelica.
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