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Musiktheater
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Die Meistersinger von Nürnberg

Oper in drei Akten
Text und Musik von Richard Wagner


In deutscher Sprache mit Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 5h (zwei Pausen)

Premiere am 21. September 2014 im Theater Bremen

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TheaterBremen
(Homepage)

Evas Traum(a)

Von Joachim Lange / Fotos von Jörg Landsberg

Der Operndirektor von Bremen und Regisseur Benedikt von Peter hat sich schon oft soweit in Opernfiguren hineinversetzt, dass das Publikum sozusagen in deren Kopf landete. Wenn Violetta (in seiner Hannoveraner La Traviata) oder die jungen Pariser Künstler (in seiner Bremer La Bohème) ihre Liebes- und Leidensgeschichten "nur" imaginieren. Also allein auf der Bühne sind und den Rest der Musik, unsichtbar agierenden Sängern und der Vorstellung des Publikums überlassen. Im Falle von Mozart Don Giovanni (in Hannover) lässt er uns konsequent alles mit den Augen dieses Frauenhelden sehen. Ohne, dass der auftaucht. Bei seinen jetzt in Bremen mit Jubel aufgenommenen Meistersingern spielen zwar alle Protagonisten, die Wagner vorgesehen hat, sichtbar mit, aber die Herangehensweise ist die gleiche. Man könnte es eine radikale Empathie nennen. Dazu sucht sich dieser Regisseur dann eine dem Stück entsprechende, spezifische Ästhetik bei der dann mitunter auch mal Akteure einfach verschwinden. Das jeweilige Werk bekommt auf jeden Fall dennoch geboten. Wenn auch in einer ungewohnten Perspektive.

Vergrößerung Eva und ihr Ritter

Für die Meistersinger hat Karin Witting ein riesiges Gerüst auf die Bühne gesetzt und dort die Bremer Philharmoniker und ihren Chef Markus Poschner platziert. Das Wagnerorchester schräg von unten gesehen und gehört - das ist schon ein ziemlich radikaler Eingriff. Diese Neuverteilung von Orchester und Sängern ist am Anfang durchaus gewöhnungsbedürftig. Sie erlaubt aber alsbald eine ganz erstaunliche Textverständlichkeit der Sänger und auch der Chöre. Hinzu kommt, dass es Poschner gelingt, einen erstaunlich transparenten Klang aus dem Hintergrund beizusteuern. Trotz der ungewöhnlichen Aufstellung liefern die Bremer Philharmoniker insgesamt einen vorzüglichen Beitrag.

Der ungenutzte Orchestergraben ist mit einem breiten Steg überbaut, der zur kammerspieltauglichen Spielfläche wird. Ein paar bewegliche Türen auf dieser Spielfläche und in der Tiefe des Raumes und eine Kinderfußbank genügen als zusätzliche Ausstattung. Rechts und links davon geht's in die Tiefe. Hans Sachs fegt bei einem Auftritt mal allesamt in den Graben. Und Sixtus Beckmesser (mit vokaler Prägnanz und komödiantischem Einsatz: Christian-Andreas Engelhardt) ist so verdattert, als ihm der Schusterpoet sein vermeintliches Preislied-Manuskript einfach schenkt, dass er gleich mehrfach in die Tiefe des Grabens abstürzt. Von dort aus krabbeln er und auch der Chor allerdings quicklebendig immer wieder nach oben. All das gehört zur Komödie, die diese Inszenierung auch ist. Und die in der Prügelfuge ihren, sogar mit Szenenapplaus bedachten, Höhepunkt findet.

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Hans Sachs und Sixtus Beckmesser

Benedikt von Peter versteht sich nämlich nicht nur darauf, mit perfekter Personenregie die Komödie mitzuliefern, sondern er unterläuft auch gerne 'mal die gängige Erwartungen. David etwa muss zwar allerhand Prügel einstecken, doch die berühmte Schelle seines Meisters, die ihn zum Gesellen macht, die wird ihm diesmal geschenkt. Und so wird auch die Prügelfuge nicht zum allfälligen Crescendo der Gewalt, sondern zu einer Kissenschlacht, bei der die weichen Wurfgeschosse auch schon mal mitten im Publikum landen.

Doch obwohl man sich dabei nach Herzenslust amüsieren kann und die Lehrbuben mit ihren Pluderhosen über den Strumpfhosen oder die Meister in ihren Phantasiekostümen (und -bärten) wie Comicfiguren (Kostüme: Geraldine Arnold) aussehen und auch die Vorlage für Walther von Stolzing geradewegs aus Evas Kinderbuch "Der fremde Ritter" stammt und der dazugehörigen Modellpuppe auf Plastik-Panzer und -Helm ähnelt, ist es keine Monty-Python-artige Light-Version der Meistersinger. Sondern das atemberaubende Psychogramm einer ziemlich fiesen Männergesellschaft, die offenbar keinerlei Skrupel hat, ein junges Mädchen als Preis eines Songcontests anzubieten. Es gab schon Meistersinger-Inszenierungen, in denen man auf die beiden Frauen auch gleich ganz hätte verzichten können.

Vergrößerung Die Prügelfuge als Kissenschlacht

In Bremen ist Eva neben Sachs die Hauptperson. Erika Ross ist da als Schauspielerin genauso gefordert wie als Sängerin. Der Schock des jungen Mädchens, wenn Sachs ihr Zimmer betritt, spricht Bände. Wir sehen die ganze, auf Jungmädchen/Frischfleisch erpichte Nürnberger Meisterwelt mit ihren Augen. Und dank der Spielfläche über dem Graben hautnah. Nett ist das nicht. Doch es ist genau diese männliche Allmachtsphantasie, die hinter der nationalistischen steckt, auf die sich gesellschaftlich - kritische Inszenierungen, politisch korrekt, gerne konzentrieren. Eva braucht hier einfach eine so schöne Märchenfee-Freundin wie Magdalena (mit charismatischer Freundlichkeit und wunderbar klarer Diktion: Ulrike Mayer), vor allem aber einen Traumprinzen bzw. - Ritter zum Überleben. Doch die eine hat vor allem ihren David (sehr wendig in Spiel und Stimme: Hyojong Kim) im Kopf. Und beim famosen Jungspund Walther (mit Kondition und jungendlicher frischer Stimme: Chris Lysack) wird schnell klar, dass der am Ende auch nur in seinen Erfolg verliebt ist. Daran, wie der ihm einfach so zufliegt, leidet Hans Sachs, der den überlegenen Künstler erkennt, fast körperlich. Bei Claudio Otelli weiß man nicht, was man mehr bewundern soll: Die vokale Kondition und Eloquenz oder die schauspielerische Überzeugungskraft, mit der er die inneren Kämpfe dieses Hans Sachs sichtbar macht. Am Ende ist es nicht Walther, der ohne Meister selig sein will, sondern dieser trotzige Verzicht auf die Meisterehre bricht aus Eva heraus. Und man fragt sich verdutzt, wieso das nicht immer so ist.

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Eva - das traumatisierte Mädchen drinnen, hinter der Tür. (Vor der Tür: Sachs)

Es ist der Kraftakt einer Empanzipation oder eher einer Selbstbefreiung. Als Voraussetzung für die Flucht aus diesem Nürnberg. Mit ihr verflüchtigt sich ihre ganze Märchen(alp)traumwelt. Das "Verachtet mir die Meister nicht" des allein zurückbleibenden Hans Sachs wird so zum verzweifelten Pfeifen im Walde eines Mannes, dessen Lebens-Option gerade verschwunden ist. Dass da schon eine neue kleine Eva hinter der Tür wartet, macht die Sache nicht besser, sondern eher schlimmer.


FAZIT

Benedikt von Peter ist wieder ein Coup gelungen. Seine Meistersinger sind radikal anders und stellen Eva und Hans Sachs in den Mittelpunkt. Musikalisch zahlt sich aus, das man in Bremen auf Ensemblearbeit setzt und der GMD Markus Poschner nicht nur am gleichen Strang zieht, wie die übrige Leitung des Hauses, sondern auch in die gleiche Richtung! Nach dem Mitmach-Tannhäuser, mit dem Florian Lutz kürzlich in Lübeck Furore machte, der zweite aktuelle Wagner Beitrag zur Wagnerrezeption, der eine Reise in den Norden lohnt.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Markus Poschner

Inszenierung
Benedikt von Peter

Bühne
Katrin Wittig

Kostüme
Geraldine Arnold

Licht
Christopher Moos

Chor
Daniel Mayr

Chorassistenz
Jinie Ka

Dramaturgie
Sylvia Roth


Chor und Extrachor des
Theater Bremen


Bremer Philharmoniker


Solisten

Hans Sachs, Schuster
Claudio Otelli

Veit Pogner, Goldschmied
Loren Lang,

Kunz Vogelgesang, Kürschner
Mihai Zamfir

Konrad Nachtigall, Spengler
Christoph Heinrich

Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber
Christian-Andreas Engelhardt

Fritz Kothner, Bäcker
Patrick Zielke

Balthasar Zorn, Zinngiesser
Robert Lichtenberger

Ulrich Eisslinger, Würzkrämer
Sungkuk Chang

Augustin Moser, Schneider
Eric Remmers

Hermann Ortel, Seifensieder
Daniel Ratchev

Hans Schwarz, Strumpfwirker
Allan Parkes

Hans Foltz, Kupferschmied
Daniel Wynarski

Walther von Stolzing
Chris Lysack

David, Sachsens Lehrbube
Hyojong Kim

Eva, Pogners Tochter
Erika Roos

Magdalena, Evas Amme
Ulrike Mayer

Ein Nachtwächter
Patrick Zielke


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Bremen
(Homepage)





Da capo al Fine

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