Händels "Rinaldo" an der Bonner Oper Im Wirbelsturm der Gefühle

Bonn · Geschäftige Herren in grauen Anzügen und Aktenkoffern in den Händen lösen in heutigen Aufführungen barocker Opern leicht einen kaum zu unterdrückenden Gähn-Reflex aus. Zu oft schon meint man diese aktualisierende Regie-Theatermasche gesehen zu haben.

 Nicht immer sind Armida (Malin Hartelius) und ihr Geliebter Argante (Giorgos Kanaris) ein Herz und eine Seele.

Nicht immer sind Armida (Malin Hartelius) und ihr Geliebter Argante (Giorgos Kanaris) ein Herz und eine Seele.

Foto: Thilo Beu

In Bonn, wo jetzt eine 2008 erstmals in Zürich zu sehen gewesene Produktion von Georg Friedrich Händels "Rinaldo" Premiere hatte, ist das ein bisschen anders.

Denn Regisseur Jens-Daniel Herzog, der hier auf ein Konzept des ursprünglich für die Inszenierung vorgesehenen, damals aber erkrankten Kollegen Claus Guth aufbaut, hält gleichwohl am Geist der barocken Zauberoper fest, spart nicht an Überraschungen und genialischen szenischen Einfällen. Er lässt Aktenkoffer tanzen und zu Rinaldos "Venti, turbini" einen heftigen Wirbelsturm über die eifrig rotierende Drehbühne fegen - ganz ohne Windmaschine.

Es reicht, dass sich die Statisten an Mauern, Rolltreppen klammern, und bei den immer heftiger werdenden Sturmböen, die der auf perkussive Effekte setzende Dirigent Wolfgang Katschner im Orchestergraben entfacht, zunehmend waagerechte Positionen einnehmen, sich hinter Sofas verstecken und kräftig an Lampen und andern Gegenständen schütteln, als sei's der Wind.

Was auf der Bonner Opernbühne sich unter Geschäftsleuten in einer Flughafen-Lounge abspielt (Ausstattung: Christian Schmidt), passiert in Händels 1711 uraufgeführter Opera seria während der Kreuzzüge: Vor Jerusalem liegt das christliche Heer Goffredos, der seinen Bruder Eustazio und seine Tochter Almirena an seiner Seite hat und natürlich den mutigen Titelhelden Rinaldo, der in heftiger Liebe zur Tochter des Heerführers entbrannt ist.

Mit ihren Gegnern haben die Christen kein leichtes Spiel, schon weil Argante, der König von Jerusalem, mit der Zauberin Armida unfairerweise auch auf übernatürliche Hilfe zurückgreifen kann. In der Inszenierung tragen die bösen Sarazenen ebenfalls Anzüge, zur besseren Unterscheidung von den Christen freilich auch Kopfbedeckungen. Eine politische Botschaft hat dieser "Rinaldo" dennoch nicht. Die Bühne ist für Herzog kein Abbild der realen, bedrückenden Ereignisse im Nahen Osten. Man erlebt Slapstick und Satire, die mitunter tarantinohaft schwarz eingefärbt sind.

Aber auch Satire kann Figuren ernst nehmen. Wenn etwa Rinaldo seiner unter ordentlichem Einsatz von Bühnennebel entführten Geliebten nachtrauert und seine Umgebung wie in Trance wahrnimmt (was Herzog mit zeitlupenhaft verlangsamten Bewegungen der Statisten illustriert). Die in Hosenrollen erfahrene Susanne Blattert sang Rinaldos Arie "Cara sposa" an dieser Stelle mit viel Herzblut, wie sie auch die virtuosen Koloraturen ihrer Partie vorbildlich meisterte. Sumi Hwang modellierte als Almirena das tränenreiche "Lascia ch'io pianga" mit schön ausbalancierter, reiner Sopranstimme und ergreifendem Ausdruck. Dass sie auch tanzen kann, durfte Sumi Hwang schon gleich zu Beginn zeigen.

Überhaupt ist es in dieser Produktion ein Vergnügen, den Solisten zu lauschen. Kathrin Leidigs Mezzostimme adelte den Goffredo; dessen Bruder Eustazio lieh Jakob Huppmann seine bewegliche Counterstimme. Als Argante war Giorgos Kanaris ein Ereignis, weil er mit größtmöglicher Spiellaune und herrlichem Bariton ein perfektes Rollenprofil schuf. Die für die erkrankte Netta Or eingesprungene Sopranistin Malin Hartelius, die schon in Zürich die Armida gesungen hatte, passte perfekt ins eingespielte Ensemble. In den kleineren Partien gefielen Charlotte Quadt, Nina Unden, Vardeni Davidian, Brigitte Jung und Josef Michael Linnek.

Das klein besetzte Beethoven Orchester wurde von Katschner ordentlich gefordert: Rasche, gelegentlich die Grenze des Spielbaren streifende Tempi und ungewohnte Farben waren zu vernehmen, mit Blockflöten und einer vor allem rhythmisch mitreißenden Continuo-Gruppe. Am Ende gab's lang anhaltenden Jubel für alle.

Weitere Termine: 4., 6., 12., 21. und 27. Dezember; 4., 18. und 30. Januar 2015. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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