„Così fan tutte“? So machen's gottlob nicht alle!

FOTOPROBE: ´COSI FAN TUTTE´
FOTOPROBE: ´COSI FAN TUTTE´(c) APA/JAVIER DEL REAL / TEATRO REA (JAVIER DEL REAL / TEATRO REAL)
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Michael Hanekes Mozart-Inszenierung übersiedelt für einige Tage aus Madrid ins Theater an der Wien. Szenisch ist das ein Fest. Wer meint, dass Oper auch etwas mit Musik zu tun haben sollte, weint zwischendurch leise.

Ja, ist ja gut. Ich bin gleich wieder still und außerdem ohnehin auch stolz, dass wir in Michael Haneke einen bedeutenden Filmregisseur im Lande haben. Wir fangen am besten wohl auch mit der guten Nachricht an. Natürlich ist die Inszenierung von „Così fan tutte“ ein Ereignis. Welche Bilder!

Christoph Kanter hat eine schick nach dem neuesten Geschmack adaptierte Toskana-Villa auf die Bühne gezaubert. Zur Abendgesellschaft finden sich die Protagonisten ein, von Moidele Bickel hinreißend gewandet: mondäne Welt. 2014? 1790? Die Zeiten verschwimmen. Ein pikanter Partnertausch zum Aperitif – „Così fan tutte“, angeblich nach einer wahren Begebenheit im Wien des Rokoko gestaltet, ist doch auch recht heutig...

Diese Erkenntnis, gewiss, ist nicht neu. Aber wer hat sie je so so betörend sichtbar gemacht? Zwischen den Zeiten, zwischen (Alp-)Traum und Wirklichkeit siedelt auch Michael Hanekes Geschichte, frei nach Lorenzo da Ponte und Mozart erzählt. Virtuos erzählt, versteht sich. Was man zu sehen bekommt ist, wer hätte etwas anderes vermutet?, filmreif. Vor allem fesselt die – vom Regisseur dazuerfundene – Beziehungsgeschichte zwischen Despina (Kerstin Avemo als Sunnyi-Melles-Karikatur) und Don Alfonso (William Shimell). Diesbezügliche Verbitterung scheint der Auslöser für die Intrige, die der „vecchio filosofo“ spinnt. Haneke wirft ein behutsam gesponnenes Netz aus Blicken, Gesten, Berührungen und beinah unmerklichen Regungen über das Intrigenspiel. Die Darsteller kosten das sensibel aus, und der Betrachter spielt das Spiel gern mit, nimmt kleinere Ungereimtheiten, logische Reibungsverluste zwischen Aktion und Libretto-Text in Kauf.

Die Damen übernehmen die Führung

Die betrogenen Betrüger müssen sich ab dem ersten Finale nicht mehr verkleiden – man versteht: Die handelnden Personen haben sich längst lustvoll im bösen Spiel verloren. Grandios, wie nach und nach die Fesseln gesprengt werden – Ferrando (Juan Francisco Gatell) und Guglielmo (Andreas Wolf) scheinen noch am Beginn der Gartenszene des zweiten Akts nicht sicher, ob sie nicht doch zu ihren früheren Partnerinnen zurückwechseln möchten.

Es ist zu spät. Die gegenseitigen Anziehungskräfte wirken bereits wie Gift. Die Damen haben das Ruder übernommen – also doch „così fan tutte“ und nicht „tutti“; da muss Dorabella (Paola Gardina) ihre zweite Arie gar nicht singen, so wenig wie Ferrando die seine, gottlob, denn er hat die A-Dur-Arie schon undifferenziert durchgebrüllt).

Was die Personenführung betrifft, ist es wirklich lange her, dass man dieses Werk schlüssiger zu sehen bekommen hat. Heutige Opernregisseure verlegen sich ja eher auf Demontage – wahrscheinlich, weil sie nicht annähernd über das handwerkliche Geschick Michael Hanekes verfügen, dessen Personenführung kühne Volten schlüssig ins Ganze zu binden weiß: Despina ohrfeigt zuletzt Alfonso, dessen Ränkespielen sie während des gesamten Abends wutschnaubend, aber offenbar doch irgendwie wieder auf seine Wünsche fixiert, Hilfsdienste leistet. Alfonso aber – ohrfeigt dann Despina. Es sind mehr Rechnungen offen, als man sich nach vier Stunden Seelen-Entblätterung träumen lässt, wenn zuletzt im zornigen Finale alle Beteiligten nur noch wild aneinander zerren: Wer gehört zu wem?

Rangierte dieses Gastspiel als Beitrag zum Schauspielprogramm der Festwochen, es wäre dessen Glanzstück. Wer der Meinung ist, Oper hätte doch auch etwas mit Musik zu tun, stellt nun vielleicht die Frage, ob sich eine solche Aufführung nicht auch mit Sängern erarbeiten ließe, die höheren als Stadttheater-Ansprüchen genügen?

Warum ohne einen guten Dirigenten?

Vor allem: Warum arbeitet ein Mann wie Haneke nicht mit einem Musiker zusammen, der ihm in seinem Metier das Wasser reichen kann? Oder zumindest mit einem Handwerker, der Orchester und Bühne wirklich durchwegs zu koordinieren vermag, wenn es schon nicht ein Dirigent sein darf, die psychologischen Verästelungen von Mozarts Partitur so feinsinnig durchdringt wie der Regisseur jene der Handlung?

Was bei dieser Aufführung aus dem Orchestergraben dringt, ist zum Verzweifeln. Ob Sylvain Cambreling Temporelationen eher durch Würfeln als durch intellektuellen Ratschluss oder gar musikantisches Balancegefühl ermittelt? In Wien steht ihm mit der sogenannten „Deutschen Kammerphilharmonie“ aus Bremen ein Orchester zur Verfügung, dem schon manche der Allegro-Vorgaben in der Ouverture einfach zu schnell sind. Die Holzbläser – abgesehen von den, sagen wir's freundlich, herben Klangmixturen, die sie danach den ganzen Abend lang servieren – lassen schon etliche Achteltöne im eher klappernden als schnurrenden Laufwerk der Ouvertüre unter die Notenpulte fallen...

Wie soll da eine offenbar vorrangig nach optischen Kriterien gecastete Besetzung reüssieren? Vielleicht fände sich sogar das eine oder andere Gesangstalent darunter. Es ist nicht zu ermitteln. Ob ein guter Coach Anett Fritsch, die das Rondo der Fiordiligi immerhin spannungsgeladen serviert, dazu verhelfen könnte, Vokalbögen bis zum Ende (intonations-)sicher zu führen und die Stimme auch in der Höhe zum Blühen zu bringen?

Für diesmal gilt, bei Licht betrachtet, die Benotung: Bühnenspiel: sehr gut, Musik: (noch) genügend. Das Publikum freilich vergab in Feierstimmung pauschal Bestnoten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2014)

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