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"Idomeneo" mit Hai und Hells Angels

Mit Buhs, aber auch mit Bravo-Rufen ist in Covent Garden das England-Debüt des österreichischen Regisseurs Martin Kusej zu Ende gegangen.

"Idomeneo" mit Hai und Hells Angels
"Idomeneo" mit Hai und Hells Angels

Sein dreieinhalbstündiger "Idomeneo" spart nicht mit aktuellen Bezügen und starken Bildern. Einhellig bejubelt wurden die Sänger und Dirigent Marc Minkowski, der ebenfalls zum ersten Mal am Royal Opera House arbeitete.

Es war ein interessantes Fernduell, das zwischen Wien und London ausgetragen wurde: Erst vor wenigen Wochen hat der Operndirektor von Covent Garden, der junge Däne Kasper Holten, Mozarts "Idomeneo" an der Wiens Staatsoper inszeniert - eine statische, vage gehaltene Interpretation, die vor allem auf Repertoiretauglichkeit Wert legte, lautete der Tenor der Kritik. Der Kärntner Martin Kusej, Intendant des Münchner Residenztheaters mit viel Opernerfahrung, ging da im britischen Traditionshaus viel mutiger zu Werke.

Von der ersten Szene an macht Kusej klar, dass er sich weniger auf den Trojanischen Krieg bezieht, sondern ein menschliches Gewalt- und Sadismus-Potenzial zeigt, das in der heutigen Berichterstattung von mannigfaltigen Kriegsschauplätzen omnipräsent zu sein scheint. Auf Kreta herrscht nicht nur ein Sauwetter (dass es in zwei Szenen heftig regnen muss, scheint nicht zwingend), sondern auch eine Soldateska, die mit den gefangenen Trojanern wenig zimperlich umgeht.

Während diese Szenen zwar auch beim Zusehen wehtun, aber erwartbar waren, hat der Regisseur im Umgang mit den Göttern eine überraschende Interpretation erarbeitet: Der Hohepriester (Krystian Adam) ist ein deutlich politisch agierender Pope mit Rasputin-Anklängen, der über eine rüde, langhaarige Jüngerschaft verfügt, die mit den Hells Angels mehr zu tun hat als mit Gottesdienern. Wie die geknechtete Bevölkerung von ihnen gezwungen wird, sich dem Poseidon-Kult zu unterwerfen und einen hereingetragenen veritablen Hai anzubeten, ist eine der radikalsten und gelungensten Szenen in einer Regie, die sich sonst stark am Vater-Sohn-Konflikt abarbeitet.

Kusej und Minkowski haben den Idamante nicht als weibliche Hosenrolle, sondern mit dem argentinischen Counter-Tenor Franco Fagioli besetzt. Dass er dem geliebten Vater Idomeneo als Rivale in die Quere kommt, und dieser seinen Sohn am Ende vor allem deshalb zu opfern bereit ist, weil er ihm dadurch bei der gefangenen schönen Trojaner-Prinzessin Ilia nicht mehr im Weg steht, wird durchaus glaubhaft. Leider singt der auch an der Staatsoper engagierte US-Tenor Matthew Polenzani die Titelpartie deutlich besser als er sie spielt.

Während bei den Männern Stanislas de Barbeyrac als hoch präsenter, verzweifelnder Arbace zu Recht den meisten Applaus einheimste, teilten sich bei den Damen die Britin Sophie Bevan als Ilia und die Schwedin Malin Byström als Elettra den Jubel ebenso verdient wie schwesterlich: zwei höchst unterschiedliche Rollenzeichnungen mit körperbetontem Spiel und makelloser Stimmführung. Ihr auch in den Höhen sicherer Gesang passt hervorragend zum scharf gezeichneten Mozart-Klang, den Minkowski aus dem Orchester des Royal Opera House holt - um vieles akzentuierter und prägnanter als das Staatsopernorchester unter Christoph Eschenbach im Wiener "Idomeneo".

Nachdem das Volk den Herrscher gestürzt (der Hohepriester dagegen hätte den Ausgang des Machtkampfs zwischen Vater und Sohn tatenlos abgewartet) und der eingekerkerter Idomeneo sein Schicksal beklagt hat, ist es noch lange nicht aus. Da packt der Dirigent zum Abschluss noch die ganze Ballettmusik drauf. Kusej arrangiert dazu auf der Rundbühne von Annette Murschetz, die mit einer Abfolge allzu vager Innenräume nicht zu den prägenden Elementen des Opernabends zählt, lebende Bilder.

Diese zeigen: Allzu viele Hoffnung auf das neue Herrscherpaar sollte man sich nicht machen. Und auch die übernächste Generation wird nichts daraus gelernt haben. "Utopias fade. Rebellions decay. The rulers remain", lässt Kusej einblenden. Und schreibt den Zuschauern eine bittere Botschaft ins Stammbuch, die sie vielleicht noch im Gedächtnis haben, wenn sie nach dem Opernbesuch die Abendnachrichten einschalten.

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