Graz: Barockoper wie auf Powerpoint

„Xerxes“
„Xerxes“(C) Oper Graz/ Karl Forster
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Stefan Herheims fantasiereiche Inszenierung von Händels „Xerxes“ kam nun das erste Mal nach Österreich.

Der Grund für den Erfolg des wiederentdeckten Genres Barockoper in den vergangenen beiden Jahrzehnten ist schnell erklärt: Sind die in der Klassik und danach entstandenen Opern von Mozart bis Strauss aufgebaut wie ein Film, dessen Handlung sich kontinuierlich entwickelt, gleicht die Barockoper einer atemlos jagenden Bilderfolge im Stil einer Powerpoint-Präsentation – auf Mausklick wechseln Stimmungen und Emotionen so schnell und bizarr wie nur möglich. Genau diese digitale Ästhetik trifft Stefan Herheim: Die fantasieüberbordenden Bilder, die ihm zu „Xerxes“ einfielen, sind einzigartig; verständlich, dass Graz nach Berlin, Düsseldorf und Bergen schon die vierte Station dieser Inszenierung ist.

Freilich zeigt sich Händel in dieser späten Oper bereits weit entfernt von seinem gewohnten operndramatischen Inspirationsfeuer, und doch gelingt es Herheim, abgesehen von einigen Längen im zweiten Teil, das zuletzt heftig akklamierende Publikum szenisch den ganzen Abend hindurch zu fesseln. Dafür sorgen auch die fantastischen Bühnenbilder von Heike Scheele, die ein prall lebendiges London von 1738 vor Augen führen und den illusionistischen Charakter der Barockoper hinreißend illustrieren. Witz, Ironie, Tempo, drastische Körperlichkeit und einfach hochprofessionelle, abwechslungsreiche Regiearbeit machen den Abend zum Lehrstück gelungener Barockrezeption, vielleicht ein wenig auf Kosten der sorgfältigen Auslotung tragischer Emotionen und pathetischer Affekte.

Alte-Musik-Experte Konrad Junghänel entlockt in kundiger Stilkenntnis dem erwartungsgemäß erhöht postierten Grazer Philharmonischen Orchester eine Fülle an rhetorischen Figuren, lässt gelöst musizieren und verzichtet glücklicherweise auf jede verkniffene Darstellung der „integralen Werkgestalt“, eigentlich hätte man noch viel mehr Musik guten Gewissens streichen können. Die oftmals umgestellten Arien und Rezitative werden abwechselnd auf Italienisch und Deutsch gesungen, ein konsumentenfreundliches Konzept, das auch tatsächlich aufgeht.

„Täxt“ voll von vulgärem Berlinern

Zermürbt von den ständigen „Übernahmen“ von deutschen Bühnen muss man allerdings als österreichischer Opernfreund einmal mehr mit zusammengebissenen Zähnen hinnehmen, dass nicht nur Elviros Rolle, sondern der ganze „Täxt“ von schauerlichen Piefkismen und vulgärem Berlinern nur so strotzt, das ist arroganter sprachlicher Kolonialismus, Urheberrechte hin oder her!

Alle fünf Protagonistinnen gaben auf der Bühne ihr zu Recht gefeiertes Rollendebüt: Nach Graz zurückgekehrt beleuchtet Stephanie Houtzel sämtliche widerstreitende Emotionen des Xerxes mittels ihres beeindruckenden stimmlichen Umfangs so facettenreich wie souverän, Dshamilja Kaiser als Arsamenes beschert dem Abend seine herausragend-berührenden vokalen Glanzpunkte. Glöckchenhaft hell und raffiniert kokett gestaltet Margareta Klobučar die heiß umworbene Romilda, Tatjana Miyus als Atalanta und Xiaoyi Xu als Amastris changieren virtuos zwischen flackernder Eifersucht und dem entschlossenen Kampf um das eigene Glück. Kurz: ein gelungenes „funny baroque event“ für uns Mausklick-Kinder der digitalen Welt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2014)

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