Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Brave Hausmannskost in BonnVon Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu
Vor neun Jahren raisonnierte Gunter Krämer etwas allzu grundsätzlich, verstörend und am Stück vorbei über das Wesen der Liebe und wurde gegen den Zorn der Zuschauerinnen und Zuschauer beherzt von mir in Schutz genommen: "Hat das Publikum ein Recht auf eine Fidelio-Inszenierung, bei der allein die Musik im Vordergrund steht, bei der in erster Linie die Sehgewohnheiten von Leuten bedient werden, die Beethovens Willen ... genau kennen wollen ...? Ist Fidelio wirklich nur ein Feiertagsstück mit glanzvollen Melodien zum Mitsummen? Und tut Krämer nicht doch gut daran, sich solchem Ansinnen zu widersetzen?"
Leonore (Yannick-Muriel Noah) glaubt an die Kraft der Hoffnung.
Jakob Peters-Messers Neuinszenierung ist das Gegenteil: Sie ist mit Guido Petzolds Metallkonstruktion in der Bühnenmitte, die erst zum Gefangenenchor richtig sichtbar wird und effektvoll (aber etwas altmodisch) mit Neonröhren versehen ist, so glatt und allgemein, dass sie den Planungen der Intendanz entsprechend jahrelang in wechselnden Besetzungen gezeigt werden kann - selbst am Vortag anreisende Stars werden sich problemlos in diese Produktion einfinden, die von intelligentem, modernen, inspirierend-kontroversen, engagiert-ambitionierten Musiktheater meilenweit entfernt ist. Hier ist alles ist so klar, einleuchtend und harmlos (und schlicht gedacht), dass es keinen Musik-Grundkurs der ortsansässigen Gymnasien und Gesamtschulen überfordern wird, so wie die einzige wirkliche (und arg überflüssige) Idee des Abends, nämlich das gesamte Ensemble mit Ausnahme des hohen Paares im Jubelfinale in typische Kostüme der Französischen Revolution zu stecken. Auf der anderen Seite hat der Regisseur handwerklich sauber gearbeitet, es gibt durchaus packende Momente, die Figuren sind differenziert gezeichnet, man kann sich ganz auf Beethovens erhebende Musik konzentrieren. Und muss sich vor allem in der Ouvertüre, in der Leonorenarie und im Vorspiel zu Florestans Arie über gruselige Hörner, unpräzise Streicher und manch knalligen Effekt ärgern - vielleicht sollte GMD Blunier die Premieren so wichtiger Werke nicht an seinen Ersten Dirigenten Hendrik Vestmann abgeben. Sehr viel präziser und differenzierter musizierten die Damen und besonders die Herren des Chores in Volkmar Olbrichs offenkundig guter Einstudierung.
Jakob Peters-Messers Entscheidung indes, die bekannten Dialoge in stark gekürzter Form zu übernehmen, war eine gute, der Abend wird dadurch nicht zu lang, die Handlung nicht unnötig aufgehalten (wie 2005). Allerdings fragt man sich, ob die beiden auf dem Besetzungszettel ausgewiesenen Sprachcoachs mit den Hauptdarstellern Kaffee trinken waren - besonders Priit Volmer als Rocco war hoffnungslos überfordert, und trotz grundsätzlicher Deutlichkeit war auch die eine oder andere Betonung von Yannick-Muriel Noah schlicht falsch.
Die Sopranistin bestätigte den grundsätzlich guten Eindruck, den sie im vergangenen November als Tosca hinterlassen hatte, ihrer großen, voluminösen lyrischen Sopranstimme scheint die Leonore fast noch mehr entgegenzukommen als die römische Primadonna, sie singt die Arie wirklich hervorragend und kommt erst ab etwa der Hälfte des Kerkers an hörbare Grenzen, was Durchschlagskraft und vokale Präsenz angeht, also in eben jenen Momenten, in denen sich zeigt, warum es sich um eine hochdramatische Partie handelt. Und einmal mehr muss festgehalten werden, dass sie weiter an den ganz hohen Tönen arbeiten muss, auch deren Qualität lässt im Laufe des Abends nach. Darstellerisch indes gewinnt sie mehr und mehr an Ausstrahlung und weiß zu berühren.
Florestan (Christian Juslin) liegt in einem dieser Gefängnisse in Ketten.
Christian Juslin liegt der Florestan besser als der Cavaradossi, das eher schroffe, grobkörnige Timbre ließ aufhorchen, aber die letzten gemeinen Phrasen gelangen dann wegen des großen Drucks doch nicht ohne Kiekser. Mark Morouse ist keine schlechte Wahl für den Pizarro, auch wenn ihm die letzte Wucht und Schwärze eines echten Heldenbaritons fehlt. Wenig Ausstrahlung und Stimme hatte Giorgos Kanaris für den Minister, das ist leider in vielen Vorstellungen so. Dagegen war Priit Volmer ein noch junger, auch vokal vitaler Rocco (wäre da nicht das inakzeptable Deutsch). Eine Freude waren auch Tamás Tarjányi als ganz zu Unrecht übernervöser Jaquino und besonders Nikola Hillebrand als entzückende, mit herrlich frischem Ton singende Marzelline (im Barbiekleid mit Petticoat von Sven Bindseil, dessen hellgraue Uniformen und interessant bedruckte Sträflingskleidung mir besser gefielen). Die Sologefangenen waren mit Jae Hoon Jung und Enrico Döring sehr anständig besetzt.
Günter Krämer soll 2005 das Publikum als provinziell bezeichnet haben - mir kommt dieses unschöne Adjektiv in den Sinn, wenn ich die Neuproduktion des Jahres 2014 mit ihrer Vorgängerin vergleiche. Und letztlich gilt das leider auch für die musikalische Leistung.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Licht
Kostüme
Choreinstudierung
SolistenDon Fernando, Minister Giorgos Kanaris
Florestan,
Leonore, seine Gemahlin
Don Pizarro, Gouverneur
Rocco,
Marzelline,
Jaquino,
1. Gefangener
2. Gefangener
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