Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Heilige EinfaltVon Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu
Verdis siebte Oper Giovanna d'Arco kommt ein bisschen in Mode, so wie Luisa Miller vor einigen Jahren, die es ja doch inzwischen ins erweiterte Repertoire geschafft hat, oder auch Stiffelio - wer will schon immer nur La Traviata und Rigoletto sehen? Nicht zuletzt hat Anna Netrebko das Werk in Salzburg gegeben und auf CD verewigt, auch wenn sie damit die Aufnahmen mit der jungen, prallen Tebaldi und Caballé in ihren besten Jahren keineswegs hat vergessen machen können (auf dem grauen Markt und bei YouTube gibt es natürlich noch einiges mehr inzwischen, gewarnt sei bei dieser Gelegenheit vor dem Mitschnitt aus der Opera Wroclawska, der eher in die Hände der Familie und Freunde der Mitwirkenden als auf den internationalen Markt gehört, Anna Lichorowicz ist in der Titelpartie mit ihrem viel zu kleinen, vor Anstrengung flackernden Sopran ebenso überfordert wie Mariusz Godlewski mit seinem unattraktiv timbrierten Tenor, allein Nikolay Dorozhkin hat als Giacomo seine Momente). Ich selber lernte das Stück 2004/2005 an der Vlaamse Opera kennen, vor einigen Jahren hat sich auch das Theater Krefeld-Mönchengladbach dem interessanten Werk angenommen. Beide Opernhäuser waren allerdings so klug, das Werk nur konzertant zu präsentieren, was nach dem Betrachten der Bonner Neuproduktion auch hier die bessere Entscheidung gewesen wäre.
Carlo VII (George Oniani) gesteht der entsetzten Johanna (Jacquelyn Wagner) seine Liebe.
Eine solche szenische Deutung, die muffiger daher kam als drittklassige Passionsspiele und deren Optik an mäßig animierte Computerspiele vom Wühltisch und Kaminfeuer-DVDs erinnerte, hätte auch ein durchschnittlich begabter Literaturkurs einer mittelprächtigen Bonner Gesamtschule zustande gebracht, vor allem auch die völlig unmotivierte Aktualisierung im letzten Teil, wenn Johannas weiteres Schicksal bis zur Heiligsprechung in Stummfilmmanier auf die Leinwand projiziert wird, das Personal plötzlich statt mittelalterlicher (ein wenig nach Karnevalsshop aussehender) Roben Kostüme wie vor hundert Jahren trägt (natürlich muss die allgemeine 2014-"Begeisterung" mitgenommen werden) und schließlich vermeintliche Nachfolgerinnen wir Indira Gandhi bis hin zur jugendlichen Friedensnobelpreistträgerin eingeblendet werden. Pardon, aber das hat tatsächlichen den geistigen Gehalt von Schülerarbeiten, und das kann man nicht schlecht bezahlten Profis nicht durchgehen lassen. Personenzeichnung und -führung suchte man da vergeblich, stattdessen wurde das Bühnenpersonal wie vor hundert Jahren auf der überdimensionalen Treppe und vor den Mauern arrangiert, die eigentlich nichts anderes waren als Projektionsflächen für optische Mätzchen wie sich öffnende und schließende Blüten, verzogene Treppenstufen und andere Peinlichkeiten und kaum Möglichkeiten für echte Bewegung ließen. Wäre dies alles wenigstens noch ironisch gebrochen worden, hätte man sich vielleicht über mangelnden Respekt vor dem gewiss etwas holzschnittartigen Libretto einer sicher nicht perfekten Oper ärgern können, hätte aber wenigstens eine gewisse echte Auseinandersetzung mit der Vorlage erwähnen können, hätte das Ganze nicht als unfreiwillig komisch empfunden. Umso erstaunlicher (und nahezu beängstigend), dass große Teile des Premierenpublikums das szenische Desaster goutierten, ja vor allem ältere Zuschauer geradezu frenetisch applaudierten und sich zu standing ovations hinreißen ließen - quo vadis, Bonner Musiktheater (denn der Fidelio wies ja auch schon in diese unglückliche Richtung)?
Giacomo (Maxim Aniskin) beschuldigt die eigene Tochter (im Hintergrund: Jacquelyn Wagner) öffentlich der Zauberei.
Immerhin, die musikalische Seite entschädigte weitgehend: Da war zunächst die wunderbare Jacquelyn Wagner, die mir bereits als Arabella in Amsterdam so gut gefallen hatte, und die nun auch als Giovanna bezauberte mit ihrem schlanken, aber glänzend fokussierten und an den richtigen Stellen durchdringenden, das Ensemble überstrahlenden Sopran mit völlig mühelos ansprechender, niemals scharfer Höhe, der gebotenen Geläufigkeit, einer hervorragenden Pianokultur und einer tonlichen Schönheit, die ihres gleichen sucht und Mädchenhaftigkeit und Beseeltheit der Titelfigur hervorragend umsetzte. Seit Jahren breche ich eine Lanze für George Oniani, der einmal mehr die Vorzüge seines kraftvollen, aber flexiblen, gesunden Spintotenors in einer Fachpartie zur Geltung bringen konnte und dabei mehr Stimme, Stamina und tenoralen Glanz entfaltete als manch prominenter Kollege, der dieses Fach an den großen Häusern und bei den wichtigen Festivals singen darf. Der seriöse Bariton von Maxim Aniskin kann da zwar vom Timbre her nicht mithalten, aber der Sänger machte vieles mit gestalterischer Sorgfalt und der Verve seines Singens wett. Christian Georg und Martin Tzonev waren ordentliche Stichwortgeber in den kleineren Partien. Die Chöre konnten das im Fidelio vor einem Monat gezeigte Niveau leider nicht halten, das permanente Armeraufen und Augenrollen zog offenkundig zuviel Aufmerksamkeit von der musikalischen Gestaltung ab, so dass es doch das eine oder andere Mal klapperte und man sich ein paar feinere Nuancen jenseits von strahlendem Forte gewünscht hätte. Dabei tat Will Humburg, Verdispezialist seit einigen Jahrzehnten inzwischen, einmal mehr alles, um die Mitwirkenden zu motivieren und von seinem stringenten, spannenden, glutvollen, aber nie reißerischen Konzept zu überzeugen (zu dem nicht zuletzt gehörte, dass er die Sänger in Cabaletta-Wiederholungen die Gesangslinie dezent variieren und ausschmücken ließ) - die Bonner Intendanz täte gut daran, ihn als feste Größe für die geplante Reihe von Inszenierungen früherer Verdiopern zu verpflichten.
Johanna (Jacquelyn Wagner) wird verbrannt.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühne
Licht
Kostüme
Mitarbeit Bühne
Choreinstudierung
SolistenGiovanna d'Arco Jacquelyn Wagner
Carlo VII
Giovannis Vater Maxim Aniskin
Delil,
Talbot,
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