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Bühne und Konzert Salzburg

Viel Madonnenbusen im Verdi-Museum

Jede Menge Dekolleté im Filetstück des Festivalsommers: Anna Netrebko und Placido Domingo in Verdis Blut-und-Schauer-Drama „Il trovatore“, inszeniert von Alvis Hermanis Jede Menge Dekolleté im Filetstück des Festivalsommers: Anna Netrebko und Placido Domingo in Verdis Blut-und-Schauer-Drama „Il trovatore“, inszeniert von Alvis Hermanis
Jede Menge Dekolleté im Filetstück des Festivalsommers: Anna Netrebko und Placido Domingo in Verdis Blut-und-Schauer-Drama „Il trovatore“, inszeniert von Alvis Hermanis
Quelle: © Salzburger Festspiele / Forster
Anna Netrebko ist als Leonora herausragende Lichtgestalt im neuen Salzburger „Trovatore“. Regisseur Alvis Hermanis mogelt dafür fantasielose Opernkonvention in eine Alte-Meister-Museums-Verpackung.

Strahlend alabasterfarben, perfekt gerundet und drall, wie der allerschönste Schönheitschirurgentraum, blitzt die linke Brust der Muttergottes aus ihrem Kleid in Jean Fouquets berühmter Tafel für das „Diptychon von Melun“. Das Gemälde ist heute in Antwerpen zu bestaunen. Aber es saust auch als monströse Reproduktion gerade über die Bühne des Großen Festspielhauses in Salzburg. Es wird beileibe nicht die einzige säugende Maria an diesem Abend bleiben, die vor den Zuschaueraugen vorüberzieht. Die laktierenden Madonnen treffen dann auf viele andere Meisterwerke aus später Gotik, Renaissance und Barock.

So pinkelt Lorenzo Lottos Amor – natürlich ebenfalls als Fake – durch den Lorbeerkranz der liegenden Venus in den Schoß. Auch Jan van Eycks berühmter Turban-Mann schaut mit seinem ernsten, strengen Blick aus Londons National Gallery von der Festspielbühne. Man spielt dazu Verdis Blut-und-Schauer-Drama „Il trovatore“. Tatsächlich. Wer es auf den ersten Blick nicht glauben will, kann sich dann auch am Ende nicht ganz sicher sein, ob er in diesem hypertrophen Kunstgeschichte-Kolloquium, das sich Alvis Hermanis ausgedacht hat, tatsächlich Verdis Oper zu sehen bekommen hat.

Dabei gilt diese Neuinszenierung als das große Filetstück des diesjährigen Festspielsommers an der Salzach. Als einzige Produktion im bunten Festspielbauchladen, der sich im letzten Jahr von Intendant Alexander Pereira noch einmal gewaltig aufgeblasen hat, ist dieser „Trovatore“ schon seit Langem restlos ausverkauft. Kein Wunder, steht doch als Leonora mit Anna Netrebko wieder einmal Salzburgs liebster Trumpf auf der Bühne.

Die Netrebko ist tatsächlich jeden Cent wert

Schließlich hat man ihr auch noch einen anderen Big Name zur Seite gestellt. Doppelt geht eben besser, womit auch Plácido Domingo als Conte di Luna ins Spiel genommen wurde. Die Konstellation kennt man bereits aus der Berliner Staatsoper, wo die beiden im Dezember letzten Jahres ihre Rollendebüts gegeben haben. Damals in Philipp Stölzls „Alice in Wonderland“-Szenerie.

Als sommerlicher Aufguss in neuer Verpackung jetzt also Salzburg – wo dann naturgemäß der Publikumsbahnhof weit größer ist: Riesiges Haus, höhere Kartenpreise, teurere Roben, wertvollerer Schmuck, mehr Hype, das bedeutet dann wohl auch mehr Spannung. So lautet die Festspielgleichung. Erfreulich dabei: Die Netrebko ist tatsächlich jeden Cent wert. Grandios hat sie sich inzwischen die Leonora einverleibt.

Diesmal gelingt ihr in dieser so anspruchsvollen Partie alles. Und alles beeindruckend, ergreifend, staunenswert. Raumfüllend, selbst auf der Salzburger Panoramabühne, strömen die Töne, subtil gelingen die zarten Momente, überwältigt der Aplomb in der Dramatik, es leuchten die Höhen, die sie schon einmal aus dem Forte berückend ins Piano zurücknehmen kann, und es passen die Tiefen, dazu strömt mollig edelherb die Mittellage. Die Triller klingeln, und die Läufe sitzen. Das alles mit einer unangestrengten Selbstverständlichkeit.

Koketterie aus Verzweiflung?

Neben dieser stimmlichen Beglückung gelingt der Netrebko auch die Erfüllung ihrer Gesangspartie mit Leben. Das ist an diesem Abend ebenfalls ein Kunststück. Denn Alvis Hermanis, der lettische Theatermacher, der vor zwei Jahren in Salzburg mit Zimmermanns „Soldaten“ erstmals als Opernregisseur aktiv wurde, muss sich mit Verdi diesmal weit unter Wert geschlagen geben. Er versucht offenbar mit seiner Museumsverpackung zu retten, was nicht zu retten ist. So wurde er bereits im Vorfeld der Premiere nicht müde zu verkünden, er würde gerne der altmodischste Opernregisseur des 21. Jahrhunderts werden. Koketterie aus Verzweiflung?

Immerhin reiht er sich damit unauffällig in die Riege der in diesem Sommer in Salzburg aktiven Kollegen (Bechtolf, Bondy, Stein, Kupfer). Also ab ins Salzburger Opernmuseum! Rotes Tuch an den Wänden, Parkett auf dem Boden, leicht angestaubte Oberlichte und ein paar Hocker für die Galeriebesucher. So kennt man es aus etlichen Museen dieser Welt. Im Eck sitzt stumm schon Leonora alias Anna Netrebko. Noch steckt sie im blauen Kostümchen der Museumswärterin. Mit einem Teleskopstab, an dessen Ende eine italienische Flagge steckt, stürmt Ferrando (bassbrav: Riccardo Zanellato) herein und erzählt, auf diverse Porträts deutend, den Besuchern die Vorgeschichte zur Schauerromanze.

Ein in lieblichem Sfumato schimmernder Lautenspieler an der Wand hat es Leonora angetan. Ein gemalter Troubadour, vor dem sie sich nach und nach ins weinrote Samtkostüm träumt und damit hinüber in die „Trovatore“-Welt. Dieser Troubadour, Leonoras große Liebe, schneit dann als einziger Museumsfremder wie eine Traumfigur auf die Szene. Francesco Meli gibt ihm mit seinem hellen, nicht allzu farbenreichen, aber sehr kultiviert geführten Tenor fein differenziertes, wenn auch nicht übermäßig stimmgewaltiges Format. Conte Luna, mit dem sich Domingo in allen Lagen arg plagen muss, streift ebenfalls in Aufseherkluft mit der Taschenlampe durchs die Hallen, wie einst Ben Stiller im Hollywood-Blockbuster „Night at the Museum“. Dann steckt auch er im roten Samtkostüm.

Leonora stirbt, ach, brav ihren Operntod

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Der als Guide hereinstöckelnden Azucena, die sich Marie Nicole-Lemieux neben feinen Phrasen mitunter zurechtforcieren muss und darstellerisch zwischen Hysterie und Parodie anlegt, ergeht es nicht besser: Als sie vor einem Bild in Ohnmacht fällt, wird auch sie kurzerhand ins historische Kostüm gepackt. So schleicht sich in die Museumslandschaft nach und nach ein in allen möglichen Rottönen gekleidetes Opernpersonal (Kostüme: Eva Dessecker) von vorgestern. Dazwischen werden die Stellwände mit immer mehr Bildern immer wieder umgestellt, formen neue Räume, flitzen im Bühnenhintergrund vorüber.

Die Bühnenarbeiter, von denen der eine oder andere und sein in Jeans gepackter Hintern schon einmal zwischen den beweglichen Stellwänden hervorlugt, haben alle Hände voll zu tun. Die Sänger dagegen nicht. Bei Hermanis dürfen sie in hohler Opernkonvention meist an der Rampe stehen, er lässt sie nach Belieben ihre Arme weiten, ihre Hände ringen und falten.

Am Ende, in der Kerkerszene, sind die Bilder abgeräumt, und eine geschlossene Stellwändefront drängt die Sänger ein letztes Mal an die Rampe. Leonora stirbt, ach, brav ihren Operntod, Manrico wird die Kehle durchgeschnitten, Azucena sinkt zu Boden, inmitten einer Menge bereits gefallener Zigeuner, die allesamt in Rot, wie ein Altkleiderberg, drapiert sind. Conte Luna jammert und schluchzt sein Leid laut zu den letzten Akkorden. Hermanis’ Museumsidee bleibt somit nicht mehr als eine Mogelpackung für eine ernüchternde Kapitulation vor Stück und Opernkonvention.

Letzterer versucht Daniele Gatti am Pult der mit reichlich geschmeidigem Schönklang folgenden Wiener Philharmoniker zu entgehen. Das ergibt viel federnde Leichtigkeit, liebevoll herausgearbeitete Details, manch erstaunlich rasante, wie einige ungewöhnlich breite Tempi. Das kostet aber auch vieles an Brio und Spannung. In diesem Punkt fügt sich das Dirigat dem Abend ein, der dann doch noch zu dem wurde, was erhofft worden war: die große Anna-Netrebko-Show. Die jedoch ist ganz unschuldig daran. Können begeistert eben.

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