Calixto Bieito bedient sich auch in seinem "Otello" der Bildersprache der Mediengesellschaft. Auf der Basler Bühne rücken die Massen der stacheldrahtbewehrten Grenze bedrohlich nahe.

Foto: Hans Jörg Michel

Basel - Calixto Bieito ging es bei seinen Operninszenierungen immer schon um eine Haltung, um Inhalte und nicht zuletzt um die Musik. In den ersten Jahren seiner internationalen Karriere war das - in der Wahrnehmung eines Teils des Publikums und der Kritik - meist von einer Ästhetik der Gewalt überlagert. So ließ er Mozarts Entführung in Berlin mit einem Amoklauf enden. Auch bei Verdis Trovatore trieb er in Hannover mit Folterszenen Zuschauer aus dem Saal. Doch Bieito gehört zu den Erben eines ambitionierten realistischen Musiktheaters.

Dabei bedient er sich der Bildersprache unserer Mediengesellschaft. Der Katalane ist längst zu einem Meister seines Fachs geworden, der einer zusätzlichen Aufmerksamkeit durch exzessive Gewaltorgien nicht bedarf. Zu seinen anderen Arbeiten in Basel (Don Carlo, Aida und Lulu) gesellt nun der aktuelle Otello. Mit Otello hatte hier einst der aktuelle Bayreuther Ringmatador Frank Castorf sein Operndebüt gegeben.

Den Mohren, der noch bei Shakespeares Vorlage zum Untertitel gehört, lässt Bieito einfach weg. Aber nicht, weil die Oper genauso gut Jago heißen könnte oder die unsinnige Blackfacing-Debatte auch in der Schweiz neue Blüten getrieben hätte. Der Lette Kristian Benedikt bleibt als Otello ungeschminkt. Aber seine Seele ist schwarz. Wie die von Jago und den anderen gleich noch mit.

Bei Bieito wird die patriarchalische Machtausübung gegenüber Frauen als ein genetischer Defekt auch unserer Gegenwart diagnostiziert. Zwar rühmt sich Jago, dass das Gift der Eifersucht, das er seinem verhassten Konkurrenten verabreicht hat, Wirkung zeigt, als Otello in aller Öffentlichkeit die Maske des Zivilisierten fallen lässt. Doch es ist vielmehr die frauen- respektive menschenverachtende Grundstimmung, die hier ausbricht. Otellos spektakulärer Ausraster nach der Ankunft des venezianischen Gesandten wird so zu einer Schlüsselszene.

Keine Hilfe

Traumatisiert durch eine brutale Vergewaltigung in der Ehe, kann sich Desdemona kaum auf den Beinen halten. Als sie dann auch noch gedemütigt und von Otello bespuckt wird, bewegt sich keine Miene und rührt sich keine Hand, um ihr zu helfen. Kein Gesandter, kein Cassio, kein Mann aus dem allenfalls entsetzten Unterschichtenvolk.

Dabei spielt Bieito diesmal bewusst mit einer geradezu oratorischen Erstarrung mitten im emotionalen Orkan der Musik. Diese Lähmung wirkt umso beklemmender, als die Bühne von Susanne Gschwender mit dem Werft-Ambiente hinterm Wellblechtor und einem riesigen Baukran ohnehin schon trostlos und kalt ist.

Ehrenmörder

Wenn die Massen am Anfang gefesselt und hinter Stacheldraht bedrohlich näher rücken oder von den Herrschenden wie beim Formel-1-Rennen mit Champagner bespritzt werden, mag man an den zynischen Umgang mit Flüchtlingen von heute denken. Und wenn einer von ihnen am Kran erhängt wird, mag das den Blick vom Zypern Verdis sogar bis ins Teheran von heute weiten.

Otello ist der Mann (ganz gleich welcher Hautfarbe), der zum Ehrenmörder wird. Und nur im allerletzten Moment keimt ein Fünkchen Mitgefühl mit ihm, wenn er nach dem Mord an Desdemona stirbt. Dieser Otello stirbt auf dem Ausleger des Krans über den Köpfen des Publikums. Vermutlich an einem Schlaganfall, ausgelöst durch den Schock der Selbsterkenntnis.

Im Graben des Theaters Basel hält der Basler Orchesterchef Gabriel Feltz die Balance zwischen packender Zuspitzung und individueller Verzweiflung. Ein intensiver Simon Neal führt als Jago das Ensemble an, Svetlana Ignatovich steigert ihre Desdemona zu einem faszinierenden Finale, der mitunter etwas angestrengte Kristian Benedikt geht für seinen Otello bis an seine Grenzen. (Joachim Lange, DER STANDARD, 7.1.2015)