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Gast-Regisseur Armin Petras erzählt seine Version von "Anna Karenina" Das große Sehnsuchtsspiel

Eine Uraufführung und zwei weitere Premieren gab es am Sonnabend im Großen Haus des Theaters Bremen: „Anna Karenina“ nach Leo Tolstoi wurde zum ersten Mal gezeigt. Als Gastregisseur hat das Haus dafür erstmalig Armin Petras engagiert.
26.10.2014, 18:00 Uhr
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Das große Sehnsuchtsspiel
Von Iris Hetscher

Eine Uraufführung und zwei weitere Premieren gab es am Sonnabend im Großen Haus des Theaters Bremen: „Anna Karenina“ nach Leo Tolstoi wurde zum ersten Mal gezeigt. Als Gastregisseur hat das Haus dafür erstmalig Armin Petras engagiert, Schauspielintendant in Stuttgart. Der Regisseur und Autor hat noch nie zuvor ein Musiktheaterstück eingerichtet.

Was für eine wuchtige Geschichte: Eine große Liebende, noch größer in ihrer Verzweiflung und das inmitten eines Panoramas der zaristischen Gesellschaft. Das ist „Anna Karenina“ von Leo Tolstoi, millionenfach verkauft, 2009 zuletzt neu ins Deutsche übersetzt, 1914 zu ersten Mal und 2013 zum bisher letzten Mal verfilmt. Weltliteratur, bis heute. Doch warum eigentlich?

Darüber hat sich Armin Petras, einer der interessantesten deutschen Regisseure und Autor (oft unter dem Pseudonym Fritz Kater) Gedanken gemacht. Er konzentriert sich auf einen Aspekt: die Suche, ja das Gieren nach der immerwährenden Zufriedenheit, symbolisiert in der Liebe, die ein stets über allem schwebendes Glücksversprechen ist. Das ergibt auf der Bühne einen Bilderbogen, in dem Petras das Personal die verschiedenen Aspekte dieser Suche ausprobieren lässt – betextet hat er das Ganze selbst auf beinahe trockene Art, Tolstoi reloaded findet nicht statt. Dem 2008 am Berliner Maxim-Gorki-Theater aufgeführten Stück ist in Bremen das hinzugefügt worden, was vom Komponisten-Duo Thomas Kürstner und Sebastian Vogel als „Drei Atmosphären“ annonciert wird – dazu später.

Petras lässt von Beginn keinen Zweifel daran, dass es ihm nicht um Individuen geht, sondern um Rollen. In der Mitte der Bühne (Gestaltung: Susanne Schuboth) steht eine Holzleinwand auf Streben, die das Geschehen automatisch in zwei räumlich voneinander abgetrennte Spiel-Ebenen teilt und gleichzeitig eine dritte erzählerische herstellt. Auf die Leinwand werden Schwarz-Weiß-Videos projiziert, die die Aktion verdoppeln, verfremden, ergänzen und kommentieren. Das macht auch der Chor in bester Brechtscher Manier. Das Personal splittet sich zudem ab und an auf mehrere Spieler auf – wer bin ich, und wenn überhaupt, wie viele?

Es ist eine Ansammlung von Verzweifelten, die Petras da auf die Bühne stellt. Allen voran natürlich Anna Karenina (Nadine Lehner). Noch nie kam diese Figur derart biestig rüber wie hier. Gelangweilt in ihrer Ehe mit Karenin (Patrick Zielke), probiert sie einfach mal etwas anderes aus – eine Affäre mit dem „Beau aus dem Frauenmagazin“, Wronski (Hubert Wild), für den sie aber nur vorübergehender Zeitvertreib ist. Wronski ist auch der Traummann von Teenie Kitty (Nerita Pokvytyté), die es dann aber mit dem Bauern Lewin (Christoph Heinrich) versucht; wird schon schiefgehen. Gewinner gibt es letztlich keine in diesem großen Sehnsuchtsspiel, das zeigt sich recht klar auch an Annas Schwägerin Dascha (Nathalie Mittelbach), die wie paralysiert in ihrer Ehe mit dem Hallodri Stefan (Martin Baum) ausharrt und am Sympathieträger des Abends, Karenin, den Petras per Video eine Sauftour durchs Bremer Bahnhofsviertel machen lässt. Nicht zur vergessen beider Sohn Serjosha, an dem nur herumgezerrt wird. Als Musiktheater wirkt das alles noch klarer, noch zwingender, als bloßer Sprechtext es vermitteln könnte. Kürstner und Vogel arbeiten stark mit Leitmotiven, die wie in einem Reigen nacheinander durch die Arien mehrerer Figuren mäandern. Ansonsten haben sie, je nach Situation, in die musikgeschichtliche Trickkiste gegriffen; es gibt Anklänge an Barockarien, Operetten- und Oratoriumselemente, hier ein bisschen Romantik, da eine Prise Belcanto, aber nie zu viel – stets werden die Zitate von dissonanten zeitgenössischen Phrasen in Frage gestellt. Fertig ist die Komposition noch nicht: Die Musik sei ein Prozess, der sich während der weiteren Aufführungen noch entwickeln soll, ließen die beiden mitteilen. Die Bremer Philharmoniker unter Clemens Heil hatten dieses Musikkonvolut beeindruckend gut im Griff, was auch für das komplette Ensemble samt Opernchor gilt. Herauszuheben sind Nadine Lehner in der Titelpartie, die ihren Sopran mal schneidend, am Schluss unendlich desillusioniert klingen ließ und Patrick Zielke als Karenin, dessen Bass Abgründe aufschließt. Viel Applaus und Bravos zum Schluss, für die Musik allerdings auch vereinzelte Buhrufe.

Die nächsten Termine: 28. Oktober, 1. November, 19.30 Uhr

Geheiratet wird irgendwie immer: Kitty (Nerita Pokvytyté, links) ehelicht Lewin (Christoph Heinrich, mit Gitarre). FOTO: JÖRG LANDSBERG

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