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Bühne und Konzert Opernausgrabung

Schlacht gewonnen, Ritter immer noch tot

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Statischer Schubert-Dreier im Mittelalterkostüm: Fierrabras (Michael Schade), Eginhard (Benjamin Bernheim) und Emma (Julia Kleiter) bei den Salzburger Festspielen Statischer Schubert-Dreier im Mittelalterkostüm: Fierrabras (Michael Schade), Eginhard (Benjamin Bernheim) und Emma (Julia Kleiter) bei den Salzburger Festspielen
Statischer Schubert-Dreier im Mittelalterkostüm: Fierrabras (Michael Schade), Eginhard (Benjamin Bernheim) und Emma (Julia Kleiter) bei den Salzburger Festspielen
Quelle: Monika Rittershaus/ Salzburger Festspiele
Dafür sind Festspiele da: Regisseur Peter Stein und Dirigent Ingo Metzmacher bringen in Salzburg Schuberts musikalisch feinen „Fierrabras“ als Rittermärchen aus fernen Theaterzeiten auf die Bühne.

„Grauenvoll“, sagt kurz und bündig der für kurze und bündige Kommentare berühmte Regisseur. Der Dirigent ist da schon verständnisvoller: „Die Opern dieses Komponisten einfach nur als missraten abtun, damit macht man es sich zu leicht. Vor allem, wenn man berücksichtigt, wie viel von seiner kurzen Lebenszeit er auf die diversen, immer gescheiterten Musiktheaterversuche verwendet hat.“

Beide sind sie im Recht. Deshalb haben sich jetzt Peter Stein und Ingo Metzmacher bei den Salzburger Festspielen aufgemacht, im Haus für Mozart wieder einmal Franz Schuberts „Fierrabras“ für die Bühne zu retten. Wobei eigentlich jede Aufführung dieser 1823 komponierten, freilich nie vom Urheber gehörten „heroisch-romantischen Oper“ um zwei Liebespaare, fränkische Ritter und maurische Soldaten im mittelalterlichen Südfrankreich und Spanien zu Zeiten Karls des Großen eine Rettung ist. Die unweigerlich fehlschlägt.

Das war bei der endlichen Uraufführung 1897 in Karlsruhe genauso wie etwa 1982 in Augsburg, 1994 in Wuppertal, 2002 in Frankfurt und Zürich – und selbst bei der berühmtesten Produktion, 1988 von Claudio Abbado und Ruth Berghaus bei den Wiener Festwochen. Womit man die ebenfalls kurze und bündige Aufführungsgeschichte des Stückes, das außerdem opulente, große, reife Stimmen braucht, schon referiert hätte.

Hölzerne Floskeln, dramaturgisches Ungeschick

Man bewundert jedes Mal die schönen Melodien, insbesondere die rhythmisch fein gegliederten Chöre und ausufernden Ensembleszenen. Und man verdammt gleichzeitig die hölzernen Floskeln und das dramaturgische Ungeschick, mit dem der freigeistige Schubert-Freund Joseph Kupelwieser ein, nun ja, „grauenvolles“ Libretto zusammengezimmert hat.

Hier sind alles Pappkameraden, die sich dämliche Sachen sagen und zum Teil erst zur Hälfte im Stück auftauchen oder für ganze Akte verschwinden. So wie zum Beispiel die ziemlich passive, beinahe nebensächliche, auch musikalisch stiefmütterlich behandelte Hauptfigur des Maurenfürstensohnes Fierrabras. Der agiert gegenüber seinem christlichen Rittergegner Roland so edelmütig und aufopferungsvoll, dass er in seiner Farblosigkeit kaum noch wahrgenommen wird. Dabei muss er mit heldentenoralem Fundament ziemlich bewegliche Linien singen – was Michael Schade sehr differenziert und finessenreich gelingt.

Ritter Roland hat es da leichter. Der darf zu fairen Kämpfen und Besonnenheit mahnen, die Mannen aus mancher kniffligen Situation führen, auch wenn sie letztendlich ziemlich lange im Burgturm der Ungläubigen schmachten müssen. Und am Ende bekommt der kultiviert singende Markus Werba in seinem weißen Wams auch noch die holdselige, zum Christentum konvertierte Fierrabras-Schwester Florinda. Die wird von Dorothea Röschmann als schwarz verschleierte Haremsfrau mit durchdringenden Spitzentönen und unerwartet grandiosem Rachefuror belcantofauchend auf die Szene gewuchtet.

Artige Burgfräuleins im Vormärz

Auch das andere, etwas langweiligere, weil lyrisch-brave Paar gefällt: umgeben von stetig triolenjuckelnden Gefährtinnen, die sticken, spinnen, Kränze schmücken oder was artige Burgfräuleins auf einer Opernbühne des Vormärz sonst noch so tun, ist Julia Kleiter mit glockig-inniger Höhe eine patent schmachtende Emma. Ihr Kavalier heißt Eginhard, und Benjamin Bernheim stattet ihn mit fast nur gelungen geläufigen Noten aus. Der darf Romanzen zur Laute anstimmen und züchtige Duelle trällern. Mit dem Kämpfen hat er es nicht so.

Außerdem gibt es noch den famosen Georg Zeppenfeld, der mit dem Kaiser Karl seiner Galerie nobel basssalbungsvoller Potentaten ein weiteres Prachtexemplar hinzufügt, sowie einige episodische Rollen, die in Salzburg alle festspielwürdig besetzt sind. Genauso, wie die viel beschäftigte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor mit hörbarem Engagement und nötiger Akkuratesse bei der ehrenwerten Schubert-Sache ist. Vom anfänglichen Tremolo-Crescendo, den ersten klanglich apart gespaltenen Hörnermischungen, durchhörbar abgegrenzten Instrumentalgruppierungen und einem rhythmisch punktierten Fluss an wird im Orchestergraben schnell deutlich: Die Wiener Philharmoniker lassen sich ebenfalls vorbehaltlos auf diese immerhin fast dreistündige Partitur ein.

Die kann einerseits eine gewisse liedertafelnde Monotonie nicht vermeiden, entzückt andererseits in ihren zart abgemischten Duetten, Trios, Quartetten, Sextetten, Rundgesängen und Märschen; besonders auch den immer wieder anders verwendeten Melodramen als gesprochene Texte zu variantenreicher Instrumentalbegleitung. Das Werk ist Neuland für das Eliteorchester – und doch im Idiom bestens vertraut. Und wenn auch Schubert nie ein wirklicher Opernkomponist geworden ist, auch nach 18 Versuchen nicht, so findet sich bei der liebevollen Schatzsuche im Kleinen, unter den aufgeklaubten Details, trotzdem manche, genüsslich ausgekostete Perle.

Der Dirigent kämpft für die Schubert-Sache

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Ingo Metzmacher am Pult ist dabei ein nimmermüder, unaufdringlicher Motivator. Er kämpft wie alle Christen und Mauren zusammen für die richtige Schubert-Sache. Ein wenig gebricht es ihm dabei allerdings an emphatischer Wärme. Er verwaltet gekonnt und vorausschauend, wo – man kann das nachhören – ein Claudio Abbado (und wohl auch der eigentlich vorgesehene Nikolaus Harnoncourt, dem mit fast 85 Jahre der Brocken dann doch zu gewaltig war) unablässig Herzblut für Schubert vergießt, jeder Phrasierung gestalterische Wichtigkeit gibt, ohne überzubetonen.

Das aber tut Peter Stein, mit dem eine Aktualisierung hier natürlich nicht zu machen ist. Sie wäre auch nur lächerlich. Wo sich die Berghaus oder auch in Zürich Claus Guth auf eine Kinderperspektive eingelassen haben, um dem naiv-blöden Geschehen Kausalität zu geben, mit Holzschwertern, Papptürmen und Biedermeierkleidern die eine, mit monströsen Möbeln der andere, da rekonstruieren Ferdinand Wögerbauer und Annamaria Heinreich eine strikte Kulissenbühne samt Prozenium und viel nazarenerhaften Wallawalla-Kostümen.

Stein rückt das unmögliche Handlungskonstrukt so noch mehr in eine konsequent stilisierte, wie auf alten Kupferstichdrucken strikt Schwarz (Mauren) und Weiß (Christen) gehaltene, fast zweidimensionale Optikebene. Auf der vollgestopften Szene wechseln sich perspektivisch stimmige Säulenhallen und Gewölbe, Burghöfe und Felsenschluchten, ein transparenter Turm und orientalische Stadtansichten ab. Bis am Ende zwischen Wolkenhängern ein blutrotes, mit christlichen Palmenzweigen gekreuztes Herz nur die Opernliebe und „des Glaubens Wahrheit“ (natürlich des christlichen) zählen lässt. Einerseits ergeben sich so immer wieder minimal animierte lebende Bilder, andererseits ist der humorfreie, auf korrektes Sprechen achtende Peter Stein oft sehr Monty-Python-nahe: Die Ritter der Schubert-Nuss lassen beständig grüßen.

Rudimente, Trümmer, Klanggemmen

Aber wie sonst soll man diese wild mit nationalen Idiomen experimentierende, zwischen Beethoven und frühem Wagner angesiedelte frühromantische Opernepoche, wo eigentlich nur noch Webers auch schon problematischer „Freischütz“ repertoiretauglich scheint, einem heutigen Publikum nahebringen? Die wenigen gelungenen Regieversuche mit Webers „Euryanthe“ oder Schumanns „Genoveva“ beweisen das. Die Spieloper Lortzings scheint hingegen ebenso obsolet geworden wie die Fantastik eines E.T.A. Hoffmanns.

Da wirken dann die Fabel-Rudimente, Szenentrümmer und kostbaren Klanggemmen des letztlich unzulänglichen, unrettbaren schubertschen Opernschaffens besonders außenseiterisch. Trotzdem schön, dass das oft so populistische und dann doch künstlerisch nicht gekonnte Salzburg der drei Alexander-Pereira-Jahre diesen ehrenwerten „Fierrabras“-Versuch unternommen hat. Denn auch das ist eine unverzichtbare Aufgabe von Festspielen, die im Opernalltag noch viel schwerer eingelöst werden kann. Und hat man sich erst eingehört in diese mitunter plane Klangwelt, eingesehen in die statischen Historienarrangements, entwickeln sie einen ganz eigenen Zauber. Denn Schuberts Magie, und sei sie noch so naiv, verdruckst und hier unprofessionell, kann man sich kaum entziehen.

Termine: 16., 19., 22., 25. (auch auf Classica), 27. August. Am 4. Oktober auf 3sat

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