Ich, Ich, Ich

Das Luzerner Theater präsentierte im Verkehrshaus Luzern die Faust-Adaption «Cantos de Sirena» der katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus.

Tobias Gerber
Drucken

Finster sind die Zeiten, in denen der Mensch mit seinem Drang nach unbegrenzter Wirkungsmacht nicht einmal mehr mit dem Teufel paktieren will, sondern nur noch im egomanischen Bündnis mit sich selber zur vermeintlich ewig währenden Schaffenskraft findet. Als solch dunkle, vom Machbarkeitswahn des Einzelnen getriebene Epoche zeichnet die katalanische Theatergruppe La Fura dels Baus in ihrem Musiktheater «Cantos de Sirena» im Verkehrshaus Luzern unsere Gegenwart. Die von Carlus Padrissa entworfene Koproduktion des Luzerner Theaters mit der Oper Köln unternimmt als kritische Parabel den Versuch einer zeitgenössischen Faust-Adaption.

Laufsteg zwischen Tribünen

Einem Laufsteg ähnlich verläuft die Bühne zwischen zwei sich gegenüberstehenden Tribünen, an ihrer Kopfseite ist sie durch ein Orchesterpodium begrenzt. Die räumliche Anlage hat ihren Reiz, verlangt sie doch vom Zuschauer, sich von seiner Position aus mit dem erschwerten Überblick über das Geschehen zu arrangieren. Problematischer ist es auf der musikalischen Ebene: Die Distanzen zwischen Orchester und szenisch agierenden Sängern sind oft sehr weit, und die Kompositionen drohen bisweilen auseinanderzufallen: in eine Solostimme im einen Ohr und ihre instrumentale Begleitung im anderen. Dass das Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung von Howard Arman sich erst im Verlauf des Abends als Klangkörper wirklich formiert, trägt dazu bei. In den ersten beiden der insgesamt sieben Teile des Stücks agiert das Orchester sehr verhalten und vorsichtig.

Dies wirkt sich für die Musik, die zum einen Teil von Howard Arman komponiert ist, zu einem anderen aus bekannten Arien von Monteverdi bis Offenbach besteht, auf zwei Ebenen unvorteilhaft aus: Zum einen sind die Feinheiten und der Witz von Armans Kompositionen, die als Zwischenteile zwischen den Arien musikalisch oftmals bei diesen anknüpfen und sie in eine andere Richtung führen, nur schwer erkennbar; zum andern sind die Arien so bekannt, dass eine nicht ganz sicher wirkende Interpretation sich umso ohrenfälliger bemerkbar macht. Auch die Arrangements der Arien von Howard Arman für eine Art «zeitgenössisches Continuo-Ensemble» (Arman), das etwa Akkordeon, Gitarre und Harfe umfasst, kommen wenig zur Geltung. Für einen starken Gegenpart sorgen die Frauenstimmen, die mit Marie-Luise Dressen (als weiblicher Faust «Fausta»), Carla Maffioletti und Stella Motina toll besetzt sind. Ob kopfüber, rotierend oder bis zum Hals im Wasser: Da wird gesungen, präzise, sonor und farbenreich, und Carla Maffioletti sorgt in Offenbachs «Les Oiseaux dans la charmille» mit souverän-schalkhaften Koloraturen für einen Höhepunkt der Aufführung.

Kraft des Kitschs

Gegenwartskritik ist risikoreich. Das laufende Geschehen ist oftmals allzu nah, um es überblicken zu können. «Cantos de Sirena» macht es sich mit seinem gegenwartsbezogenen Faust leider sehr einfach. Das selbstverliebte Streben der Hauptfigur nach dem eigenen Ich als Schöpfer und Kunstwerk zugleich zeichnet eine zu simple Welt. Die Macher der «Cantos» verkennen mit der direkten Gegenüberstellung von Mensch und Technik die Komplexität wirklicher Verhältnisse. Dass sich der Anspruch, unsere Gegenwart kritisch zu reflektieren, in seinen ästhetischen Strategien zentral auf das lustvolle Wiederhören bekannter Opernarien stützt und dass ein zur Frau gewordener Faust schliesslich durch einen misslungenen Geschlechtsakt aus der Verblendung zurück zum Natürlichen findet (allerdings zu spät), zeugt vor allem von der verführerischen Kraft des Kitsches. Ein Sieg der Technik wäre durchaus wünschenswert gewesen: in Form der Klangmaschinen von Roland Olbeter, die zu eigentümlich fremd-vertrauten Akteuren werden. Zusammen mit Tanz, Technik, Feuer und Wasser dienen sie aber vor allem dem farbenfrohen Bühnenspektakel, dem es – so lässt das begeisterte Publikum vermuten – offenbar gelingt, einen mageren Inhalt ästhetisch zu überzuckern.