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Musiktheater
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Hamlet

Oper in fünf Akten
Libretto von Michel Carré und Jules Barbier, verfasst nach der französischen Adaption von Alexandre Dumas d. Ä. und Paul Meurice, basierend auf Hamlet, Prince of Denmark von William Shakespeare
Musik von Ambroise Thomas


In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Bielefeld am 28. Februar 2015
(rezensierte Aufführung: 03.03.2015)


 

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Theater Bielefeld
(Homepage)

Kranke Gesellschaft auf der Couch

 Von Thomas Molke / Fotos von Paul Leclaire


Natürlich kennt man den Hamlet, zwar vielleicht nicht als Oper vom Ambroise Thomas, die zumindest in Deutschland äußerst selten auf den Opernbühnen zu erleben ist, aber die Handlung ist ja doch dann immer die gleiche. Das mag sich Andrea Schwalbach gesagt haben, als sie sich entschieden hat, die Tragödie über den Prinzen von Dänemark in Bielefeld in Szene zu setzen. Herausgekommen ist dabei allerdings ein Ansatz, der weniger die Frage nach "Sein oder Nichtsein" als vielmehr nach "Sinn oder Unsinn" stellt. Sicherlich muss man die Geschichte nicht in längst vergangenen Zeiten in Dänemark ansiedeln, und gewiss stellt das Erscheinen des Geists von Hamlets Vater jedwede Aktualisierung vor ein Problem. Aber muss man ihn dann wirklich als eine Art Psychoanalytiker auftreten lassen, auf dessen Couch die anderen Figuren des Stücks nacheinander zu Therapiezwecken Platz nehmen? Diese Idee lässt sich wohl schwerlich durchhalten, auch wenn die einzelnen Personen, allen voran Hamlet und Ophelia (Ophélie), gewiss dringenden Therapiebedarf haben.

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Hamlet (Evgueniy Alexiev, Mitte) und Ophélie (Cornelie Isenbürger) zu Therapiezwecken auf der Couch (links: Geist des verstorbenen Königs (Yoshiaki Kimura))

Was Schwalbach mit diesen Figuren macht, bürstet aber nicht nur die eigentliche Handlung vollkommen gegen den Strich, sondern passt auch nicht zum gesungenen Text. Wieso schlägt Hamlet Ophélie in Momenten, in denen die beiden sich musikalisch eigentlich relativ nahe stehen? Aus welchem Grund muss Ophélie in ständig wechselnden Kostümen versuchen, eine neue Identität anzunehmen? Ist es wirklich erforderlich, das Ritzen als Modeerscheinung aufzugreifen? Gertrude hat sich in diesem Zusammenhang gleich die Pulsadern aufgeschnitten, worauf die langen Krusten an den Innenseiten ihrer Unterarme hinweisen, und auch bei Hamlet ist es in Schwalbachs Inszenierung an der Tagesordnung, sich selbst Verletzungen zuzufügen. Während Ophélies großer Wahnsinnsszene im vierten Akt ist Hamlet unverständlicher Weise die ganze Zeit anwesend, so dass er ihren Selbstmord zwangsläufig mitbekommen muss, zumal das Fläschchen mit dem Gift aus seiner Jackentasche stammt. Wenn er dann im letzten Akt die beiden Totengräber - sind es nur die gleichen Sänger wie Marcellus und Horatio oder sollen es auch Hamlets Freunde sein? - fragt, wer denn hier beerdigt werde, wirkt dies folglich völlig unmotiviert und überflüssig.

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Hamlet (Evgueniy Alexiev, rechts) droht seiner Mutter Gertrude (Melanie Kreuter) (im Hintergrund: Geist des verstorbenen Königs (Yoshiaki Kimura)).

Auch die Personenregie bei Hamlets Freunden Marcellus und Horatio ist äußerst fragwürdig. Schwalbach lässt Caio Monteiro als Horatio mit absolut geckenhaftem Spiel die Aufmerksamkeit stets auf sich ziehen und die Tatsache, dass es sich hierbei um eine dekadente Gesellschaft fernab aller Konventionen handelt, die ihre Grenzen schon lange überschritten hat und ihre Sinnlosigkeit mit Alkohol und Drogenkonsum betäubt, mehr als plakativ zum Ausdruck bringen. Völlig unklar bleibt ferner, wieso zwar zunächst einige Herren des Chors im zweiten Akt als mutmaßliche Schauspieltruppe auftreten, die Vorführung Die Ermordung des Gonzago aber dann doch von Hamlet, Ophélie, Horatio und Marcellus dargestellt wird, auch wenn die Idee, die Geschichte in einem Schilffeld zu inszenieren, an dem dann auch noch quakende Enten vorbeiziehen, eine gewisse Komik nicht entbehrt. Durch diesen Bruch wiederum geht die nachfolgende Dramatik verloren, da der neue König diesen Mummenschanz eigentlich keinesfalls als persönlichen Angriff auf seine Person verstehen kann. Die Krone raubt ihm Hamlet dabei übrigens schon vor der Darbietung, gewissermaßen um sie als Requisite für das Spiel im Spiel einzusetzen.

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Hamlet (Evgueniy Alexiev, links) hält die tote Ophélie (Cornelie Isenbürger) in den Armen (rechts daneben von links nach rechts: Marcellus (Lianghua Gong) und Horatio (Caio Monteiro)).

Das Bühnenbild von Nanette Zimmermann wirft ebenfalls einige Fragen auf. Während der hermetisch abgeriegelte Raum nach der Pause deutlich macht, dass es sich hierbei um eine "geschlossene Gesellschaft" handelt, wirkt die lose Anordnung der einzelnen Wandelemente in den ersten beiden Akten vor der Pause doch eher willkürlich und lässt keine klare Struktur erkennen. Im Hintergrund sieht man zunächst ein riesiges Familien-Portrait, das an mehreren Stellen gefaltet ist. Nach der Pause sieht man dieses Bild noch einmal. Jetzt ist es allerdings eingerahmt und steht in der Ecke. Das Schilffeld, das sich während der Schauspieldarbietung mitten im Raum befindet, wird nach dem dritten Akt aus dem Raum ausgeschlossen und ist nur noch durch die Fenster zu sehen. Ophélie geht somit auch nicht ins Wasser, um Selbstmord zu begehen, sondern vergiftet sich. Dass sie anschließend von Horatio und Marcellus auf der Bar aufgebahrt wird, wirkt dann schon beinahe makaber.

Zum Glück gibt es die unglaublich schöne Musik, die es den Zuhörer wirklich bedauern lässt, dass diese französische Oper hier in Deutschland so selten auf der Bühne zu erleben ist. Und das Theater Bielefeld kann dabei auch noch alle Rollen mit dem hauseigenen Ensemble besetzen. Evgueniy Alexiev begeistert in der Titelpartie mit einem in der Mittellage kräftig strömenden Bariton und forciert nur in den Höhen ein wenig. Cornelie Isenbürger stattet die Ophélie mit einem mädchenhaften Sopran aus, der sich in den Koloraturen absolut beweglich zeigt und die große Wahnsinnsszene im vierten Akt zumindest musikalisch zu einem Höhepunkt des Abends macht. Auch das wunderbare Terzett zwischen Hamlet, Ophélie und seiner Mutter Gertrude im dritten Akt lässt aufgrund der großartigen Interpretation durch Isenbürger, Alexiev und Melanie Kreuter als Hamlets Mutter die undurchsichtigen Regie-Einfälle für einen Augenblick vergessen. Kreuter punktet mit ihrem Sopran bei der eigentlich als Mezzo angelegten Partie vor allem in den dramatischen Höhen und wählt in der Mittellage einen eher deklamatorischen Stil. Daniel Pataky lässt als Ophélies Bruder Laërte mit strahlendem Tenor aufhorchen, und auch Roman Astakhov überzeugt als Claudius mit markantem Bass auf ganzer Linie. Elisa Gogou lotet mit den Bielefelder Philharmonikern die farben- und nuancenreiche Partitur differenziert aus und rundet mit dem von Hagen Enke solide einstudierten Chor den Abend zumindest musikalisch überzeugend ab. Ob die zweite Aufführung am Dienstag wegen der Inszenierung oder wegen des Wochentags relativ spärlich besucht war, lässt sich nur mutmaßen.

FAZIT

Grundsätzlich ist es lobenswert, dass das Theater Bielefeld diese selten gespielte Oper auf den Spielplan gestellt hat, weil musikalisch hier einiges zu entdecken ist. Um diese Musik aber wirklich genießen zu können, hätte man sich sicherlich einen anderen Regie-Ansatz gewünscht.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Elisa Gogou   

Inszenierung
Andrea Schwalbach    

Bühne
Nanette Zimmermann

Kostüme
Petra Wilke

Choreinstudierung
Hagen Enke

Licht
Johann Kaiser

Dramaturgie
Larissa Wieczorek

 

Bielefelder Opernchor

Bielefelder Philharmoniker


Solisten

Claudius, König von Dänemark
Roman Astakhov

Gertrude, Königin von Dänemark
Melanie Kreuter

Hamlet, Gertrudes Sohn
Evgueniy Alexiev

Ophélie, Tochter des Polonius
Cornelie Isenbürger

Laërte, Sohn des Polonius
Daniel Pataky

Polonius, Claudius' Gefolgsmann
Moon Soo Park

Marcellus, Freund Hamlets
Lianghua Gong

Horatio, Freund Hamlets
Caio Monteiro

Geist des verstorbenen Königs
Yoshiaki Kimura

 

Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Bielefeld
(Homepage)




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