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Barockoper am Theater Basel
"Médée" rächt, mordet und sät Wahnsinn

Geschrieben hat Marc Antoine Charpentier seine Oper "Médée" über die liebende, rachsüchtige, mordende Medea einst für den Hof Ludwigs XVI. Das Theater Basel hat die Oper neu einstudiert - mit originalklanggetreuer Informiertheit und Verve.

Von Frieder Reininghaus | 16.01.2015
    Ganz in Weiß gewandet und mit historisch inspirierten Kniebundhosen spielen die Mitglieder des La Cetra Barockorchesters. Sie tun dies unter der Leitung von Andrea Macon mit originalklanggetreuer Informiertheit und Verve. Sie erinnern an die Delikatesse und die musikalische Prachtentfaltung auch auf musikalischem Feld am Hofe Ludwigs XIV. – Charpentier hat sorgfältig instrumentiert und die Rezitative sehr genau ausgeschrieben. Sie schaffen durch differenzierte Übergänge allemal szenenspezifische Affektlagen.
    Die mit der hochfeudalen Vergangenheit fermentierten Instrumentalisten musizieren in einer seitwärtigen Vertiefung der in acht Etagen bzw. Halbetagen sich erhebenden Architektur. Diese gewährt Einblick in ein zeitlos modernes Treppenhaus – eine Bühnenbaumaßnahme, die sich seit vielen Jahren großer Beliebtheit erfreut. Die Stiegen flankieren einen Aufzug, der als Transporteur höherstrebender Musiktheaterbotschaften eigentlich schon seit einigen Jahren wieder out ist. Im Keller, erreichbar durch den verwaisten Orchestergraben, wohnt Médée. Die war - so die Vorgeschichte - nach dem blutigen Abgang aus ihrer Heimat im Kaukasus mit dem Helden Jason an dessen Hof in Nordgriechenland geflüchtet, von dort nach blutigen Streitereien um dessen Thron weiter auf den Peloponnes im Süden.
    Hochdramatische Ausbrüche wie in einer schlechten TV-Vorabendserie
    Dort also muss man sich Raimund Bauers Architektentraum angesiedelt denken und sich sagen, dass der geldgebende IWF und die EZB solide investiert haben. Die Militärs, die da auf verschiedenen Ebenen agieren, könnten sich bei jeder aktuellen Nato-Tagung sehen lassen. Durch Bettina Walters übrigen Kostüme wird die Handlung optisch jenen Stories angenähert, die in der "Bunten" und "Gala" dominieren – dem hochglanzpolierten Alltag der Schönen und Reichen, die auf Europas Thronen verblieben. Einen Ehebrecher der elegantesten Art gibt Anders J. Dahlin. Der smarte Tenor hat nichts Martialisches, kein unangenehmes Metall in der Stimme. Er klagt in gepflegtestem Französisch, dass er womöglich glücklich wäre, wenn er weniger geliebt würde. Das mag man ihm gerne glauben.
    Weniger plausibel erscheint die szenische Charakterisierung der Partnerin Médée, die sich Jason wegen seiner neuen Flamme Creuse vom Hals schaffen will. Magdalena Kožená gelingen stimmlich Momente der anrührenden Innigkeit und Intensität, wenn sie das Leid der Betrogenen und zur Obdachlosigkeit Verurteilten in gedämpfterer Tonlage klagt. Die hochdramatisch gemeinten Ausbrüche aber wirken wie für eine schlecht geprobte TV-Vorabendserie produziert. Dass ihr vom vielgeliebten Superhelden das Hochzeitskleid für "die Neue" abgeschwatzt wird, ist nicht nur eine psychoanalytisch aufschlussreiche Volte des Librettos, sondern für die partytaugliche Creuse tödlich – das von Médée ins Futter eingearbeitete Gift erhitzt sie über das zuträgliche Maß. Regisseur Nicolas Brieger lässt zum jämmerlichen Verenden der jungen Schönen Rauchwölkchen aus dem Fummel steigen.
    Mit der Tragödie der Medea wäre weit mehr anzufangen
    Das war dann aber schon der zündendste Einfall der Inszenierung. Die macht es sich allzu einfach mit der Übertragung der durch Charpentier an den Zenit des französischen Feudalabsolutismus gerückten altgriechischen Tragödie in die Kostüme der heutigen Royals. Matt bleibt der Widerschein des großen Feuers, das die Gewalttäterin im Palast legt, und das schale Gefühl, dass mit der Tragödie der Medea gerade auch in dieser musikalischen Gewandung weit mehr anzufangen wäre.