„Tote Stadt“: Mummenschanz der Projektionen

„Toter Stadt“
„Toter Stadt“(c) Oper Graz/ Werner Kmetitsc
  • Drucken

Regisseur Johannes Erath scheitert mit seiner Engführung von Psychoanalyse und den Traumwelten von Korngolds „Toter Stadt“: Öde, poesielos, verbraucht.

Haftet der ,Toten Stadt‘ womöglich etwas Kitschiges an?“ So fragt in banger Geducktheit vor dem aktuellen ästhetischen Mainstream der Dramaturg in seinem Programmheftessay, und es war zu erwarten: Mit zwei so bewährten wie verstaubten Mehrzweckwaffen aus dem Fundus der Psychoanalyse, nämlich dem Fetisch (dem blonden Haar Maries) und dem Motiv des Doppelgängers bzw. der Doppelgängerin, wird Korngolds Oper in eisig-aufgeklärterer Gründlichkeit jede poetische Schwingung ausgetrieben. Die Protagonisten der Handlung erscheinen meistens in geklont vielfacher Ausführung, Brigitta und Marietta drehen sich in einem vollends undurchschaubaren Projektionskarussell, das gewohnte Who's who-Rätselraten kann beginnen, man fühlt sich unfreiwillig in eine Dschungel-Realityshow versetzt: Ausstieg, trotz mancher starker Bilder, leider unmöglich!

Ganz besonders „im 21. Jahrhundert angekommen“, wie man sich im einschlägigen Jargon auszudrücken pflegt, sind erwartungsgemäß die Gauklerszene (das Ständchen des Pierrot wird zu einer peinlich unerotischen Latex-Transen-Show), und die Fronleichnamsprozession mutiert zu einem flagellantischen Maso-Festival, der einsame Ministrantenbub war zuvor (Achtung, frühkindliches Trauma!) hinter einem Sarg gegangen, in dem offensichtlich seine Mutter war.

Pietätslose Probeübungen am Sarg

Besonders pietätlos gerieten die gymnastischen Aus- und Einsteigprobeübungen in diesen Sarg, ganz zu schweigen von der blutüberströmt-dornengekrönten Figur, die lässig-entspannt mit einem Zigaretterl vom Kreuz herunterpaffen zu scheint, dass im Universum, wie's bei Jean Paul heißt, kein Gott mehr sei. Aber das ungeduldig ersehnte generelle Rauchverbot, es kommt ja hoffentlich doch bald? Öd, leer, poesielos, beklemmend, verbraucht, verwelkt ist das alles und zieht sich im Tempo schleppend über einen ganzen Abend lang hin, am Ende höflich-lauer Applaus für das Regieteam, weder entschiedene Buhs noch begeisterte Bravos.

Dirk Kaftan entlockt seinem Grazer Philharmonischen Orchester hingegen fein abschattierte Klangnuancen und gestaltet weit schwingende orchestrale Wogen, die ganze luxurierende Pracht von Korngolds Partitur leuchtet verführerisch auf. Nur ist die „Tote Stadt“ aber keine symphonische Dichtung mit Stimmbegleitung, sondern eine Oper, und aufgrund der leider durchgehend hammerhart dröhnenden Lautstärke war das gesamte Sängerensemble zu kräfteraubendem Outrieren gezwungen. Als veritabler Glücksfall erwies sich dennoch der kurzfristige Einspringer Zoltán Nyári, der Paul als souveränen, textdeutlichen, virilen Heldentenor mit bronzenem Timbre gestaltete: eine stimmliche wie auch darstellerische Meisterleistung.

Gal James berührt besonders in den Passagen, in denen ihr silbern leuchtender Sopran glühenden lyrischen Melodiebögen folgt, weniger überzeugt sie als frivol-kokette Tänzerin. Als imaginäres Phantomduett mit Brigitta (einmal mehr staunt man über die makellos edle Schönheit der Stimme von Dshamilja Kaiser) singt sie den Schlager der Oper „Glück, das mir verblieb“ jedoch eigentümlich distanziert, und der zweite Hit, das Ständchen des Pierrot, entbehrt in der vom Spielleiter verhängten Transeninterpretation von Ivan Oreščanin (sonst ein differenzierter, kluger und kultivierter Frank/Fritz) jeder sehnsuchtsvollen Nostalgie und damit gleichzeitig jeden genuin österreichischen Idioms. Hier hat die panische Angst vor Kitsch viel zerstört.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.