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Eine Frau
zwischen zwei Frauen
Von Bernd
Stopka /
Fotos von N. Klinger
These,
Antithese und Synthese –
vielleicht kommt man damit dem neuen Rosenkavalier in Kassel auf die
Spur.
Leichte Kost ist es jedenfalls wieder einmal nicht, was Regisseur
Lorenzo Fioroni in den üppigen Bühnenbildern von Paul Zoller und den
aufwändigen
Kostümen von Sabine Blickenstorfer dem Publikum serviert oder
sollte man gleich
sagen zumutet? Nun ist man es zwar von diesem Team gewohnt, dass es
seine
eigene Geschichte erzählt und vieles gegen den Strich
bürstet. Diesmal haben
sie allerdings besonders heftig zugeschlagen.
Celine Byrne (Marschallin), Maren
Engelhardt (Octavian)
Die These ist
möglicherweise die
übersättigte, degenerierte, den Schein kaum mehr wahrende
Welt der Marschallin.
Dagegen steht als Antithese der ebenso neu geadelte wie neureiche
Faninal mit
seinem ordentlichen, staubfreien und permanent parfümierten
Stadtpalais, das
symbolisch für den Erhalt einer Ordnung steht, die nicht
gewachsen, sondern
erkauft ist und die zu wahren neu und damit erstrebenswert erscheint.
Die abgebauten
Szenenbilder und Requisiten der ersten beiden Akte müssen im
dritten Akt auf
der Bühne zusammengeführt werden, damit die Geschichte ein
vereintes Ganzes,
eine Synthese ergibt. Dazu muss jedoch
dieser ganze Ballast entfernt, die Kerzen des Scheins gelöscht und
die
Oberflächlichkeit der Äußerlichkeit (die Kostüme)
im Sarg entsorgt werden. Die
jungen Leute sitzen fröhlich auf der Totenkiste der Vergangenheit,
während die
Marschallin als alte, gebückte Frau an ihr zerbricht. Ebenso der
Baron Ochs,
der der Trunksucht verfällt, weil auch seine adlige Vergangenheit
ihm nichts
nützt, wenn er sich in der Gegenwart schlecht benimmt. So wie diese Welten zusammenbrechen, brach
die ganze Welt zusammen, als der erste Weltkrieg ausbrach. Und so
ziehen Männer
in Rokoko-Kostümen mit ihren Koffern und Taschen in die Projektion
eines Mobilmachungsfilms
und damit in den Krieg und in den Tod, der durch ein helles Licht am
Ende des
Ganges symbolisiert wird. Uff. Was für ein Weltentheater.
Doch das Ganze
liest sich besser,
als es auf der Bühne sichtbar wird. Das liegt einerseits daran,
dass die
szenische Umsetzung u. a. auch durch das Einfügen diverser
Handlungs- und
Bedeutungsebenen bis aufs Äußerste überladen und
überzeichnet wird,
andererseits, dass der Versuch, eine besondere Form der Komik entstehen
zu
lassen, gründlich misslingt und zuoberst daran, dass
überdeutlich aufgedeckt
und enttarnt wird, was einen Teil des besonderen Charmes dieser Oper
ausmacht.
Ein
rosendekoriertes Gemach und
Rokoko-Kostüme, die den Stil überzeichnen, beherrschen
optisch das Szenenbild. Octavian
ist eine schöne junge Frau, die ein Verhältnis mit der
schönen jungen
Marschallin hat. Sie sehen aus wie Zwillinge, nur das Octavian
zeitweilig einen
angeklebten Schnauzbart trägt (was ein bisschen an Conchita Wurst
erinnert…).
Mit einem Säbel ritzen sie sich an den Handgelenken und besiegeln
ihre
Blutsschwesternschaft. Fioroni nimmt die kitzelige Tatsache auf, dass
der junge
Liebhaber der älteren Marschallin von einer Frau gesungen wird.
Den Gedanken
der Hosenrolle kehrt er um und lässt alle Männer bei der Marschallin in Frauenkleidern des Rokoko
auftreten - von den Dienern bis zum Haushofmeister. Aus der Illusion
der Zeit
herausgelöst (in der beispielsweise ein Walzer gespielt wird, den
es zur im Libretto angegebenen Zeit Maria
Theresia’s
noch gar nicht gab) verkleidet sich Octavian, also die Liebhaberin, in
eine
sehr heutige, möglicherweise dem Playboy entsprungene Dienerin in
High Heels
und rosa Minirock sowie wollig umstricktem Riesenbusen. Der Baron Ochs
erscheint
als Molière-Verschnitt und scheint eine Vorstellung auf der
Commedia
dell’arte-Bühne zu geben, grimassiert und stolziert überzogen
und leicht
tollpatschig durch die Szene. Der Morgenvogel singt aus dem Käfig,
die Uhren
der Marschallin zeigen unterschiedliche Zeiten, so dass es nicht einmal
darauf
ankommt, wenn sie ihnen später im Uhrenmonolog die Zeiger
abbricht. Die
Lever-Gäste sind heruntergekommene Subjekte, die sich schlecht
benehmen,
öffentlich kopulieren usw. Annina schreit „Vive la revolution!“.
Das Futteral
der Silberrose ist mit dem gleichen Muster verziert, welches das
Schlafzimmer der
Marschallin schmückt. „Siegst es, da geht die alte Fürstin Resi!“ muss die Marschallin kreischend singen, was als Beispiel
von
Überzeichnung und Verlust des Dezenten genannt sein soll.
Eine Maschine
als Mohrenknabe, der Kaffee pinkelt, bewegt sich am Rande des politisch
Korrekten und stellt einen traurigen Höhepunkt der albernen
Peinlichkeiten dar.
Später schneidet sich die Marschallin zum Entsetzen ihrer nun in
vollendeter
Damengarderobe erschienenen Liebhaberin das Herz heraus und hält
es in Händen und
dergleichen Überzogenheiten mehr. Dabei gerät die
Personenregie hier an die
Grenzen des Erträglichen. Keinerlei Charme bezaubert, keine
dezente Komik
erheitert, jeglicher Tiefsinn verpufft – bestenfalls ist es alberner,
zumeinst
dümmlicher Slapstick oder ebensolches Bemühen,
Sehgewohnheiten und Erwartungen
nicht zu erfüllen – vielleicht mit der Intension, dadurch den Blick auf das
Dahinterliegende zu schärfen. Doch das gelingt nicht. Im
Gegenteil, das Ganze
ist schwer zu ertragen und löste bei mir ernsthafte Fluchtgedanken
aus.
Belinda Williams (Annina), Ochs
(Friedemann Röhlig), Haushofmeister der Marschallin (Tobias
Hächler), Valzacchi (Bassem Alkhouri)
Bei Faninal
läuft alles gesitteter
ab. Sauberkeit und Ordnung stehen im Vordergrund. Gewaltige
Jagdtrophäen an der
Wand des düsteren Stadtpalais zeigen auf ungewöhnliche Weise den Beruf Faninals, der hier offensichtlich
mit Jagdgewehren sein Vermögen gemacht hat, nicht mit
Kriegswaffen. Ein Kamin
mit echtem Feuer bildet den optischen Mittelpunkt des
Bühnenbildes. Sophie
erscheint zunächst mit hoher Frisur und unkenntlich
übertrieben verschleiert. Als
Rosenkavalier mit zerzauster Perücke verkleidet, verliebt sich die
Liebhaberein
der Marschallin in eine andere Frau: in Sophie, die ihre Liebe zum
gleichen
Geschlecht entdeckt. Beide werfen die Stühle des Salons um, was
der geübte
Opernbesucher als Hinwegsetzen über die Konventionen
interpretieren wird. Die
Rose ähnelt eher einem Zepter mit Beleuchtung, mit dem Octavian
den Baron
zwischen den Beinen verletzt. Faninal betrinkt sich und sieht den Baron
vielfach,
auch der Ochs ist betrunken und sieht sein tanzendes Double-Ballett.
Annina,
die von Octavian bezahlt ist, und mit Ochs seinen Walzer tanzt, kann einer Massenvergewaltigung gerade noch
entgehen.
Chor,
Celine Byrne (Marschallin)
Im dritten Akt
dominiert der
Einfall, die Geschichte als Commedia dell’arte mit lachendem,
klatschendem,
johlendem Publikum auf der Bühne zu erzählen. Valzacchi macht
den Kasper und
selbst das Krokodil fehlt nicht – es ist eine der Jagdtrophäen,
die bei Faninal
an der Wand hingen. Hier gerät die Musik nun gänzlich in den
Hintergrund,
verschafft sich aber durch martialisch klingende Attacken immer mal
wieder
Gehör. Das „mordsmäßig“ große Bett ist das Bett
der Marschallin. Eine Szene
bezaubert hier dann einen Augenblick doch: Wenn Octavian als Mariandl
singt „Es
ist eh alles eins“ trägt sie/er die Perücke der Marschallin
und hält eine ihrer
Uhren in den Händen. Eine Parallelsituation, wenn auch
verschiedener Welten.
Aber gerade das ist ein Hinweis auf den Synthesegedanken.
Kinder wie Untote mit
rotgeweinten Augen bringen einen Sarg auf die Bühne, in dem der
scheinbar tote
Ehemann der scheinbaren Witwe Annina liegen soll. Sophie sperrt Ochs
schließlich in den Vogelkäfig, der nun zum mittelalterlichen
Folterinstrument
geworden ist, bevor der gebrochene, alkoholisierte Baron sich vom
Publikum
verabschiedet, so wie er es zuvor vor einem rotseidenen Zwischenvorhang
durch
die Aufführung geleitet hat – wie Tonio im Bajazzo.
Da
lässt eine andere Komödie grüßen, die zur
Tragödie wird.
Zum bereits oben beschriebenen Schluss
verweigert der Regisseur der verzichtenden Marschallin die Güte,
den Arm
Faninals und die Contenance, so dass sie als alte gebückte Frau
allein
abgehend ihr Taschentuch hinter den Sarg fallen lässt. Zuvor hat
er hat die
drei Frauen in die Realität geholt, in dem er sie in Jeans und
Shirts in den
Alltag gehen lässt.
Celine Byrne
(Marschallin)
Was bleibt,
wenn man aus dem
Rosenkavalier das Heiter-Melancholische eliminiert, wenn man die Tiefe,
die
Strauss und Hofmannsthal erklärtermaßen unter der
Oberfläche versteckt haben (ohne
dabei auch nur im Ansatz oberflächlich zu werden!) mit clownesker
Schminke
zukleistert, wenn man den leicht morbiden Charme ebenso verweigert wie
die
dezente Komik, die man mit skurril-absurder Albernheit ersetzt, wenn
man die im
Original dezent angedeuteten Figuren aus der Commedia dell’arte auf die
Schmierenbühne stellt? Was bleibt, wenn man den uralten
Wesenskonflikt zwischen
Männern und Frauen entfernt? Was bleibt, wenn man, noch so klug
analysierend, Illusionen
enttarnt? Man möchte mit Mephisto antworten: „Dann
hat er die Teile in seiner Hand, Fehlt, leider! nur das
geistige
Band“. Aus der „wienerischen Maskerad’“ wird eine alberne Posse „und
weiter
nichts“. Ohne seine Seele, seine textlich, szenisch und musikalisch so
feinsinnig erdachte Komik, seinen Tiefsinn und die heitere Melancholie ist Der Rosenkavalier verloren – und das tut
jedem weh, der ihn heiß und innig liebt.
Als Octavian
überzeugt Maren
Engelhardt mit klangvollem, gleichmäßig durchgeformtem,
warmem Mezzosopran,
der in zahlreichen Farben leuchtet und
mit vielen Tönen tief berührt. Lin Lin Fans glasglarer, hell
und rein
klingender Sopran ist wie geschaffen für eine
mädchenhaft-liebliche Sophie. Celine
Byrne singt eine sehr jugendliche Marschallin mit wunderschönem
Timbre und perlglitzernden
Tönen. Aber die Lebensweisheit, die Güte, das liebenswert
Morbide und auch die
an diesem Abend überall so schmerzlich vermisste heitere
Melancholie fehlen – so
schön sie jedes einzelne Wort auch singt, ich glaube ihr kein
einziges. In der
Partie des Ochs auf Lerchenau ist Friedemann Röhlig wieder einmal
in Kassel zu
erleben. Am sichersten und klangvollsten bewegt er sich im Forte,
wogegen ihm
die satte Tiefe ebenso fehlt wie manch textverständliche
Ausformung in der
Mittellage. Aber er ist auch von der Regie am meisten gebeutelt. Marian
Pop ist
ein beachtlicher Faninal, Belinda Williams und Bassem Alkouri sind
gleichermaßen
stimmschöne Luxusbesetzungen für Annina und Valzacchi. Paulo
Paolillo brilliert
als Sänger und Dieter Hönig dröhnt köstlich
vertraut als Notar.
Patrik Ringborgs Dirigat soll wohl
detailliert und
transparent sein, aber es zerfällt in einzelne Phrasen und klingt
besonders im
ersten Akt oft grob, hölzern und unsensibel. Zum Monolog der
Marschallin gönnt
er dem Zuhörer erstmals emotionalere und bewegende Passagen,
weitere im zweiten
und dann doch zum Terzett im dritten Akt, wenngleich man zuweilen
glaubt, er
verwechselt sinnlich mit langsam. Oft schreckt man zusammen, wenn er
insbesondere mit den Blechbläsern allzu grob, ja zuweilen geradezu
martialisch
drauflospoltert. In der Verweigerung des Heiter-Melancholischen sind
sich Regie
und Dirigat offenbar einig. Was die Regie betrifft, ist dieser Rosenkavalier ein intelligent untermauertes, aber doch schreckliches Machwerk, musikalisch klingt vieles recht eigenwillig und hinterlässt zwiespältige Eindrücke. Octavian und Sophie ergeben auch stimmlich ein traumhaft schönes Frauenpaar. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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