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Heimat 2.0: Seid einfach, wie ihr wollt!

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Für die zahlenden Gäste säuselt auch das Hotelpersonal.
Für die zahlenden Gäste säuselt auch das Hotelpersonal. © Jörg Landsberg

Bremen - Von Mareike Bannasch. Seufzend steht er da, ein Geschirrtuch fest umklammert und mit leicht debilem Lächeln –während sich im Hintergrund die Gäste aus dem Staub machen, natürlich ohne zu bezahlen. Doch Leopold, seines Zeichens Oberkellner, hat keine Augen für den leise davon trippelnden blauen Pappbus, er kann nur an eine denken: Josepha Vogelhuber, toughe Rössl-Wirtin und seine Chefin.

Also alles wie gewohnt, im ehrwürdigen Weißen Rössl am Wolfgangsee? Nicht ganz. Natürlich steht auch im Theater Bremen das Glück vor der Tür, aber eben nur für zahlende Gäste. Denn Alpenromantik und Trachtenkitsch sind in Sebastian Kreyers Version nur eine kunterbunte Fassade, allerdings eine sehr unterhaltsame.

Für seine Interpretation hat sich der Regisseur der Uraufführungsfassung aus dem Jahr 1930 bedient, allerdings nicht ohne sie zu bearbeiten. So treibt er die Hommage an Heimat, Folklore und heile Welt auf die Spitze, und noch darüber hinaus. Da sitzen Touristen in Lederhosen und Dirndl an Bierzelttischchen mit rot-karierten Decken (Bühne: Thomas Dreißigacker), während das Personal mit säuselndem Wiener-Schmäh die Bestellungen aufnimmt. So viel Lokalkolorit kommt an bei den Idyllesuchenden aus aller Herren Länder. Dass die Wirtin eigentlich berlinert und auch nicht ganz so zerbrechlich und charmant ist – geschenkt. Hauptsache, der äußere Eindruck stimmt, schließlich ist man zur Erholung hier und nicht, um sein Weltbild zu hinterfragen.

Dass will auch Wilhelm Giesecke (Gabriele Möller-Lukasz) nicht. Der Berliner Fabrikant ist gemeinsam mit seinem Sohn Otto ins Salzkammergut gekommen, um sich von einem fiesen Rechtsstreit mit seinem Kontrahenten Sigismund Sülzheimer zu erholen. Der Stein des Anstoßes? Eine Hemd-Hose: beim einen vorne geknöpft, beim anderen hinten. Klar, dass beide erbittert um das Patent kämpfen und sich dringend erholen müssen. Und das geht doch nun wirklich nirgends besser, als bei dieser charmanten Rössl-Wirtin!

Das kennt man in Grundzügen auch aus der Originalfassung der Operette von Ralph Benatzky, allerdings hat Kreyer einige weitreichende Änderung eingebaut. Statt Töchter sind hier nur noch Söhne mit von der Partie, was den Nachwuchs natürlich nicht davon abhält, sich ineinander zu verlieben. Die von Librettist Erik Charell (der selbst schwul war) bereits angedeuteten homosexuellen Tendenzen werden vollends herausgearbeitet. Da wird geknutscht, was das Zeug hält, ohne das sich Väter oder Umgebung auch nur ansatzweise daran stören würden.

Der Begriff der sogenannten Norm wird aufgeweicht und macht Platz für eine Idylle, in der jeder so sein kann, wie er möchte: Mann, Frau oder irgendetwas dazwischen. Heimat 2.0.

Apropos irgendetwas dazwischen: Einen Transvestiten gibt es natürlich auch, in dieser heilen Welt des Jahres 2015. So verkörpert Matthieu Svetchine nicht nur den stockschwulen Rechtsanwalt Siedler, sondern auch die Kaiserin Elisabeth, die extra zum Schützenfest an den Wolfgangsee gekommen ist. In einem Traum aus Tüll mit Schleppe und kunstvoller Flechtfrisur schwebt er von der Decke auf die Bühne, von den Massen begeistert gefeiert und der Rösslwirtin hektisch begrüßt. So viel der Ehre, da kommt selbst eine mit allen Wassern gewaschene Karrierefrau ins Schwitzen. Doch die Kaiserin gibt sich huldvoll, winkt in die Menge und sucht die Tiere. Bleibt die Frage, ob es nun gut ist oder schlecht, dass man die Anspielung auf dem Schmatfetzen schlechthin – „Sissi“ Teil eins – direkt erkannt hat. Vermutlich letzteres.

Das Sissi-Zitat ist übrigens nicht der einzige Seitenhieb auf die Heimatfilmklassiker der fünfziger und sechziger Jahre, zu der ohne Zweifel auch die unsägliche Peter-Alexander-Verfilmung zählt. Ein Weißes Rössl, das am Donnerstagabend aber in weiter Ferne ist, was auch dem fabelhaften Ensemble zu verdanken ist. Allen voran Johannes Kühn, der sich als stoffeliger Oberkellner in seiner Liebe zu Josepha suhlt, mit klarer Stimme in schnulzigen Balladen an ihr Herz appelliert und ganz nebenbei auch noch dem Laufburschen (jugendlich naiv: Lisa Guth) den Kopf verdreht. Logisch, dass so viel Einsatz belohnt werden muss und er sie am Ende doch noch bekommt. Allerdings ohne stürmische Umarmung zur anschwellenden Musik. Stattdessen gibt es einen nüchternen Vertrag. Passend zum nüchternen Schluss, den Josepha Vogelhuber für sich gezogen hat. Die ganz großen Gefühle sind es nicht, die sie für den Oberkellner empfindet. Aber immerhin ist er in sie verliebt, und ein anderer ist auch nicht in Sicht – das muss reichen für ein Happy End.

Die Rössl-Wirtin ist eine Paraderolle für Désirée Nick, die es in ihrem Bremer Gastspiel geradezu glänzend versteht, die vermeidlich berechnende Karrierefrau zu geben, die einen nicht wirklich florierenden Betrieb am Hals hat und dann noch nicht mal ihren Traummann bekommt, weil der sein Herz an den Jüngling Otto verloren hat. Besonders die frivolen Nuancen der Rolle, von denene es etliche gibt, arbeitet Nick aus ihrer Figur zur Gänze heraus. Genauso wie die Moment des Zweifels, desillusioniert über dem Knödelteig.

So durchdacht all das auch daherkommt, ohne die Musik würde dieses Weiße Rössl nicht funktionieren. Angeführt von Daniel Mayr bauen die Bremer Philharmoniker ein lebhaftes und zugleich standhaftes Gerüst für die Wirrungen. Schwungvoll und mit dem nötigen Witz harmonieren sie perfekt mit dem Treiben auf der Bühne und führen Schauspieler und den herausragenden Opernchor durch ihre Passagen. Seinen größten Moment hat das Orchester allerdings mit der Ouvertüre, einem Medley aus Dorfdisko-Klassikern wie „I will survive“, „I am what I am“ und „Rise like a phoenix“. Der perfekte Soundtrack für eine Reise ins Weiße Rössl, wo nicht alles perfekt ist, aber dafür umso liebenswerter.

„Im Weißen Rössl“, morgen, 5., und 7. März, jeweils um 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz.

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