Styriarte: Auf dem Holzweg zu Henry Purcell

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"The Fairy Queen" unter Nikolaus Harnoncourt bewegt und bezaubert vor allem musikalisch. Philipp Harnoncourts Inszenierung verliert sich allerdings in Details und Pointen.

Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hätte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte“: Henry David Thoreau verbrachte ab 1845 über zwei Jahre in einer Blockhütte im Wald von Neuengland und verarbeitete die gewonnenen Erfahrungen in dem berühmt gewordenen Buch „Walden“ aus der Sicht des Transzendentalismus. „Im Zauber der Natur“ prangt als Motto über der heurigen Styriarte, in deren Zentrum Henry Purcells „Fairy Queen“ steht. Dafür ließen sich Vater und Sohn Harnoncourt offenbar vom Klassiker „Walden“, aber auch von Aussteigertendenzen der vergangenen Jahrzehnte inspirieren – wobei vor allem die musikalische Seite des Abends großen Jubel in der Grazer Helmut-List-Halle hervorrief.

Vom Verhältnis zur Natur erzählt schon das Bühnenbild: Den Hintergrund bildet eine große Holzwand, die aus Türen und Brettern gezimmert ist, deren Konturen einen liegenden Baum vom Stamm bis zur Krone nachzeichnen – ein künstlicher Wohnraum also, der aber immerhin noch an seine biologische Herkunft erinnert. Aus diesem fliehen am Beginn jene zwei jungen Leute, deren Entwicklung den losen roten Faden dieser Deutung darstellt: das hübsche Tänzerpaar Rita Sereinig und Max Niemeyer. Denn Purcells musikalisch großartige „Semi-opera“ des Jahres 1692, die aus beziehungsvollen, aber inhaltlich selbstständigen musikalischen Einlagen („Masques“) für Shakespeares „Midsummer Night's Dream“ besteht, wird hier leicht gekürzt, vor allem aber ganz losgelöst vom Drama präsentiert.

Überraschungen im Wald

Das Motiv des Baumes setzt sich auf der eigentlichen Bühne fort, einer Schräge, die den Orchesterraum auf drei Seiten umgibt – doch auch hier ist die Natur längst nicht mehr unberührt. Ein echter Baum, in etliche Teile zersägt, fungiert als Symbol für jenen Wald, in dem sich die beiden Städter zurechtfinden wollen und in dem sie mit allerlei Überraschungen konfrontiert werden, von denen noch die geringste ist, dass High Heels hier kein geeignetes Schuhwerk darstellen.

Nikolaus Harnoncourt schätzt „Walden“ vermutlich hoch, und seine Liebe zu Holz und Schnitzwerk ist bekannt. Vor allem aber ist er wie kaum ein anderer Interpret unserer Zeit in den musikhistorischen Wald gezogen: So nahe wie möglich an den Ursprung zu gelangen, über Theorie und Praxis alter Zeiten alles Nötige zu lernen, um deren Musik heute verstehen und neu darstellen zu können – das hat ihn zeitlebens angetrieben. Dazu musste er aus dem einstigen Gleichschritt ausscheren und zum Schlag eines anderen, fernen Trommlers marschieren, wie es bei Thoreau so poetisch heißt. Mittlerweile hat Harnoncourt selbst längst eine treue Gefolgschaft um sich gesammelt – und so geistsprühend frisch wie er am Pult wirkt, wird er ihr noch lange den Weg weisen. Mit dem Concentus Musicus, dem Arnold-Schoenberg-Chor und expressiven Solisten legte er jedenfalls die heitere Farbenpracht und die Ausdrucksstärke der Partitur, deren Vielschichtigkeit jener von Shakespeares Lustspiel ebenbürtig ist, auf immer wieder bewegende Weise dar. Wunderbar frei konzertierten die Vogelstimmen, wurden die Echolaute zwischen Trompete auf der Bühne, Oboe im Orchester und einer entfernten Blockflöte subtil weitergereicht. In den vielen episodischen Rollen ragten neben der vokal liebreizenden Martina Janková Florian Boesch und Dorothea Röschmann hervor: Er als deftiger Drunken Poet, liebestoller Coridon und, trotz anfänglicher rhythmischer Unstimmigkeit, als personifizierter Winter, der sich alsbald in die Sonne in Gestalt von, nun ja, Elvis Presley im weißen Glitzeroutfit verwandelte – und sie zumal mit dem erschütternden Lamento der letzten Masque, in der die schmerzlichen Klagelaute ihrer reifen, vollen Sopranstimme zu Herzen gingen.

Philipp Harnoncourt versucht, mit Überlegung zu inszenieren. Ob er dabei im Sinne Thoreaus „dem eigentlichen, wirklichen Leben“ näherkommt, muss jedoch bezweifelt werden. Vielmehr hatte es den Anschein, er würde sowohl mit seiner Zivilisationskritik als auch mit der teilweisen Ironisierung der Aussteigerromantik in Ansätzen stecken bleiben und sich in zu vielen Details verlieren, die keine klare gemeinsame Linie ergeben wollten: Da war vor lauter Bäumen oft kein Wald mehr zu sehen. Die noch dazu choreografisch recht unbeholfen umgesetzte Idee, den Chor als halb verwilderte Gesellschaft irgendwo zwischen Hippies und dem „Planeten der Affen“ zu deuten (Kostüme: Elisabeth Ahsef), erwies sich als besonderer Hemmschuh. Und das Menschenpaar auf der Suche nach seinem Glück (wobei zwischendurch schon mal er gemütlich liest, während sie die Wäsche macht) geriet zu oft aus dem Blickfeld, kehrte aber immerhin zuletzt turtelnd der ganzen Menagerie den Rücken: eine kluge Wahl.

„The Fairy Queen“: 23., 25., 27., 28.6. in der Grazer Helmut-List-Halle; auf Ö1: 12.7., 19.30 Uhr. www.styriarte.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2014)

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