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Wo ist Papa?
Von Joachim Lange
/ Fotos von Annemie Augustijns
"Mama, Where is Papa?" - das ist in Antwerpen in typischer David-Bösch-Manier in die Wand gekritzelt. Sowas macht dieser Regisseur gerne. Aber es ist nur eine kleine Beigabe zu einer im besten Sinne klassischen Inszenierung des blutigsten Werkes von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal.
Man kann die Ströme von Blut in ästhetisierten archaischen oder gegenwartsnahen Räumen auch ausblenden und die Schwärze der Gedanken als musikalische Racheorgie aus dem Graben herauf kriechen lassen. Ganz so, wie sich das ungreifbare Etwas über die schlafende Klytämnestra her macht, die den Gatten erschlagen und sich mit ihrem Mordkumpanen und Liebhaber Ägisth zusammen getan hat. Man kann gänzlich ausblenden, dass dieser erschlagene Agamemnon bereit war, die gemeinsame Tochter Iphigenie für einen Wind abzuschlachten, der ihn in den Krieg schippern lassen sollte. Was zwar auch kein wirklich mildernder Umstand für eine Königs- und Gattenmörderin ist, aber als Trauma einer Mutter Beachtung verdient. Wenn man diese Vorgeschichte mitdenkt, dann kommt eine Klytämnestra-Charakterstudie heraus, wie sie Waltraud Meyer jüngst in Patrice Cheréaus Inszenierung in Aix-en-Provence und dann noch mal in Dresden in der nicht so geglückten Deutung von Barbara Frey mit verblüffender Differenziertheit gestaltete. Elektra mit den Schaukelpferd – hinter ihr baumeln die Tieropfer der Mutter. David Bösch macht das anders. Wenn man so will: klassischer. Er projiziert die Geschichte nämlich nicht in unsere allenthalben hinterfragungsverliebte Gegenwart, sondern führt sie zurück auf ihren archaischen Kern. Zentral ist bei ihm das Verlust-Trauma und seine verheerenden Spätfolgen. Bei den Kindern des Agamemnon hat sich der Vatermord, den sie miterlebten, tief eingebrannt. Elektra wird an ihrer Racheobsession wahnsinnig. Und Orest ist so angewidert von der auf ihn gekommenen Mordmission, dass er am Ende selbst sein letztes Opfer wird und sich die Pulsadern aufschneidet. Aber auch um Chrysothemis muss man sich Sorgen machen, denn für einen Moment des Triumphes schwingt sie die Axt wie vorher Elektra. Auch sie, die die Sehnsucht nach einem normalen Weiberschicksal vor dem Schlimmsten bewahrt hat, trägt wohl das Herrschergen ihrer Familie in sich. Bösch führt das mit beklemmender Konsequenz auf diesen Endpunkt der Geschichte zu. Schon der Ort ist traumatisch, erinnert eher an eine blutige, ins Riesenhafte gewachsene Wanne, dem Ort des Mordes an Agamemnon, als an den Hof seines Palastes. Hier befinden sich noch das Kinderbett und die kleinen Stühle der Geschwister, in die die Anfangsbuchstaben eingeritzt sind. Hier hat Elektra die Stofftiere aufbewahrt, die der Bruder bei seiner Heimkehr mit wachsendem Entsetzen wiedererkennt. Hier rinnt das Blut an den Wänden eimerweise herunter, wenn Orest, erkennbar gegen seinen inneren Kompass, aber von der Schwester geführt, sein blutiges Rachewerk beginnt. Die Wirkung der Bühne von Maria Wollgast und Patrick Bannwart wird durch Michael Bauers atmosphärische Lichtwechsel noch einmal verstärkt. Der Auftritt der Klytämnestra ist ein Coup - wo schon das Öffnen einer Pforte im Hintergrund Effekt macht, saust ein halbes Dutzend verschnürter Kadaver von Tieropfern von der Decke und baumelt im Raum. So, als würde Klytämnestra deren Blut zum Überleben in der Schuld brauchen, sind Schläuche an ihrem Körper angeschlossen. Von denen befreit sie sich erst, als sie mit Elektra redet. Was auch so eine Art Überlebenselixier wäre, wenn die denn wirklich mit der Mutter reden wollte.
Es gehört zu den Stärken von David Böschs exzellenter, ziemlich genau auf der Musik liegender Personenregie, dass bei der Begegnung der beiden Frauen auch eine längst untergegangene Vergangenheit für Momente aufblitzt. Von dem Spiel mit der Kinderrassel bis hin zum ausgelassen albernen Tanz der Mutter beim triumphierenden Abgang, nach dem man ihr die Nachricht vom angeblichen Tod des Orest zugeflüstert hat. Der Prüfstein für den emotionalen Erfolg einer Elektra-Inszenierung ist noch jedes Mal die Wiederbegegnung von Elektra und Orest - das Entsetzen in den Augen und der Stimme des Bruders, der ungläubige Schock der Schwester, das wie auf einer utopischen Insel des absolut Unmöglichen erblühende zarte Quasi-Liebesduett zwischen den beiden. Kurz vorher hat Elektra zunächst vergeblich versucht, eine Kettensäge anzuwerfen (was die wirklich einzige im Grunde überflüssige Regiezugabe des Abends war) und sich zu erhängen. Doch dann kommt der Fremde. Und genau von da an, wo es hingehört, beginnt die Inszenierung auf ihren erschütternd berührenden Höhepunkt zuzusteuern. Die fabelhafte Irene Theorin und der überraschend gestaltungsstarke Károly Szemerédy sind jetzt ganz und gar bei sich. Und bei den beiden tief verletzten Menschen, die nur noch in Bezug aufeinander bzw. in der Erinnerung an ihre Kindheit einen Rest menschlicher Hoffnung bewahrt haben. Wie früher fängt Elektra für einen Augenblick sogar an, ihren Bruder zu kitzeln und zu necken. Aber es ist zu spät. Orest ist selbst sein letztes Opfer….. die drei Geschwister sind im doppelten Wortsinn am Ende. Das Richard-Strauss-Jahr und der Spielplanzufall wollten es, dass man Guy Joostens Daphne an der La Monnaie Oper in Brüssel zum Vorabend der Antwerpener Elektra machen, also einen unmittelbaren Vergleich ziehen konnte. Der geht - vor allem musikalisch, aber letztlich auch szenisch - eindeutig zugunsten der Flämischen Oper aus. Was Dmitri Jurowski (selbst gesundheitlich leicht angeschlagen) hier an Klangwucht auftürmte, aber doch so transparent hielt, dass es sich vorbildlich mit den Stimmen verband, hatte das international konkurrenzfähige Strauss-Niveau, das man aus dem Brüssler Graben diesmal nicht zu hören bekam. Jurowski und das Orchester waren auch deshalb so überzeugend, weil es ihnen gelang, auch die lyrischen Inseln in diesem Klangrausch nie zu überspülen, sondern zu Oasen zu machen, die den Rosenkavalier erahnen ließen. Das war so erstklassig wie die Protagonisten. Allen voran die so leuchtkräftige wie dramatische, eloquente und mühelos zu leisen Tönen fähige Irene Theorin als Elektra. Aber auch die Klytämnestra erfahrene René Morlock machte aus ihrer alpträumenden Mutter und Mörderin ein Ereignis von Rang. Mit sinnlicher Spielfreude ist Ausrine Stundyte als eine Lebenssehnsucht glaubhaft machende Chrysothemis die dritte starke Sängerdarstellerin im Bunde. Der noch junge Károly Szemerédy ist als schon jetzt fulminanter und zudem gestaltungsstarker Orest eine Entdeckung. Michael Laurentz steuert die rechte Dosis ängstlicher Hysterie zu einem schmierig gegenwärtigen Ägisth bei. Die Mägde sind überraschend wortverständlich, die übrige Besetzung geht auch in Ordnung. Schön, dass diese Inszenierung, nach der obligaten Serie in Gent (der anderen Spielstätte der Vlaamse Opera), auch noch ans koproduzierende Aalto-Theater nach Essen geht.
Diese flämische Elektra ist ein Wurf. Musikalisch ein Beleg für das hohe Niveau des Hauses und szenisch der endgültige Beleg dafür, dass David Bösch zum vielversprechenden Teil des Opernregie-Nachwuchses gehört. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Solisten
Klytämnestra
Elektra
Chrysothemis
Orest
Ägisth
Der Pfleger des Orest
Die Vertraute
Die Schleppträgerin
Ein junger Diener
Ein alter Diener
Die Aufseherin
Erste Magd
Zweite Magd
Dritte Magd
Vierte Magd
Fünfte Magd
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