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Der Rosenkavalier

Komödie für Musik
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 Stunden 35 Minuten  (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus des Staatstheaters Kassel am 12. Oktober 2014

 



Staatstheater Kassel
(Homepage)

Eine Frau zwischen zwei Frauen

Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger

These, Antithese und Synthese – vielleicht kommt man damit dem neuen Rosenkavalier in Kassel auf die Spur. Leichte Kost ist es jedenfalls wieder einmal nicht, was Regisseur Lorenzo Fioroni in den üppigen Bühnenbildern von Paul Zoller und den aufwändigen Kostümen von Sabine Blickenstorfer dem Publikum serviert oder sollte man gleich sagen zumutet? Nun ist man es zwar von diesem Team gewohnt, dass es seine eigene Geschichte erzählt und vieles gegen den Strich bürstet. Diesmal haben sie allerdings besonders heftig zugeschlagen.

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Celine Byrne (Marschallin), Maren Engelhardt (Octavian)

Die These ist möglicherweise die übersättigte, degenerierte, den Schein kaum mehr wahrende Welt der Marschallin. Dagegen steht als Antithese der ebenso neu geadelte wie neureiche Faninal mit seinem ordentlichen, staubfreien und permanent parfümierten Stadtpalais, das symbolisch für den Erhalt einer Ordnung steht, die nicht gewachsen, sondern erkauft ist und die zu wahren neu und damit erstrebenswert erscheint. Die abgebauten Szenenbilder und Requisiten der ersten beiden Akte müssen im dritten Akt auf der Bühne zusammengeführt werden, damit die Geschichte ein vereintes Ganzes, eine Synthese ergibt. Dazu muss jedoch dieser ganze Ballast entfernt, die Kerzen des Scheins gelöscht und die Oberflächlichkeit der Äußerlichkeit (die Kostüme) im Sarg entsorgt werden. Die jungen Leute sitzen fröhlich auf der Totenkiste der Vergangenheit, während die Marschallin als alte, gebückte Frau an ihr zerbricht. Ebenso der Baron Ochs, der der Trunksucht verfällt, weil auch seine adlige Vergangenheit ihm nichts nützt, wenn er sich in der Gegenwart schlecht benimmt. So wie diese Welten zusammenbrechen, brach die ganze Welt zusammen,  als der erste Weltkrieg ausbrach. Und so ziehen Männer in Rokoko-Kostümen mit ihren Koffern und Taschen in die Projektion eines Mobilmachungsfilms und damit in den Krieg und in den Tod, der durch ein helles Licht am Ende des Ganges symbolisiert wird. Uff. Was für ein Weltentheater.

Doch das Ganze liest sich besser, als es auf der Bühne sichtbar wird. Das liegt einerseits daran, dass die szenische Umsetzung u. a. auch durch das Einfügen diverser Handlungs- und Bedeutungsebenen bis aufs Äußerste überladen und überzeichnet wird, andererseits, dass der Versuch, eine besondere Form der Komik entstehen zu lassen, gründlich misslingt und zuoberst daran, dass überdeutlich aufgedeckt und enttarnt wird, was einen Teil des besonderen Charmes dieser Oper ausmacht.

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Lever

Ein rosendekoriertes Gemach und Rokoko-Kostüme, die den Stil überzeichnen, beherrschen optisch das Szenenbild. Octavian ist eine schöne junge Frau, die ein Verhältnis mit der schönen jungen Marschallin hat. Sie sehen aus wie Zwillinge, nur das Octavian zeitweilig einen angeklebten Schnauzbart trägt (was ein bisschen an Conchita Wurst erinnert…). Mit einem Säbel ritzen sie sich an den Handgelenken und besiegeln ihre Blutsschwesternschaft. Fioroni nimmt die kitzelige Tatsache auf, dass der junge Liebhaber der älteren Marschallin von einer Frau gesungen wird. Den Gedanken der Hosenrolle kehrt er um und lässt alle Männer bei der Marschallin in Frauenkleidern des Rokoko auftreten - von den Dienern bis zum Haushofmeister. Aus der Illusion der Zeit herausgelöst (in der beispielsweise ein Walzer gespielt wird, den es zur im Libretto angegebenen Zeit Maria Theresia’s noch gar nicht gab) verkleidet sich Octavian, also die Liebhaberin, in eine sehr heutige, möglicherweise dem Playboy entsprungene Dienerin in High Heels und rosa Minirock sowie wollig umstricktem Riesenbusen. Der Baron Ochs erscheint als Molière-Verschnitt und scheint eine Vorstellung auf der Commedia dell’arte-Bühne zu geben, grimassiert und stolziert überzogen und leicht tollpatschig durch die Szene. Der Morgenvogel singt aus dem Käfig, die Uhren der Marschallin zeigen unterschiedliche Zeiten, so dass es nicht einmal darauf ankommt, wenn sie ihnen später im Uhrenmonolog die Zeiger abbricht. Die Lever-Gäste sind heruntergekommene Subjekte, die sich schlecht benehmen, öffentlich kopulieren usw. Annina schreit „Vive la revolution!“. Das Futteral der Silberrose ist mit dem gleichen Muster verziert, welches das Schlafzimmer der Marschallin schmückt. „Siegst es, da geht die alte Fürstin Resi!“ muss die Marschallin kreischend singen, was als Beispiel von Überzeichnung und Verlust des Dezenten genannt sein soll. Eine Maschine als Mohrenknabe, der Kaffee pinkelt, bewegt sich am Rande des politisch Korrekten und stellt einen traurigen Höhepunkt der albernen Peinlichkeiten dar. Später schneidet sich die Marschallin zum Entsetzen ihrer nun in vollendeter Damengarderobe erschienenen Liebhaberin das Herz heraus und hält es in Händen und dergleichen Überzogenheiten mehr. Dabei gerät die Personenregie hier an die Grenzen des Erträglichen. Keinerlei Charme bezaubert, keine dezente Komik erheitert, jeglicher Tiefsinn verpufft – bestenfalls ist es alberner, zumeinst dümmlicher Slapstick oder ebensolches Bemühen, Sehgewohnheiten und Erwartungen nicht zu erfüllen – vielleicht mit der Intension, dadurch den Blick auf das Dahinterliegende zu schärfen. Doch das gelingt nicht. Im Gegenteil, das Ganze ist schwer zu ertragen und löste bei mir ernsthafte Fluchtgedanken aus.

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Belinda Williams (Annina), Ochs (Friedemann Röhlig), Haushofmeister der Marschallin (Tobias Hächler), Valzacchi (Bassem Alkhouri)

Bei Faninal läuft alles gesitteter ab. Sauberkeit und Ordnung stehen im Vordergrund. Gewaltige Jagdtrophäen an der Wand des düsteren Stadtpalais zeigen auf ungewöhnliche Weise den Beruf Faninals, der hier offensichtlich mit Jagdgewehren sein Vermögen gemacht hat, nicht mit Kriegswaffen. Ein Kamin mit echtem Feuer bildet den optischen Mittelpunkt des Bühnenbildes. Sophie erscheint zunächst mit hoher Frisur und unkenntlich übertrieben verschleiert. Als Rosenkavalier mit zerzauster Perücke verkleidet, verliebt sich die Liebhaberein der Marschallin in eine andere Frau: in Sophie, die ihre Liebe zum gleichen Geschlecht entdeckt. Beide werfen die Stühle des Salons um, was der geübte Opernbesucher als Hinwegsetzen über die Konventionen interpretieren wird. Die Rose ähnelt eher einem Zepter mit Beleuchtung, mit dem Octavian den Baron zwischen den Beinen verletzt. Faninal betrinkt sich und sieht den Baron vielfach, auch der Ochs ist betrunken und sieht sein tanzendes Double-Ballett. Annina, die von Octavian bezahlt ist, und mit Ochs seinen Walzer tanzt, kann einer Massenvergewaltigung gerade noch entgehen.

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Chor, Celine Byrne (Marschallin)

Im dritten Akt dominiert der Einfall, die Geschichte als Commedia dell’arte mit lachendem, klatschendem, johlendem Publikum auf der Bühne zu erzählen. Valzacchi macht den Kasper und selbst das Krokodil fehlt nicht – es ist eine der Jagdtrophäen, die bei Faninal an der Wand hingen. Hier gerät die Musik nun gänzlich in den Hintergrund, verschafft sich aber durch martialisch klingende Attacken immer mal wieder Gehör. Das „mordsmäßig“ große Bett ist das Bett der Marschallin. Eine Szene bezaubert hier dann einen Augenblick doch: Wenn Octavian als Mariandl singt „Es ist eh alles eins“ trägt sie/er die Perücke der Marschallin und hält eine ihrer Uhren in den Händen. Eine Parallelsituation, wenn auch verschiedener Welten. Aber gerade das ist ein Hinweis auf den Synthesegedanken. Kinder wie Untote mit rotgeweinten Augen bringen einen Sarg auf die Bühne, in dem der scheinbar tote Ehemann der scheinbaren Witwe Annina liegen soll. Sophie sperrt Ochs schließlich in den Vogelkäfig, der nun zum mittelalterlichen Folterinstrument geworden ist, bevor der gebrochene, alkoholisierte Baron sich vom Publikum verabschiedet, so wie er es zuvor vor einem rotseidenen Zwischenvorhang durch die Aufführung geleitet hat – wie Tonio im Bajazzo. Da lässt eine andere Komödie grüßen, die zur Tragödie wird. Zum bereits oben beschriebenen Schluss verweigert der Regisseur der verzichtenden Marschallin die Güte, den Arm Faninals und die Contenance, so dass sie als alte gebückte Frau allein abgehend ihr Taschentuch hinter den Sarg fallen lässt. Zuvor hat er hat die drei Frauen in die Realität geholt, in dem er sie in Jeans und Shirts in den Alltag gehen lässt.

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Lin Lin Fan (Sophie), Maren Engelhardt (Octavian),Celine Byrne (Marschallin)

Was bleibt, wenn man aus dem Rosenkavalier das Heiter-Melancholische eliminiert, wenn man die Tiefe, die Strauss und Hofmannsthal erklärtermaßen unter der Oberfläche versteckt haben (ohne dabei auch nur im Ansatz oberflächlich zu werden!) mit clownesker Schminke zukleistert, wenn man den leicht morbiden Charme ebenso verweigert wie die dezente Komik, die man mit skurril-absurder Albernheit ersetzt, wenn man die im Original dezent angedeuteten Figuren aus der Commedia dell’arte auf die Schmierenbühne stellt? Was bleibt, wenn man den uralten Wesenskonflikt zwischen Männern und Frauen entfernt? Was bleibt, wenn man, noch so klug analysierend, Illusionen enttarnt? Man möchte mit Mephisto antworten: „Dann hat er die Teile in seiner Hand, Fehlt, leider! nur das geistige Band“. Aus der „wienerischen Maskerad’“ wird eine alberne Posse „und weiter nichts“. Ohne seine Seele, seine textlich, szenisch und musikalisch so feinsinnig erdachte Komik, seinen Tiefsinn und die heitere Melancholie ist Der Rosenkavalier verloren – und das tut jedem weh, der ihn heiß und innig liebt.

Als Octavian überzeugt Maren Engelhardt mit klangvollem, gleichmäßig durchgeformtem, warmem Mezzosopran, der in zahlreichen Farben leuchtet und mit vielen Tönen tief berührt. Lin Lin Fans glasglarer, hell und rein klingender Sopran ist wie geschaffen für eine mädchenhaft-liebliche Sophie. Celine Byrne singt eine sehr jugendliche Marschallin mit wunderschönem Timbre und perlglitzernden Tönen. Aber die Lebensweisheit, die Güte, das liebenswert Morbide und auch die an diesem Abend überall so schmerzlich vermisste heitere Melancholie fehlen – so schön sie jedes einzelne Wort auch singt, ich glaube ihr kein einziges. In der Partie des Ochs auf Lerchenau ist Friedemann Röhlig wieder einmal in Kassel zu erleben. Am sichersten und klangvollsten bewegt er sich im Forte, wogegen ihm die satte Tiefe ebenso fehlt wie manch textverständliche Ausformung in der Mittellage. Aber er ist auch von der Regie am meisten gebeutelt. Marian Pop ist ein beachtlicher Faninal, Belinda Williams und Bassem Alkouri sind gleichermaßen stimmschöne Luxusbesetzungen für Annina und Valzacchi. Paulo Paolillo brilliert als Sänger und Dieter Hönig dröhnt köstlich vertraut als Notar.

Patrik Ringborgs Dirigat soll wohl detailliert und transparent sein, aber es zerfällt in einzelne Phrasen und klingt besonders im ersten Akt oft grob, hölzern und unsensibel. Zum Monolog der Marschallin gönnt er dem Zuhörer erstmals emotionalere und bewegende Passagen, weitere im zweiten und dann doch zum Terzett im dritten Akt, wenngleich man zuweilen glaubt, er verwechselt sinnlich mit langsam. Oft schreckt man zusammen, wenn er insbesondere mit den Blechbläsern allzu grob, ja zuweilen geradezu martialisch drauflospoltert. In der Verweigerung des Heiter-Melancholischen sind sich Regie und Dirigat offenbar einig.

FAZIT

Was die Regie betrifft, ist dieser Rosenkavalier ein intelligent untermauertes, aber doch schreckliches Machwerk, musikalisch klingt vieles recht eigenwillig und hinterlässt zwiespältige Eindrücke. Octavian und Sophie ergeben auch stimmlich ein traumhaft schönes Frauenpaar.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Patrik Ringborg

Inszenierung
Lorenzo Fioroni

Bühne
Paul Zoller

Kostüme
Sabine Blickenstorfer

Licht
Albert Geisel

Chor
Marco Zeiser Celesti

Kinderchor
Maria Radzikhovskiy

Dramaturgie
Jürgen Otten

 

Staatsorchester Kassel

Opernchor und
Damen des Extrachores

Kinderchor Cantamus

Statisterie des
Staatstheaters Kassel

Solisten

Die Feldmarschallin
Celine Byrne

Baron Ochs auf Lerchenau
Friedemann Röhlig

Octavian
Maren Engelhardt

Herr von Faninal
Marian Pop

Sophie
Lin Lin Fan

Die Leitmetzerin
Jaclyn Bermudez

Valzacchi
Bassem Alkhouri

Annina
Belinda Williams

Ein Sänger
Paulo Paolillo

Ein Polizeikommissar
Abraham Singer

Der Haushofmeister
bei der Feldmarschallin
Tobias Hächler

Der Haushofmeister
bei Faninal
Hyunseung You

Ein Notar
Dieter Hönig

Ein Tierhändler,
Ein Wirt

Seong Ho Kim

Drei adelige Waisen
Sabine Roppel
Anna Sorokina
Sabina Kuznetsova

Eine Modistin
Ann-Christin Förste

Drei Kellner
Dong-Kun Kim
Samuel Bak
Michael Boley

Ein Hausknecht
Ji Hyung Lee

Kinder
Kinderchor Cantamus


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