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Musikfestspiele
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Salzburger Pfingstfestspiele
05.06.2014 - 09.06.2014

La Cenerentola ossia
La bontà in trionfo


Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Jacopo Ferretti
Musik von Gioachino Rossini

in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 10' (eine Pause)

Premiere im Haus für Mozart am 5. Juni 2014
(rezensierte Aufführung am 07.06.2014)

 

 

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Aschenputtel und der Mann aus den Wolken

Von Thomas Molke / Fotos von Silvia Lelli

Wenn die künstlerische Leiterin Cecilia Bartoli die Salzburger Pfingstfestspiele Gioachino Rossini widmet und sie wie in den Vorjahren die weibliche Hauptrolle in der Opernproduktion übernimmt, kann die Wahl eigentlich nur auf La Cenerentola fallen, da die Partie der Angelina sicherlich einen bedeutenden Meilenstein in Bartolis internationaler Karriere markiert. Legendär ist nicht nur die DVD-Einspielung der  Houston Grand Opera von 1995 mit Bartoli in der Titelpartie. Ihr unermüdlicher Einsatz für dieses Werk hat auch dazu geführt, dass die Metropolitan Opera diese Oper erstmals auf den Spielplan setzte, wo sie sich mittlerweile einen Stammplatz im Repertoire erworben hat. Bei einer Orchesterprobe soll während des berühmten Schluss-Rondos "Non più mesta accanto al foco" Luciano Pavarotti aus dem Dunkel des Zuschauersaals der Bartoli auf Italienisch zugerufen haben: "Du bist wirklich die Beste!" Von der Gültigkeit dieser Aussage konnte man sich nun auch bei der Aufführung im Rahmen der Pfingstfestspiele überzeugen, da Bartoli mit diesem Rondo das Publikum so zum Toben brachte, dass das Orchester-Finale im allgemeinen Jubel regelrecht unterging.

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Liebe auf den ersten Blick: Angelina (Cecilia Bartoli) und Don Ramiro (Javier Camarena)

Anders als der Titel der Oper vermuten lässt, geht die Handlung eigentlich nicht auf die berühmte Vorlage aus der Märchensammlung von Charles Perrault zurück, sondern hält sich eher an die 1810 erschienene Opéra-féerie Cendrillon von Nicolas Isouard auf ein Libretto von Charles-Guillaume Étienne und verzichtet auf jegliche magischen Momente. Dass die böse Stiefmutter durch den Stiefvater Don Magnifico ersetzt wird, ist wohl hauptsächlich dem Bedürfnis nach einer großen Buffo-Bass-Partie geschuldet. Gleiches gilt für die Einführung des Dieners Dandini, der mit dem Prinzen zunächst die Rollen tauscht, damit dieser die potentiellen Ehekandidatinnen inkognito prüfen kann. Ferner verliert Angelina-Cenerentola auf dem Ball des Prinzen keinen Schuh, sondern überreicht dem Prinzen einen Armreif, der ihm als Erkennungsmerkmal dienen soll, was einerseits der Zensur der damaligen Zeit geschuldet sein dürfte, da die Entblößung eines Fußknöchels auf der Bühne unerwünscht war, andererseits ein Armband als "vergöttertes und teures Pfand", das Don Ramiro in den Händen hält und besingt ("Pegno adorato e caro"), sicherlich passender als ein Schuh ist. Statt einer guten Fee zieht der Philosoph Alidoro die Fäden, indem er als Erzieher des Prinzen dessen Weg zu Angelina-Cenerentola lenkt.

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"Un segreto d'importanza": Dandini (Nicola Alaimo, rechts) offenbart Don Magnifico (Enzo Capuano, links) seine wahre Identität.

Gerade diese Figur wird allerdings von dem Regieteam um Damiano Michieletto genutzt, um dem Stück die fehlenden übernatürlichen Momente zurückzugeben. Direkt zu Beginn der Ouvertüre sieht man in einer Videoprojektion auf einem weißen Vorhang (Videodesign: Rocafilm) einen Mann mit einem Koffer auf einer Wolke sitzen, der im weiteren Verlauf durch den Wolkenhimmel hinunter zur Erde schwebt, bis er schließlich auf dem Bühnenboden landet und in Gestalt Alidoros vor den Vorhang tritt. Michieletto nimmt den Namen des Philosophen, der im Deutschen ungefähr mit "Flügel aus Gold" übersetzt werden könnte, wohl wörtlich, indem er ihn wie einen Gott die Handlung aus der Distanz betrachten und in entscheidenden Momenten eingreifen lässt. Seine Auftritte werden immer durch einen surrealen gelben Lichtkegel angekündigt. Wenn Cenerentola auf dem Ball erscheint, spielt er den Liebesgott Amor, indem er alle anwesenden Männer mit einem leuchtenden Pfeil trifft. Selbst vor dem Dirigenten macht er dabei nicht halt, so dass Jean-Christophe Spinosi nach der Pause ebenfalls eine kleine schauspielerische Einlage gibt, indem er verliebt ins Publikum strahlt und erst in der Lage ist, sein Dirigat wieder aufzunehmen, nachdem ihn eine rigorose Musikerin von dem Pfeil befreit hat, den er zur Belustigung des Publikums im Anschluss dann noch als Taktstock benutzt.

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"Questo è un nodo avviluppato": Große Verwirrung beim Sextett. vordere Reihe von links: Don Ramiro (Javier Camarena), Angelina (Cecilia Bartoli), Clorinda (Lynette Tapia), zweite Reihe von links: Dandini (Nicola Alaimo), Tisbe (Hilary Summers), Don Magnifico (Enzo Capuano), hinten links: Alidoro (Ugo Guagliardo)

Auch den Bühnenumbau lenkt Alidoro mit magischer Hand. Paolo Fantin hat zwei Bühnenbilder entworfen, die sich in ihrer Grundstruktur ähneln. Während das heruntergekommene Schloss des Don Magnifico eine schäbige Kantine ist, in der der Lack bereits von den Wänden abblättert, verschwinden die Tische im Bühnenboden und werden durch mondäne Ledersofas ersetzt, während die Wand mit der Theke und der Treppe in den ersten Stock in den Schnürboden gezogen wird und der Blick auf einen Partysaal freigegeben wird, der anstelle der Theke eine moderne Bar auf der linken Seite zeigt und die Treppe in den ersten Stock in ein wesentlich vornehmeres Ambiente hinaufführt. Eine besondere Rolle spielt hierbei auch ein Aquarium, das bei der Verwirrung im Finale des ersten Aktes in einer weiteren Videoprojektion auf den weißen Vorhang projiziert wird und die einzelnen Protagonisten in Luftblasen isoliert durch das Wasser zwischen den Fischen schweben lässt, bis sie zur Einläutung der Pause platzen. Bei der Verwandlung des Bühnenbildes während Alidoros Arie "Là del ciel nell'arcano profondo", in der er Angelina verspricht, dass am Ende die Güte triumphieren werde, schläft Angelina an einem der Tische ein, während dieser im Bühnenboden versinkt. Wenn der Tisch dann bei der Rückverwandlung des Bühnenbildes wieder emporgefahren wird, sitzt sie immer noch in der gleichen Position am Tisch. Hat sie die ganzen Geschehnisse also nur geträumt? Hierfür sprechen vielleicht auch die zahlreichen Seifenblasen, die beim zweiten Finale die aus der Asche zur Prinzessin erhobene Angelina regelrecht einhüllen.

Ob Angelinas Rache an ihrem Stiefvater und den Stiefschwestern wirklich die Vergebung ist, wie sie es im Text besingt, ist in Michielettos Deutung sicherlich diskutabel. Die Geschenke, die Ramiro und Cenerentola anlässlich ihrer Hochzeit an die Gäste verteilen, enthalten nämlich alle gelbe Gummihandschuhe. Sobald die Gäste diese Handschuhe ausgepackt haben, werden Putzeimer aus dem Schnürboden herabgelassen, so dass nun Don Magnifico und die Schwestern die Arbeit erledigen müssen, zu der sie Cenerentola mit großer Strenge stets angetrieben haben. Dabei überwachen Dandini und der Prinz nicht gerade zimperlich, dass alle auch ordentlich den Fußboden schrubben, während Angelina in einem Meer von Seifenblasen ihr Schlussrondo anstimmt.

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Angelina (Cecilia Bartoli) beim Schlussrondo "Non più mesta accanto al foco"

Musikalisch beschert die vom Ensemble Matheus unter der Leitung von Jean-Christophe Spinosi der historischen Aufführungspraxis nachempfundene Aufführung ein Hörerlebnis erster Güte. Zu erwähnen sind hier in erster Linie die atemberaubenden Ensembles, in denen die Solisten gemeinsam mit dem Orchester ein Tempo anschlagen, das man in dieser Geschwindigkeit höchst selten erlebt. Ob es nun das Terzett von Clorinda, Tisbe und Angelina "Cenerentola vien qua" ist, in das der Chor und Alidoro in der hektischen Verwirrung mit einstimmen, weil alle absolut aufgeregt über die Einladung zum Ball des Prinzen sind und sich nun nicht schnell genug ausstaffieren können, oder das Finale des ersten Aktes, wenn mit dem Auftauchen der geheimnisvollen Schönen auf dem Ball das Chaos perfekt ist, weil Clorinda, Tisbe und Don Magnifico absolut verblüfft über die Ähnlichkeit zu Cenerentola und nicht nur der Prinz, sondern auch Dandini und der Herrenchor von der Unbekannten absolut angetan sind, rasen die Sänger mit einer Textverständlichkeit und Präzision durch die absolut hektische Musik, dass dem Publikum regelrecht der Atem stockt. Hinzu kommt eine großartige darstellerische Präsenz, die den Eindruck vermittelt, dass die Solisten regelrecht Spaß an dieser Inszenierung haben. Lynette Tapia und Hilary Summers begeistern als mannstolle Stiefschwestern Clorinda und Tisbe mit komödiantischem Spiel und schrecken auch nicht davor zurück, ihrem eigenen Vater das Geld aus der Kasse zu stehlen und den Verdacht auf Cenerentola zu lenken. Tapia gestaltet Clorinda mit soubrettenhaftem Sopran eher zickig, während Summers mit ihrem samtenen Alt auf Tolpatschigkeit setzt. Bei diesem großartigen Spiel wirkt Enzo Capuano in der eigentlichen Paraderolle als Don Magnifico beinahe schon blass.

Dass Cecilia Bartoli in der Titelpartie derzeit kaum zu übertreffen sein dürfte, bedarf eigentlich keiner Worte. Mit einer voluminösen Tiefe setzt sie ihre Auftrittskavatine "Una volta c'era un Re" an, in der sie den Ausgang der Geschichte eigentlich schon vorwegnimmt. Mit welcher Geschmeidigkeit sie die Koloraturen in flüssigem Parlando-Ton regelrecht perlen lässt und welche Textverständlichkeit und Präzision sie auch in den schnellen Tempi beibehält, macht ihren Ausnahmestatus als hervorragende Rossini-Interpretin mehr als deutlich. Wenn sie dann  das berühmte Schlussrondo mit atemberaubenden Variationen verziert, kann das Publikum den Orchesterschluss nicht mehr abwarten und bricht in frenetischen Jubel aus. Da kann einem das Orchester schon fast leid tun, weil das Ensemble Matheus mit seinem präzisen Spiel durchaus verdient hätte, dass auch ihren letzten Tönen mehr Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre. An ihrer Seite hat Bartoli mit Javier Camarena als Don Ramiro einen Tenor auf Augenhöhe, der sich in den Koloraturen ebenfalls absolut beweglich präsentiert und vor den extremen Höhen keinerlei Furcht zeigt. Ohne zu forcieren, glänzt er bei seiner Bravour-Arie "Si, ritrovarla io giuro", in der er schwört, dass er die schöne Unbekannte überall suchen wird, beim "stringeṛ" mit so sauber angesetztem Ton, dass er vor dem zweiten Teil innehalten muss, da das Publikum mit tosendem Applaus unterbricht. Nach seinem letzten Ton, den er mit strahlendem Glanz eine gefühlte Ewigkeit hält, ist das Publikum gar nicht mehr zu bremsen. Wahrscheinlich wollte es wie bei seiner Präsentation dieser Arie an der MET eine Reprise, aber das gibt es in Salzburg nicht.

Nicola Alaimo beweist in der Partie als Dandini sein komödiantisches Talent, wenn er bewusst den Rollentausch mit seinem eigentlichen Herrn ausnutzt. Mit markantem Bariton und beweglicher Stimme stattet er den Diener als Herren aus und stiehlt auch in dem Duett "Un segreto d'importanza" stimmlich und darstellerisch Enzo Capuano die Show. Ugo Guagliado wird der darstellerischen Aufwertung der Partie des Alidoro absolut gerecht und begeistert durch große Bühnenpräsenz und bewegendes Spiel. Auch stimmlich überzeugt er mit profundem Bass. So gibt es am Ende frenetischen Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Diese Inszenierung dürfte zu einem Höhepunkt der diesjährigen Festspielsaison avancieren. Wie gut, dass es die Möglichkeit gibt, diese Produktion auch im Rahmen der Festspiele im Sommer erneut zu erleben. (Termine: 23., und 31. August 2014 um 15.00 Uhr, 26. August 2014 um 19.30 Uhr und 29. August 2014 um 19.00 Uhr)

Zur Übersicht über die Salzburger Pfingstfestspielen 2014

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jean-Christophe Spinosi

Inszenierung
Damiano Michieletto

Bühnenbild
Paolo Fantin

Kostüme
Agostino Cavalca

Licht
Alessandro Carletti

Videodesign
Rocafilm

Choreinstudierung
Ernst Raffelsberger

Dramaturgie
Christian Arseni

 

Ensemble Matheus

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor

 

Solisten

Angelina (Cenerentola)
Cecilia Bartoli

Don Ramiro
Javier Camarena

Don Magnifico
Enzo Capuano

Dandini
Nicola Alaimo

Alidoro
Ugo Guagliardo

Clorinda
Lynette Tapia

Tisbe
Hilary Summers

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Salzburger Pfingstfestspiele
(Homepage)



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