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Bühne und Konzert Salzburg

Die Primadonna als patente Putzfrau

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Sind die Gummihandschuhe weg, wird in Aschenbrödels Billigbüffet Koloratur gejodelt: Javier Camarena (Don Ramiro) und Cecilia Bartoli (Angelina) in Salzburg Sind die Gummihandschuhe weg, wird in Aschenbrödels Billigbüffet Koloratur gejodelt: Javier Camarena (Don Ramiro) und Cecilia Bartoli (Angelina) in Salzburg
Sind die Gummihandschuhe weg, wird in Aschenbrödels Billigbüffet Koloratur gejodelt: Javier Camarena (Don Ramiro) und Cecilia Bartoli (Angelina) in Salzburg
Quelle: Salzburger Festspiele / Silvia Lelli
Nie war Aschenputtel glamouröser, sang ihr Prinz höher: Mezzostar Cecilia Bartoli lässt bei ihren dieses Jahr Rossini gewidmeten Salzburger Pfingstfestspielen nicht nur „La Cenerentola“ strahlen.

Das Sakrale und das Profane. In kaum einer Stadt sind diese Gegensätze, die doch so viel gemeinsam haben, ähnlich präsent wie in dem ehemals reichsunabhängigen Fürsterzbistum und der heutigen Festspielstadt Salzburg. Selten aber treffen sie so beglückend lebenswahr und tiefsinnig, so leichtsinnig wie gehaltvoll aufeinander wie dieses Pfingsten in der Salzach-Metropole: Dafür stehen vor allem zwei Namen: Gioachino Rossini und Cecilia Bartoli.

Im dritten Jahr leitet die Mezzo-Assoluta als Intendantin und ihr größter Star die Pfingstfestspiele. Nach einem Barockschwerpunkt zum Thema Cleopatra und einer musikalischen Einkreisung des Begriffs „Opfer“ mit ihrem grandiosen Norma-Debüt im Mittelpunkt wird sie 2015 erstmals in einer französischen Partie als Glucks taurische Iphigenie programmatisch „So ruf ich alle Götter“ verkünden. Aktuell widmete sie sich allerdings dem komponierenden Schwan von Pesaro.

Mit Rossini hatte die Bartoli noch nicht 20-jährig ihre ersten Erfolge gefeiert. Nach dem Bühnendebüt an der Komischen Oper Berlin (!) folgte die erste CD mit Rossini-Arien, die sie trotz eines geschmacklich verrutschten Covers als kindlicher Vamp mit Spitzenhandschuhen und frühreifem Schlafzimmerschmollmundblick sofort in die Klassikcharts katapultierte. Und jetzt kehrt sie als Reminiszenz (und womöglich nicht ausgesprochenen Abschied) noch einmal zurück in das Gioachino-Wunderland der filigranen Schmetterlings-Grupetti, der leuchtenden Fiorituren, glitzernden Klangkaskaden und immer blühenden Tongirlanden, wissend und wehmütig zugleich. Denn das hochbegabt naive Mädchen von damals ist sie längst nicht mehr: La Bartoli hat sich bei allem immer noch blitzenden Liebreiz auch zur knallharten Managerin und ellenbogenkräftigen Promoterin der ihr wichtigen Projekte entwickelt.

Pleiten, Pech und Absagepannen

So war sie jetzt in Salzburg, wo sie als Plakatleitfigur zwischen Seifenblasen an vielen Hauswänden klebte, noch einmal die zarte, am Ende triumphierende Angelina alias „La Cenerentola“. Sie wiederholte zudem ihre Zürcher Erfolgsproduktion als emanzipiert-kampfbereite Desdemona in Rossinis hier immer noch zu wenig bekannter Seria „Otello“. Sie, die auch noch am Festivalvorabend 48 geworden ist, war im Dirndl in fast allen übrigen Vorstellungen anwesend, führte eine aus Pleiten, Pech und Absagepannen eigendynamisch delirierende, so nur mit Rossini mögliche Ariengala mit anschließendem Starköchinnen-Charity-Dinner (von der Baskin Elena Arzak) bis nachts um zwei Uhr an – und war selbst virtuell als junge Plattenstimme noch im „Barbier von Sevilla“ des Salzburger Marionettentheaters dabei. Ende des Monats gibt es sogar noch einmal ein konzertantes Rossini-Rollendebüt als „Italienerin in Algier“ in Dortmund.

Niemals wohl, auch nicht in der Komponistenfestival-Hochburg Pesaro und im deutschen Ableger Bad Wildbad und nicht in den Inkubationsorten der diversen Rossinimanien des 19. Jahrhunderts (die vor Ort eine witzige Ausstellung über einem Rosenteppich von Robert Wilson auffächert) werden auf diesem Planeten in Kürze so viele Rossini-Noten erklungen sein, wie an diesen fünf Salzburger „Rossinissimo!“-Tagen. Alle waren besoffen davon, konnten nicht genug kriegen, schrien in den Beifallswogen nach „Bis!“ und mehr.

Das Sakrale und das Profane waren hier nie wirklich getrennt: Während in dem den Heiligen Rupert und Virgil geweihten Dom der Pfingstgottesdienst eines katholischen Jugendtreffens gefeiert wurde, vor dem Portal, auf Hackbrett und Akkordeon intoniert, freilich schon wieder die Crescendo-Bögen der „Barbiere“-Ouvertüre vorbeiwehten, zelebrierten ein paar Hundert Meter weiter im Großen Festspielhaus, unter Antonio Pappano und mit einem erlesenen Solistenquartett, die römischen Chor- wie Orchesterkräfte der Accademia nazionale di Santa Cecilia Rossinis „Stabat Mater“: hinreißend luxuriös, federnd zart und belcanto-seelig, aber auch kontemplativ schwerwiegend. Im Dom wurde die von lila und blauen Lichtgarben unterfütterte Predigt des Erzbischofs Franz Lackner auf diversen Flatscreens ganz nah an die Gläubigen hininszeniert. Im Konzertsaal aber veredelte man die angeblich scheinheilige Kirchenkomposition des großen Unterhalters, dem – von eher depressiver Natur – selbst freilich zeitlebens meist gar nicht buffa-lustig zumute war, zum immer noch melodiensatten Hochamt.

Generöser Satzbauer, galanter Gestalter

Was sich nachmittags im aufgeheizten Mozarteum-Saal noch einmal durch Verknappung und Konzentration steigerte. Nur noch 23 Choristen, dazu das Ehepaar Pamela Bullock und Antonio Pappano an zwei Klavieren, Chorleiter Ciro Visco am Harmonium und wiederum vier ausgewogene Solisten bewiesen in der späten, kargen „Petite Messe Solennelle“, was für ein akribischer Kontrapunktiker, sorgfältiger Harmonienfinder, generöser Satzbauer und galanter Gestalter, immer schön ausbalanciert zwischen Tradition und Innovation, Rossini doch ist. Was eben weit über den Satiriker und Arien-Plapperer hinausgeht. Und wann war das schon mal an einem Tag am Beispiel seiner beiden noblen Kirchengroßwerke zu erleben?

Natürlich hätte man noch eine der wunderlichen Huldigungskantaten für die spanischen Bourbonen in Neapel programmieren können, dazu eine Auswahl der salonmusikalischen „Alterssünden“, doch auch so war das Rossini-Reich schon reichhaltig und bunt. Pianist David Frey spielte Liszt-Paraphrasen, die großmächtige Mezzofee Joyce DiDonato erwies am „Otello“-Aufführungsmorgen der Lagunenstadt eine feinsinnige Liedmatinee-Reverenz.

Eine leichte Enttäuschung hingegen war das Herzstück dieser höchst kultivierten Rossini-Raserei, die auch später bei den Sommerfestspielen gegebene „Cenerentola“-Premiere. Cecilia Bartoli wusste sich stets durch ihre strategische Zusammenarbeit mit Alte-Musik-Ensembles hervorzutun, die sie von ihren Vivaldi- und Händel-Programmen längst bis auf Gluck, Bellini und eben Rossini ausgedehnt hat. Doch der sonst so vorzügliche Jean-Christophe Spinosi mit seiner Matheus-Truppe lieferte diesmal im zu tiefen Graben des Haus für Mozart instrumental nur Graumäusiges, Bröseliges. Dem Abend fehlte das Leuchten, das Brio, die Glanzlichter, für die auf der Bühne in Damiano Michielettos planer, bisweilen platter, allzu eifrig dem Publikumsaffen Zucker gebender Inszenierung nur die Bartoli und ihr wonneproppig-höhensatter Prinz Javier Camarena garantierten. Der Sängerrest war nur Mittelmaß. Die Bartoli gurgelt, knurrt und faucht inzwischen in durchaus angreifbarer Technik. Aber im generös abschnurrenden Schlussrondo, wenn die patente Putzfrauen-Primadonna aus dem Billigbüffet als Prinzessin in der herrschaftlichen Edellounge endgültig die gelben Gummihandschuhe an ihre gehässige, nunmehr schrubben und feudeln müssende Familie abgegeben hat, dann verfängt doch wieder ihr nach wie vor einzigartiger Belcanto-Zauber.

Rossini-Ritter vom hohen C

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Die besten Sänger, feinsten Stilisten und Rossini-Ritter vom hohen B, C und Des waren in Salzburg allerdings vier Männer: Neben Javier Camarena mit seiner Spitzentöne wie Leuchtpfeile abschießenden Bubenchuzpe, Juan Diego Flórez, der erstmals öffentlich mit der Bartoli auftrat, als makellosem Perlmutt-Schimmerer und der sakralen Tenorpraline Lawrence Brownlee, räumte der Argentinier Franco Fagioli ab. In einem denkwürdigen Arienabend zollte der gegenwärtig virtuoseste Countertenor mit allen ihm zur Verfügung stehenden technischen und vokalverführerischen Möglichkeiten dem letzten bedeutenden Kastraten Giovanni Battista Velluti (1781–1861) Tribut, für den Rossini 1813 die Seria „Aureliano in Palmira“ geschrieben hatte.

Gegen die Seriosität, aber auch die stimmliche Pyrotechnik, die schrankenlose Brillanz und die freudvolle Entdeckungslust dieses Konzerts kam auch die als eigentlicher Höhepunkt gedachte Ariengala der Stars und Sternchen als unterhaltsam tönender Programmchaoshaufen nicht an. Die urzeitlichen Rossini-Heroinnen Montserrat Caballé, Teresa Berganza und Agnes Baltsa waren gar nicht erst erschienen, Erwin Schrott fühlte sich unpässlich. Adam Fischer und das Mozarteumorchester spielten sich unerschrocken durch eine bis zur letzten Minute improvisierte Reihenfolge. Alexander Pereira ergriff Gelegenheit und Mikrofon, um in seinem ureigenem Element als mitsingender Conférencier die Bühne nicht zu verlassen.

Die wurde am nachhaltigsten gefüllt von kregelen Senioren wie Ruggero Raimondi, Carlos Chausson und Alessandro Corbelli, die mit zwei Stühlen, einem Schal, viel heißer Luft und noch mehr Charakterisierungskunst große alte Buffo-Schule vorführten. Anrührend wurde es, als José Carreras eine vor 42 Jahren letztmals gesungene Rossini-Nummern schlicht und konzentriert leise zum Besten gab. Und auch Cecilia Bartoli ließ nichts aus, hinkte, schlug das Tamburin, schnalzte mit dem Fächer und addierte als Rollendebüt im „Barbiere“-Finale eine weitere Magd, die Berta, hinzu. Trotzdem wird sie damit sicherlich noch nicht ihre Alterskarriere eingeleitet haben.

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