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Bühne und Konzert Mozarts „Entführung“

Wenn einem Tenor die Töne entgleisen

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Clown, Moderator, Cartoonist, Regisseur, Romanautor – und Tenor: Rolando Villazón singt in Baden-Baden den Belmonte. Naja, bis es beinahe nicht mehr geht Clown, Moderator, Cartoonist, Regisseur, Romanautor – und Tenor: Rolando Villazón singt in Baden-Baden den Belmonte. Naja, bis es beinahe nicht mehr geht
Clown, Moderator, Cartoonist, Regisseur, Romanautor – und Tenor: Rolando Villazón singt in Baden-Baden den Belmonte. Naja, bis es beinahe nicht mehr geht
Quelle: (c) Gabo / Deutsche Grammaphon
Trotz Starbesetzung war Mozarts „Entführung aus dem Serail“ in Baden-Baden mit Rolando Villazón unter dem Dirigat von Yannick Nézet-Séguin keine runde Sache. Immerhin zwei Sängerinnen überzeugten.

In der Plattenbranche (soweit noch vorhanden) wurde und wird gern getrickselt. „Live“-Aufnahmen sind in der Regel aus mehreren Aufführungen oder Proben zusammenmontiert. Und zu großer, nachschöpferisch kreativer Form laufen die Tonmeister erst unter Studiobedingungen auf.

Da wird Volumen vergrößert, Stimmen werden vor das Orchester gezogen, aufgehellt, brillanter gemacht, falsche Töne werden durch richtige ersetzt, ganze Arien mixt man clever (ein kluger Geist hat einmal bis zu 100 Schnitte in Jessye Normans „Fidelio“-Leonoren-Arie unter Haitink herausgehört), und Sänger, die sich nie gesehen haben, sind plötzlich in schönster Duett-Zweisamkeit vereint; bisweilen – aber wirklich nur ganz selten – vokalisieren auch andere als verkaufsfördernde Stars die besonders heiklen Stellen.

Bei ihrem dritten Teil eines mindestens sechs Folgen umfassenden Mozartopern-Zyklus wird nun auch die Deutsche Grammophon noch viel Mühe in die Nachbearbeitung investieren müssen. Denn was jetzt wieder live als „Entführung aus dem Serail“ in Baden-Baden zu sehr stolzen Preisen als konzertante „Gala“ zu hören war, um anschließend als CD veröffentlicht zu werden – wie schon vor drei Jahren ein hervorragender „Don Giovanni“ und vor zwei eine höchstens durchschnittliche „Così fan tutte“ –, das überzeugte höchstens als halbe Mozartopernkugel.

Das Chamber Orchestra of Europe ist brillant

In Anlehnung an den siebenteiligen Zyklus mit dessen Meisteropern, den die Firma in den Sechziger- und Siebzigerjahren mit dem damaligen Amadeus-Papst Karl Böhm produzierte, gefolgt von der gleichen Werkauswahl in den Neunzigern unter John Eliot Gardiner auf historischen Instrumenten, sollen in dem aktuell mit dem Festspielhaus gemeinsam getragenen Unternehmen der Tenor Rolando Villazón sowie der junge, willige Dirigent Yannick Nézet-Séguin die künstlerischen Konstanten bilden.

Und am Pult überzeugen die bisher herausgebrachten drei Teile voll und ganz. Das fein assistierende Vocalensemble Rastatt und das brillant, ausgeglichen und trennscharf spielende Chamber Orchestra of Europe folgen willig dem wie ein Meister im Fliegengewicht tänzelnden Frankokanadier.

Der dirigiert diese heute so problematische, weil zwischen unaufgeklärtem Rassismus, Komödien-Versatzstücken und tiefer, immer noch anrührender Empfindsamkeit pendelnde Orient-Singspiel-Fantasie von 1781 mit Witz, Brillanz und mutwillig schepperndem Janitscharenmusik-Temperament. Was inhaltlich heute nicht mehr zusammengehen mag, das hält Nézet-Séguin musikalisch zusammen, schön die Balance findend zwischen Historisch-informiert-Sein und kalorienreicherer Klanglichkeit.

Damrau und Prohaska sind oberste Güteklasse

Doch was nützt es, wenn dem nur eine semigute Vokalbesetzung gegenübersteht? Immerhin, Thomas Quasthoff, der sich aus dem Gesangsleben zurückgezogen hat, spricht den Bassa Selim mit salbungsvoll, sanfter Stimme. Auch Franz-Josef Selig ist ein etwas pedantisch genauer, aber profunder, politisch korrekt nicht zu bösartig wütender Muselmann Osmin. Und bei dem flachen, einfarbigen Buffotenor Paul Schweinester als Pedrillo werden sich sicher noch ein paar Nuancen nachkolorieren lassen.

Die beiden Damen aber tragen den Mozart-Abend, obwohl auch sie bereits vokal ein wenig über ihre Rollen hinausgewachsen sind. Anna Prohaska, mit abgedunkelt-autoritärer Sprechstimme, gibt der Blonden Wucht und Höhenaplomb. Sie ist keine Soubrette von gestern, sondern ein emanzipiert schnippisches Girlie von heute. Und das dramatisch unterfütterte Koloraturwunder Diana Damrau gestaltet die nicht enden wollende Verzierungsflut der Konstanze als Schmerzensparcours einer von Liebe und Anstand zerrissenen schönen Seele. Das ist allerfeinster Mozart-Gesang oberster Güteklasse.

Was man von Rolando Villazóns Belmonte, sicher die heikelste Tenorpartie im gesamtem Mozart-Opernkosmos, leider nicht behaupten kann. Der firmiert inzwischen als Clown, Moderator, Cartoonist, Regisseur (nächste Saison gleich drei Produktionen), Romanautor (sein erstes Buch erscheint im August auf Deutsch) – und Tenor. Doch durch die Entführung mogelt er sich mehr schlecht als recht durch.

Dann brechen Villazón die Noten weg

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Die erste Arie gerät mit schönen Schwelltönen und einigermaßen gebundenen Linien noch leidlich, doch dann brechen ihm die Noten weg, die Intonation sackt ab, sein Singen rutscht aus der Maske. Zudem wird das Dialogdeutsch („Ängslsäle“ statt „Engelsseele“) immer schlechter. Und je mehr das beklatscht wird, umso trauriger stimmt es.

Allein die Deutsche Grammophon hat in ihren Archiven „Entführung“-Komplettaufnahmen mit Ernst Haefliger, dem besonders in dieser Rolle unübertroffenen Fritz Wunderlich, Peter Schreier, Stanford Olsen und auf DVD Francisco Araiza zu bieten. Gegen die kommt Villazón einfach nicht an.

Immerhin, für die Fortsetzung des Baden-Badener Mozart-Zyklus’ kann vorläufig Entwarnung gegeben werden. Für die mit der Damrau, Christiane Karg, Bryn Terfel, Luca Pisaroni luxuriös besetzte „Hochzeit des Figaro“ im nächsten Juli ist Rolando Villázon mangels Rollenmasse neben Anne Sofie von Otters Marcellina nur als intriganter Basilio vorgesehen – den singen normalerweise in die Jahre gekommene Charaktertenöre.

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