Andeutungen ohne Ausdeutung

In seiner zweiten Inszenierung für das Theater Basel hat Massimo Rocchi Gaetano Donizettis «Don Pasquale» mitten in die Schweizer Bergwelt verlegt, damit aber zu keiner schlüssigen Deutung gefunden.

Michelle Ziegler
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Ist hier alles «Swiss made»? Massimo Rocchi hat die Intrige des «Don Pasquale» von Gaetano Donizetti mitten in die Schweiz verlegt. Dorthin, wo sich zauberhaft glitzernde Seen und liebliche Berggipfel zu Postkarten-Panoramen gruppieren. Wo der alte Onkel im Stöckli einem friedlichen Lebensabend entgegensieht. Wo das Leben überhaupt in geregelten Bahnen verläuft. Bis ebenjener alte Onkel – er würde in der bei Donizetti nachgezeichneten Commedia dell'Arte dem reichen Geizkragen entsprechen – es wagt, diese Ordnung durcheinanderzubringen. Eine Heirat mit einer jungen Frau soll seinem Leben neue Frische geben. Ein Plan, dessen Ausführung völlig danebengeht, weil der verschlagene Dottore Malatesta aus der Gier des Alten Profit zu schlagen weiss. Malatesta ist es auch zuzuschreiben, dass Don Pasquale nach einer ruinösen Scheinehe schliesslich in die Heirat seines Neffen Ernesto mit Norina einwilligt und beide mit Geld beschenkt.

Schweizer Klischees

Für seine zweite Inszenierung in Basel hat der italienisch-schweizerische Komiker Massimo Rocchi in Donizettis Opera buffa nach typischen Schweizer Klischees gesucht. Während der Ouvertüre erinnert er in einem Film an frühe Amateuraufzeichnungen von Familienerinnerungen und präsentiert Schweizer Errungenschaften und Produkte. Der Film dient Rocchi vorwiegend dazu, ein lokales Bezugsfeld zu schaffen. Zudem sollte er das Folgende wohl als eine Geschichte aus dem täglichen Leben erscheinen lassen. Das Folgende bringt denn auch typisch Schweizerisches: Mitten auf der Bühne hat Rocchi ein kleines Stöckli im Chaletstil konzipiert. Die Videoprojektionen auf einer grossen Leinwand im Hintergrund (Bildwelt: Sean Wirz) zeigen zunächst eine idyllische Berglandschaft, später einen Palmenstrand und eine Piazza, schliesslich den Rheinfall. Vor dem Chalet befindet sich ein grosser Swimmingpool, der Orchestergraben, in den der Dirigent Giuliano Betta zu Beginn hinuntersteigt.

Für ein ausgereiftes Spiel mit nationalen Klischees bietet Donizettis Vorlage Rocchi in der Umsetzung wenig Stoff. Allerdings versteht Rocchi es, das Publikum ganz nahe an das Geschehen der Opera buffa zu führen. Vor dem Orchestergraben hat er mit Holzbrettern Platz geschaffen, wo die Sänger aus nächster Nähe zu erleben sind. Immer wieder treten sie zum Publikum heran und bauen so die Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum ab. Und hier vermag diese neue Produktion zu überzeugen: Keinen Moment möchte man verpassen, wenn sich Gianfranco Montresor als raffinierter Doktor Malatesta mit seinem ausdrucksstarken Blick an das Publikum wendet. Wenn Deborah Leonetti bei ihrem ersten Auftritt als zwanglos kokette Norina mit ihrem schlanken, geschmeidigen Sopran in jeder Hinsicht verführt. Und wenn sich Andrew Murphy als Don Pasquale stimmlich wie schauspielerisch brillant auf seinen zweiten Frühling freut. Allein Noel Hernández wirkte an der Premiere als leidender Ernesto noch etwas einförmig und stimmlich wenig befreit.

Illusion einer heilen Welt?

Giuliano Betta setzte im Orchestergraben mit der Basel Sinfonietta klare musikalische Akzente. Er ging die Ouvertüre ungekünstelt an und liess das Orchester energisch vorwärtsdrängen, ohne das Tempo anzuziehen. Ein Höhepunkt des Abends war Martín Baeza Rubios fabelhaft warmes, intimes Trompetensolo zu Beginn des zweiten Aktes. Sein Auftritt als Clown mit spitzem Hut führt ein nostalgisches Moment in die Schweizer Bildwelt ein, vielleicht als Reverenz an die Commedia dell'Arte, vielleicht als eine an das Metier von Musikanten. Einmal mehr deutet Rocchis Inszenierung hier viel an, aber wenig aus. Sie beschränkt sich auf laue Hinweise, welche die hiesige Version der Illusion einer heilen Welt nicht zu karikieren vermögen. Eine aussagekräftige, schlüssige Deutung fehlt.