"Siegfried" in Linz: Vom Prekariat in die Hochfinanz

(c) Clemens Fabry
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Regisseur Uwe Eric Laufenberg überholt mit Wagners "Siegfried" die (All-)Gegenwart von Internet und Bankwesen. Musikalisch reüssiert vor allem Matthäus Schmidlechner als prägnanter Mime. Behäbig und stumpf wirkt hingegen Lars Cleveman als Siegfried.

„Victory“ meldet der Bildschirm: Auf Level 67 hat Siegfried den Drachen besiegt – und zwar wirklich in einem Computerspiel, dessen eindrucksvolle Grafik wir als eine von zahlreichen die Bühne füllenden Projektionen (Video: Falko Sternberg) miterleben. Wichtiger nämlich als das Schwert Nothung ist für den Erfolg des eigensinnigen und doch so leicht manipulierbaren Helden das, was der Wanderer anlässlich der Wissenswette zurückgelassen hat: ein futuristisches Tablet mit Informationen über die Götter. Bilder der oberen Zehntausend, Gipfeltreffen, Putin und Obama, Polizeigewalt gegen Demonstranten, Nuklearraketen – das erregt das Interesse des Bier saufenden, spätpubertären Couch-Potato mit den blonden Dreadlocks.

Nach der Weltkriegs-„Walküre“ befinden wir uns im Chaos nach einer Naturkatastrophe (Flut? Tornado? Bühne: Gisbert Jäkel), und das Ambiente würde treffliches Sozialpornomaterial liefern: Mime mag zwar seiner eigenen mörderischen Agenda folgen, davon abgesehen aber erleben wir einen allein- und natürlich antiautoritär erziehenden Vater der 68er-Generation. Er kocht, putzt, strickt mit Hingabe – und trotzdem oder gerade deshalb tanzt ihm der Junior auf der Nase herum. Matthäus Schmidlechner, der Star dieses Premierenabends, spielt und singt den gar nicht zwergenhaften Loser mit hellstimmiger, nie plump karikierender Präzision – eine Glanzleistung, neben der Lars Clevemans Siegfried umso behäbiger und stumpfer wirkt.

Ein Haus wie Dagoberts Geldspeicher

Immerhin steht der nicht mehr junge Schwede die Partie durch, kann auch am Schluss noch Elena Neberas wackelnder Brünnhilde in der Höhe Paroli bieten, obwohl in Mittellage und Tiefe bei schlampiger Diktion oft nur raue, schwache Töne kommen.

Gleichsam aus dem Internet holt sich dieser Rabauke also das Schmiede-Know-how, ganz so, als ginge es um eine Rohrbombe – um dann mit dem Sieg über Fafner radikal umgekrempelt zu werden. Dessen Behausung gibt sich mit griechischen Säulen tempelartig und erinnert an Walhall aus dem „Rheingold“, ähnelt jedoch noch mehr Onkel Dagoberts Geldspeicher: Dominik Nekel (Fafner) entpuppt sich als Bankdirektor, der hinter den Kulissen agiert hat wie der Zauberer von Oz. Siegfried beerbt ihn, wird in einen Anzug gesteckt, von einer großen Belegschaft mit Sekt begrüßt, interviewt ... Gemeinsam mit den Waldvogelszenen der schwächste, allzu konkret und überspitzt interpretierte Abschnitt in Uwe Eric Laufenbergs bisher wohl anfechtbarstem Teil seiner Linzer „Ring“-Deutung. Wenig später hat diese offenbar ihren historischen Scheitelpunkt erreicht. Wenn der frischgebackene Finanzmagnat die Neidhöhlen-Bank wieder verschlossen hat und sich „langsam wie ermüdet“ umwendet, so Wagners Regieanweisung, dann legt Dennis Russell Davies am Pult des zuerst unkonzentrierten, am Ende opulent tönenden Bruckner-Orchesters plötzlich eine lange Generalpause ein – und die Übertitel vermelden in Kursiv: „Jetzt beginnt die Zukunft.“ In dieser bezwingt Siegfried die Naturgewalt des Feuers mit digitalen Mitteln: Nullen und Einsen rattern in „Matrix“-grünen Kolonnen dort, wo Wotan zuvor nochmals den Brand groß zum Lodern gebracht hat. Stimmlich agierte Gerd Grochowski, dem die sonore Erda Bernadett Fodor nochmals die Frauen seiner Vergangenheit vor Augen führt, auf Sparflamme: ein vor der Zeit müd gewordener Wanderer.

Noch am 15.11, 7., 25.12., 17.1.: Premiere „Götterdämmerung“: 7.2.; www.landestheater-linz.ats

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2014)

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