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Bühne und Konzert Daphne in Basel

Ich komme! Süß durchströmt mich der Erde Saft!

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Eine bukolische Tragödie, ein Fest der Paarung: „Daphne“ in Basel Eine bukolische Tragödie, ein Fest der Paarung: „Daphne“ in Basel
Eine bukolische Tragödie, ein Fest der Paarung: „Daphne“ in Basel
Quelle: ©Monika Rittershaus
Der bewährte Frauenregisseur Christof Loy geht auch in seiner Baseler „Daphne“ der Operntragödie tiefenpsychologisch bohrend auf den Grund. Richard Strauss hätte als Mann seinen Spaß gehabt.

Arkadien – das ist hier das Werdenfelser Land. Die bäuerliche Gegend am Olymp, in der auch mal ein Alphorn tönt, kann man sich diesmal eher in der Nähe der Zugspitze vorstellen. Griechenland wird also Bayern, der Fischer Peneios mutiert zum Gastwirt, und statt in einer mythologisch-göttlichen Epoche ist „Daphne“, die dreizehnte Oper von Richard Strauss, nahe dem Garmisch-Partenkirchen aus genau jener Zeit angesiedelt, in der sie geschrieben wurde: 1938. Man merkt es spätestens, wenn Beamte in naziähnlichen Uniformen auftauchen, um die Titelfigur abzuführen, die – manipuliert und missbraucht – schließlich zur Mörderin an ihrem Jugendfreud Leukippos geworden ist.

Gott Apoll wollte das so, im gleißenden Blitz einer die Bühne halbrund abschließenden Scheinwerferbatterie führt er die das Messer zückende Daphne ihrem Opfer zu. Vor allem aber ist es eine Idee des Regiegottes. Er heißt Christof Loy und wirkt am Theater Basel. In seiner nunmehr 25-jährigen Karriere ist er das geworden, was man einst in Hollywood George Cukor zu sein nachsagte: ein Weiblichkeit ins beste Bild Setzender, ein Frauenregisseur eben. Allein diese Spielzeit folgt von ihm, nach Tschaikowskys eindrücklich wiederentdeckter „Zauberin“ im Theater an der Wien, noch in Genf Cherubinis „Medée“. Beides äußerst starke Damen.

Dazwischen inszeniert er jetzt jene „bukolische Tragödie“ von Richard Strauss, die man lange wegen ihrer gipsernen, dem ungelenken Libretto Joseph Gregors geschuldeten Kühle und ihrer passiv duldenden, nicht wirklich plastisch werdenden Hauptfigur links liegen ließ. Erst in den letzten Jahren war sie Regisseuren wie Christine Mielitz, Peter Konwitschny, Claus Guth oder (eben in Brüssel) Guy Joosten das szenische Nachdenken wert.

Warum sich Daphne mit schreckensgeweiteten Augen dem Helden anheimgibt, kann auch Loy nicht wirklich erklären

Loy rückt Daphne in die Nähe einer anderen singenden Strauss-Tochter, der von Salome und ihrer dysfunktionalen Familie. Bei ihm ist alles einzig auf die Protagonistin zentriert. Sie ist von ihrem ersten Auftreten im Scheinwerferkegel vor der rohen Bretterwand, die Annette Kurz’ schlichte Bühne lange klaustrophobisch verengt, die Außenseiterin, die von ihren Phobien Gepeinigte.

Während es hier in Erwartung des dionysischen „Fest der Paarung“ schon zwischen den halbnackt sich waschenden Arbeitern in ihren Krachledernen sinnlich dampft, zieht sich Daphne in Gestalt der so intensiv wie irisierend die höchsten Sopranhöhen durchmessenden, in bereits sieben anderen Loy-Inszenierungen faszinierenden Agneta Eichenholz immer mehr in sich zurück. Ihr bleiben in der sie abstoßenden Außenwelt nur die Pflanzen, die sie an der linken Bühnenseite in Töpfen hegt, darunter auch ein Lorbeerbäumchen, mit dem sie sich am Ende völlig identifizieren wird.

Rechts wird komödienstadlderb gefeiert und getrunken, dralle Dirndl-Bedienungen versorgen die geiler werdenden Buam mit Bier. Links steht bald ein Klappbett, auf dem Daphnes Vater, der schwächliche Peneios (Fliegengewichtbass: Torsten Grümbel) bei seiner angeekelten Tochter übergriffig wird, sie streichelt, die Hand unter den Rock rutschen lässt. Ihre haltlose Mutter Gaea (die ewig junge, geschickt in tiefste Altlagen herabsteigende Hanna Schwarz) schaut weg, will, dass die Tochter endlich Frau wird und ergibt sich ansonsten dem Obstler. Eine kluge Loy-Beobachtung, die erklärt, warum sie so langsam, verschattet, ja wie gelähmt singt.

Überhaupt: Loy gelingt es spielend, den Opernpappkameraden szenisch griffiges Leben einzuhauchen. Wieder einmal erweist er sich als Meister der genauen Figurenzeichnung. Das gilt auch für das zwischen Anziehung und Abweisung pendelnde Verhältnis zu Leukippos, den der intensive Rolf Romei als langmähnigen Dorf-Softie mit Macho-Allüre charakterisiert, der sich erst als Ebenbild Daphnes verkleidet dieser sexuell nähern kann.

Von der Außenwelt abgestoßen: die faszinierende Agneta Eichenholz als Daphne
Von der Außenwelt abgestoßen: die faszinierende Agneta Eichenholz als Daphne
Quelle: ©Monika Rittershaus

Nur zum strahlenden, aber auch im Nietzsche-Sinn übermenschenhaft grausamen Apoll fällt Christoph nichts ein; das ging freilich schon seinen musiktheatralischen Schöpfern so. Der Gott in Gestalt des vokal an seine Tenorgrenzen stoßenden, dies aber geschickt camouflierenden Marco Jentzsch trottet heldengroß, aber dröge als schwarzgekleideter Jäger mit Armbrust herein: ein Deus ohne Machina. Warum sich Daphne mit schreckensgeweiteten Augen ihm anheimgibt, wieso er das Mädchen schuldhaft in einen Mord verstrickt, das kann auch Loy nicht wirklich erklären.

Er motiviert nur letztgültig den Übertritt der Daphne in eine andere Welt: mit Lorbeerblättern im Haar wird sie nicht zum geliebten Baum, sondern zur abgedriftet Wahnsinnigen, eine griechische Lucia aus Lammermoor in Handschellen, die keine Worte mehr hat, nur noch Vokalisen. So nehmen der der Welt abhanden Gekommenen ihre männlichen Macher nicht nur die Ausdrucksmöglichkeiten, sie degradieren sie auch noch in ihren letzten Worten „Ich komme, ich komme, süß durchströmt mich der Erde Saft“ zum obszön benutzten Objekt.

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Das zeigt Christof Loy so deutlich wie keiner vor ihm. Und überlässt dann der altersmilde strömenden, sich ebenfalls in ein inneres Exil jenseits der Moderne und ihrer politischen Umstände zurückziehenden Verwandlungsmusik des 74-jährigen Strauss die halbdunkle Bühne. Jetzt darf der eben 85 gewordene Hans Drewanz am Pult des Sinfonieorchesters Basel die Hauptrolle übernehmen, es noch einmal in den Streichern grünen, blühen, aufrauschen lassen. So wie er den ganzen Abend über fein dosiert und herrlich klangmalend den zarten Zauber dieser ambivalent melancholiesatten Partitur heraufbeschworen hat.

Auch nach dieser denkwürdigen Inszenierung kann man „Daphne“ nicht wirklich lieben, aber man hat sie als Zeitkunstwerk weit besser verstanden.

Termine: 17., 19. Februar, 2., 8., 18. März, 12., 18., 28. April. 8., 13., 23. Mai, 18., 23. Juni

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