Graz - Wie schafft man es, ein Stück Unterhaltungstheater schmackhaft zu machen, dessen Handlung und Dialoge so gar nicht mehr zeitgemäß sind, ohne seinen Anspruch zu verlieren? Keine neue Frage. Olivier Tambosi, vielgeschätzter Regisseur der prallen Ideen und saftigen Umsetzungen, dabei durchaus kritisch und politisch, geht Die lustige Witwe - einst prickelnd erotische, von der Spannung zwischen Zwang und Freiheit lebende Operette - in der Oper Graz mit optischer Opulenz, aktuellen Anspielungen und verbaler Vorsicht an. Und gibt den Ball oft ans Publikum ab.

Dabei hilft ihm die spektakuläre Art-déco-Bühne von Andreas Wilkens, die über den Orchestergraben hinweg in den Zuschauerraum reicht; Orchester und Dirigent Marius Burkert befinden sich im Hintergrund: großartig optische, problematische akustische Wirkung. Der Operette wird so ihr wichtigstes Atout geraubt - die Musik. Solisten sind bisweilen nicht zu hören; Lehárs graziöse Instrumentierung kommt kaum zur Geltung.

Es ist der Tanz, der die Handlung der 1905 uraufgeführten Lustigen Witwe nicht nur begleitet, sondern im Wesentlichen ausdrückt: Marsch, Galopp, Mazurka, Walzer. Jeder Akt ist ein Ball, und Chor und Tanzkompanie (Choreografie Stephan Brauer) haben im verschwimmenden Bühnen-Zuschauerraum reichlich zu tun. Diese Bühne ist dazu angelegt, das Publikum miteinzubeziehen, die Auftritte erfolgen durch den Zuschauerraum, die Grisetten fordern Herren aus den Sitzreihen zum Tanz auf. Beim "Weibermarsch" sollen die Damen im Publikum eine neue Strophe singen.

Dass die Operette als Unterhaltungsgenre einer vergangenen Epoche Selbstreflexion braucht, weiß Tambosi und legt sie Njegus in den Mund: Mit treuherzigem Charme plaudert Publikumsliebling János Mischuretz über das "Tschuschendeutsch", erwähnt politisch unkorrekte Formulierungen des Originals und Hitlers Präferenz der Lustigen Witwe.

Das Dilemma der Operettenregie zeigt sich aber auch in der Personenführung. Die temperamentvolle Christiane Boesiger, als "moderne" Frau konzipiert, verkörpert Hanna Glawari und beeindruckt durch stimmliche Vielseitigkeit. Immer schwarz gekleidet wirkt sie jedoch so ernsthaft wie ihr angeblich leichtlebiger Danilo brav.

Bariton oder Playboy

Ivan Orescanin verfügt über einen angenehmen Bariton, aber nicht über die Ausstrahlung eines Playboys. Eine Spur zu ordinär muss sich Sieglinde Feldhofer als Valencienne geben. Tenor Mark Milhofer als ihr Verehrer Rosillon macht als Tänzer gute Figur. Götz Zemann ist ein souveräner Baron Zeta. Das Publikum sah über die Brüche hinweg und applaudierte kräftig. (Beate Frakele, DER STANDARD, 10.11.2014)